Yvettes Traum. Florentine Hein

Yvettes Traum - Florentine Hein


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Er würde es nicht beschwören.

      Marco trat an den Tisch. Ob alles in Ordnung sei? Noch einen Wunsch? Einen Espresso für die Signora? Una grappa? Yvette schüttelte den Kopf. David bat um die Rechnung.

      Der Wind hatte aufgefrischt. Zum Glück war seine Wohnung nur ein paar Straßen entfernt.

      „Zu mir?“, fragte er pro forma.

      Kein Widerspruch. Er legte den Arm um ihre Hüfte und sah zu, wie der Wind ihre Nasenspitze rot färbte.

      „Einen Drink zum Aufwärmen? Whisky?“

      Er wartete die Antwort nicht ab, sondern öffnete seine gut bestückte Bar. Sie hatte noch nie nein gesagt. Doch diesmal blieb Yvette nicht stehen und begutachtete die Flaschen, sondern ging langsam durch die Wohnung.

      „Auch weiß. Alle Wände.“

      „Ja. Ich sagte doch, die Eimer, die ich dir hingestellt habe, waren noch übrig. Ich habe die Farbe damals selbst besorgt, den Rest hat die Firma gemacht.“

      „Es wirkt elegant, gerade im Kontrast mit deinen alten Möbeln. Der Teppich ist auch schön.“

      „Habe ich damals aus Ankara mitgebracht. Handgeknüpft.“

      Ja, der Teppich war ein Prachtstück! Allein der Transport hatte ein Vermögen gekostet. Doch er bereute es nicht.

      „Vielleicht kann er sogar fliegen?“

      Yvette strich mit der Hand darüber.

      „Manchmal bestimmt. Komm, wir gehen ins Schlafzimmer.“

      Er half ihr auf, küsste sie, zog sie mit sich.

      Sie begann, sein Hemd aufzuknöpfen.

      „Ach, du trägst ja unser T-Shirt!“

      Sie strahlte auf. David gratulierte sich im Stillen. Genau diese Reaktion hatte er erhofft.

      „Du bist so wunderschön. Bestimmt hast du an jedem Finger einen Liebhaber!“

      Das hatte er in der Nacht ihres Kennenlernens gesagt. Jetzt wiederholte er die Worte.

      „Und du bist Nummer 27!“, gluckste sie und zeigte wie damals lachend auf sein T-Shirt, auf dem dick und rot die Nummer prangte. Diesen Namen behielt er. Und gleichzeitig schien er auch die Regeln ihres Miteinanders zu bestimmen. Doch das war jetzt egal. Das T-Shirt hatte sie zum Lachen gebracht. Nun fühlte er sich auf sicherem Terrain. Seine Hände wussten genau, was sie zu tun hatten. Er zog Yvette an sich, spürte ihren heißen Atem an seinem Hals. Bedächtig zog er den langen Reißverschluss ihres Kleides nach unten. Dann umfassten seine Hände ihre Brüste. Er spürte, wie ihr Körper nachgab, sich an ihn schmiegte.

      In den Stunden, die jetzt folgten, gehörte sie ihm.

      3

      Oh weh, bald würde sie zu den Frauen gehören, die sich beim Sex die Fingernägel lackierten! Aber Yvette konnte sich einfach nicht fallen lassen. Sah nur auf die weiße Wand. Der dunkle Schrank davor wirkte so schick.

      Doch bei ihr? Sie hatte schon beim Streichen gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Das Weiß strahlte zu sehr, wirkte gleichzeitig starr und kalt. Ihre klapprigen Möbel würden vor diesen Wänden einfach nur schäbig aussehen. Sie hatte sich zwar sehr über die Töpfe vor ihrer Tür gefreut, aber diese Farbwahl war ein Fehler gewesen. Was könnte sie ändern?

      Endlich kam Nummer 27 zum Höhepunkt. Er stöhnte auf und sackte über ihr zusammen.

      Gab es eigentlich Sex-Tristess? Gutes Thema für eine Klatsch-Zeitschrift. Sex in Grau.

      Aber Grau war ja gerade modern. Graue Wände wollte sie aber nicht. Da musste es doch noch mehr geben … jep, das war es: Sie würde Zeitschriften wälzen! Da fand sie bestimmt anregende Vorschläge!

      Nummer 27 gab ihr einen Kuss und rollte sich zur Seite. Yvette kuschelte sich an ihn. Jetzt konnte sie sich endlich entspannen …

      Als sie aufwachte, war die Bettseite neben ihr leer.

      Na klar. Nummer 27 war Workaholic. Zumindest in ihren Augen. Er klagte zwar immer über die hohe Arbeitsbelastung, die die Firma ihm abverlangte, aber es schien ihn nicht wirklich zu stören. Eher war er stolz auf das, was er für die Firma leistete. Gestern zurück von der Dienstreise, heute gleich ins Büro. Wahrscheinlich wäre er komplett überfordert, wenn er einmal Zeit hätte.

      Yvette drehte sich noch einmal um. Sie musste nicht arbeiten. Die nächste Ausstellung stand noch nicht an. Sie wollte den Tag langsam beginnen. Das Kissen duftete leicht nach Zitrone. Vor ihren Augen tanzten gelbe Flecke. Es war zu hell! Die Sonne schien herein und schickte den Schlaf davon.

      Yvette schwang die Beine aus dem Bett. Auf, es würde ein schöner Morgen werden! Mit einem erfrischenden Anfang, denn Nummer 27 besaß eine megastylische, supermassierende Regendusche!

      „Ich möchte gern alle Wohnzeitschriften, die sie haben!“

       „Alle?“

      Die alte Frau musterte sie mit zerknittertem Blick. Wahrscheinlich verlangten ihre Kunden sonst nur nach der Bildzeitung.

      „Alle!“

      Yvette nickte nachdrücklich.

      Aufgescheucht wuselte die Verkäuferin die Regale entlang.

      „Diese hier? Und die wollen Sie auch? Wirklich?“

      Bestimmt lieferte Yvette ihr gerade Erzählstoff für die nächsten Wochen.

      „Also, stellt euch vor, da kam so eine seltsame Frau in meinen Kiosk …“

      Dankend nahm Yvette schließlich einen umfassenden Stapel in Empfang. Fröhlich trug sie ihn hinaus. Darin würde sie bestimmt fündig werden! Jetzt konnte sie in Ruhe schauen, was heute so angesagt war.

      Mit ihrer Beute ins Café zu ziehen, verkniff sie sich – die Zeitschriften waren schon teuer genug gewesen! Also zurück in ihre Wohnung. Zum Ort des Geschehens.

      Durch die Wohnungstür klang ein jämmerliches Maunzen.

       „Bonjour, ma Belle.“

      Die Katze sah sie vorwurfsvoll an. Bestimmt war es für sie auch eine Umstellung, sich die Wohnung jetzt nur noch mit Yvette zu teilen. Keine Isa mehr, die mit ihr durch die Zimmer tanzte. Klar, Belle hatte die Katzenklappe und konnte rein und raus, wann immer sie wollte. Trotzdem war sie nicht gern allein.

      Wer war das schon?

       „Alors, nous faisons le petit déjeuner maintenant.“

      Erstmal Frühstück.

      Die Zeitschriften unter einem Arm, die Katze unter dem anderen, ging Yvette ins Weiß. Nein, sie mochte es entschieden nicht! Trotzdem war der Schock nicht mehr ganz so schlimm wie gestern. Vielleicht strich sie einzelne Wände anders oder – wie wäre es mit einer Bordüre? Die Zeitschriften würden sie inspirieren, bestimmt!

      So, jetzt das Katzenfutter. Belle stürzte sich gierig auf Thunfisch mit Spinat auf Pasta-Perlen. Ein Edel-Menü für ihre Feinschmecker-Katze!

      Sie selbst gab sich mit Kaffee zufrieden.

      Mit Zeitschriften und Tasse trat sie in den Mini-Garten. Das war der große Vorzug dieser Wohnung im Erdgeschoss. Früher gab es Platz für einen Sandkasten, heute reichte es für einen Quadratmeter Rasen, eine Wäscheleine, ein paar Blumen-Kräuter-Töpfe, einen winzigen Tisch und zwei Stühle.

      Wie oft hatte sie mit Isa hier gesessen! Gerade in den letzten Monaten hatten sie viel Zeit gemeinsam verbracht.

      Mit Kaffee und Croissant, mit Weißwein und Gemüsetarte. Isa erzählte ihr von Biologie und Geschichte. Ihren Lieblingsfächern. Die Algen im Meer und die Französische Revolution.

      Nun war diese Zeit vorbei. Und – ja, ja, sie gab es ja zu! – Yvette vermisste sie! Bei den Zwillingen war es nicht ganz so hart gewesen. Nicht mehr Flos wummernde Musik, keine endlosen Diskussionen


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