Zeitrausch (2). Spiel der Zukunft. Kim Kestner

Zeitrausch (2). Spiel der Zukunft - Kim Kestner


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Ich setze ein Unschuldsgesicht auf. »Ein Mann war hier«, erwidere ich vage. »Wann geht’s denn los mit der Show?«

      Oscar kratzt sich nachdenklich am Kinn. »Das war so nicht vorgesehen. Ich verstehe das nicht … Kennen Sie seinen Namen?«

      Ablenken. Einfach ablenken. »Er hat sich nicht vorgestellt. Zumindest trug er keinen Zylinder.«

      »Zylinder?« Irgendwie wirkt der Zeitreiseexperte schusselig, so als würde er ständig Banales vergessen.

      Ich deute auf seinen Kopf, auf dem ein dunkelgrüner Zylinder sitzt.

      »Oh das. Ich habe versucht, Kleidung Ihrer Zeit zu wählen.«

      Ich verziehe das Gesicht.

      »Nicht passend?« Er nimmt den Zylinder ab.

      »Sie sollten besser recherchieren«, antworte ich. Verdammt. Ich darf nicht so gelassen wirken, ich muss vollkommen aufgelöst erscheinen. Also versuche ich, Tränen aus meinen Augen zu quetschen. Es gelingt nicht, aber Sam Oscar scheint sich ohnehin nicht über meine Reaktion zu wundern. Er betrachtet nur den Zylinder in seiner Hand.

      »Nun, wenn wir erst selbst in die Vergangenheit reisen, werden wir sicherlich ein klareres Bild von der damaligen Mode und den Gepflogenheiten bekommen.«

      »Bedeutet das, Sie sind noch nie durch die Zeit gesprungen?« Das ist neu.

      »Wir stehen kurz davor!« Jetzt glitzern seine Augen und mir fällt auf, dass sie von einem warmen Braun sind. »Wir befinden uns in der Betaphase. Bisher ist noch kein echter Mensch, entschuldigen Sie, hat noch kein Mensch dieser Zeit eine solche Reise angetreten. Aber ich werde einer der ersten sein. Wenn diese Testphase abgeschlossen ist, werde ich mehrere Jahrhunderte zurückreisen. Zu den amerikanischen Ureinwohnern vielleicht. In unberührte Natur. Ich habe eine Schwäche für alte Indianerfilme, wissen Sie.«

      Ich lächle höflich, bin mit meinen Gedanken aber ganz woanders. »Bedeutet das, Sie sind auch noch nicht in Ihre eigene Zukunft gereist?«

      »Oh Gott, nein! Da sind die Gesetzgebungen ganz klar. Sehen Sie, etwas in unserer Zeit verhindert, dass unsere Gegenwart durch Reisen in die Vergangenheit verändert werden kann. Es ist jedoch nicht klar, wie sie sich durch Informationen aus der Zukunft wandeln könnte, die wir zurück in die Gegenwart nehmen, wobei streng genommen die Gegenwart aus Sicht der Zukunft wieder Vergangenheit wäre. Aber das ist nur Theorie. In der Praxis ist es verboten. Außerdem – will man tatsächlich wissen, was einen in 30 oder auch in 2 Jahren erwartet? Ich möchte mir die Spannung erhalten. Wir haben allerdings eine Katze ge… Entschuldigen Sie bitte.« Plötzlich drückt Sam Oscar sich seine Markerhand ans Ohr, ein Art Anruf, wie ich weiß.

      »Wirklich? Keine Ahnung … Heute läuft allerdings einiges schief. Warten Sie, ich frage nach.« Der Wissenschaftler legt den Zylinder auf den Tisch und drückt die Hand auf seine Hose, eine hellviolette Jeans, wahrscheinlich damit sein Gesprächspartner nicht mithört. »Die Technik sagt, Ihr Marker sei vom System erfasst worden. Hat man ihn schon aktiviert?«

      Was soll ich sagen? Ja, hat man, besser gesagt, wird man, in 2 Jahren, bei der elften Staffel der Show, in der ich den widerlichen Showmaster Wum Randy in die Knie zwinge. Auf keinen Fall dürfen sie das erfahren. Es könnte das Geschehene verändern.

      »Miss Hill. Haben Sie mir zugehört?« Oscar deutet auf meine linke Hand.

      Ich strecke sie aus. »Natürlich, tut mir leid. Das komische Ding hat man schon aktiviert.«

      Sam Oscar hält den Daumen hoch und spricht wieder in seine Handinnenfläche. »Ja, schon geschehen, aber trotzdem keine Anzeige.« Eine Pause, in der er mich freundlich anlächelt. »Noch nicht kalibriert worden? Verstehe, verstehe. Kein Problem, das kann Cleo machen.« Wieder kurze Stille. »Machen Sie sich keine Gedanken. Es wird sich alles einspielen. Gut, bis dann.«

      Er schließt die Hand zur Faust und kratzt sich mit der anderen am Kopf. Sein Zylinder fällt vom Tisch, er bückt sich und reicht ihn mir kopfschüttelnd. »Wirklich eigenartig, die Mode Ihrer Zeit. Möchten Sie ihn vielleicht tragen, zu Ihrer Abendgarderobe?«

      »Abendgarderobe?«

      »Ach richtig, das können Sie nicht wissen. Eine Überraschung, ein Empfang zu Ihrer beider Ehren, für Mr Raymond und Sie. Nur im kleinen Kreis, da werden Sie auch den Showmaster treffen, bevor es losgeht.«

      Schon Kays Nachnamen zu hören, lässt meinen Mund trocken werden. »Ist er schon da, der Kandidat, Mr Raymond?«, krächze ich.

      »Oh ja, oh ja. In seinem Quartier. Sie werden ihn in«, Sam Oscar schaut in seine Hand, »in 2 Stunden kennenlernen. Alles Weitere erfahren Sie von Sandra. Ich werde noch anderweitig gebraucht. Haben Sie noch Fragen?«

      »Wieso ich?« Die Frage kommt mir ganz plötzlich in den Sinn; wie wichtig mir ihre Antwort ist, merke ich erst, da ich sie stelle.

      »Nun, wir haben uns in der Vorbereitung zu dem Experiment unzählige mögliche Kandidaten angesehen. Dabei lagen uns gewisse, von der Programmleitung vorgegebene Parameter zugrunde. Der Kandidat sollte zwischen 19 und 21 Jahre alt sein, optisch ansprechend, ein Sympathieträger, Herr der englischen Sprache und im 20. Jahrhundert geboren. Diese Eckdaten trafen auf sehr viele junge Männer zu. Ich bestand darauf, sich für einen Menschen zu entscheiden, dessen Leben sich ohne uns in eine fatale Richtung entwickeln würde, welches er durch diese Chance abwenden kann. Sie, meine Liebe, partizipieren daran in seiner Folge.«

      »Wie bitte?«

      »Man wird es Ihnen bald erklären. Liegen Ihnen noch weitere Fragen auf dem Herzen?«

      Ich schüttle langsam den Kopf, lasse mich nun doch auf die Bettkante sinken, so schwindelig ist mir. Was meinte er mit fataler Richtung? Vielleicht den Brand, bei dem Kays Frau umgekommen ist? Wie wird es ihm jetzt gehen? Er muss mit den Nerven am Ende sein, herausgerissen aus seiner Zeit, aus dem Jahr 1929, seine Frau und sein ungeborenes Kind sind ihm genommen worden, sein Leben ist ein Scherbenhaufen, all das dank dieser abartigen Show. Eine Welle von Mitleid durchflutet mich. Wie gern würde ich jetzt bei ihm sein …

      »Nun, gewöhnen Sie sich erst mal ein. Man wird Sie gleich in Ihr Quartier bringen. Ihnen wird es an nichts mangeln. Oder bevorzugen Sie dieses Zimmer?«

      »Nein!« Bloß nicht, dieses Trugbild meines Zimmers ist gruselig. »Das Quartier wäre toll. Ist Mr Raymond auch dort?«

      »Sicher, sicher, im gleichen Stockwerk.« Oscar dreht den Zylinder unschlüssig in der Hand, legt ihn schließlich wieder auf die Tischplatte und erhebt sich.

      »Es hat mich wirklich gefreut, Sie kennenzulernen. Ich schicke Cleo zu Ihnen, sie wird sich um alles kümmern.«

      »Danke.«

      Schon ist der Mann, der diese ungeheuerliche Show erst möglich gemacht hat, an der Wand und öffnet den Ausgang. Doch dann dreht er sich nochmals kurz um. »Ich glaube, ich habe mich gar nicht vorgestellt, wie unangenehm. Sam Oscar ist mein Name. Ich bin Vorsitzender des Komitees für ethisch-moralische Richtlinien von Zeitreisen und deren Auswirkungen.«

      Ethisch-moralisch? Davon habe ich beim letzten Mal echt nichts mitbekommen!

      Unruhig laufe ich durch den Raum und versuche, mir eine Strategie zurechtzulegen. Sie dürfen mir auf keinen Fall anmerken, was ich weiß, will ich es zu meinem Vorteil nutzen.

      Es dauert eine Ewigkeit, bis sich die Tür wieder öffnet und eine kleine, drahtige Frau im glänzenden Overall hereinkommt. Sie wirkt hektisch und spricht schnell, als sie mich begrüßt. »Es tut mir leid, ich habe Sie warten lassen. Ich bin Cleo. Alison, richtig?«

      Ich nehme die dargebotene Hand. Sie drückt sie kurz und greift gleich nach meiner linken.

      »Dann wollen wir mal sehen. Noch nicht kalibriert. Das haben wir gleich.«

      Aus einer ihrer zahlreichen Overalltaschen zieht sie einen schlanken Metallstab und drückt ihn in meine Hand, genau in die Vertiefung zwischen Daumen und Zeigefinger. Das Prozedere kenne ich bereits und schon erscheint ein Schriftzug auf dem Marker, der wie ein Spruchband durch das Rechteck läuft: Willkommen,


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