Die Rückseite der Wahrheit. Riccardo del Piero

Die Rückseite der Wahrheit - Riccardo del Piero


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endlich herauslassen können.

      „Es ist jetzt zwar schon sechs Wochen her, aber ich habe mich überhaupt noch nicht davon erholt, dass er mich wegen einer Anderen verlassen hat. Ich verstehe es einfach nicht. Das schaffe ich nicht. Alles tut so weh, und ich komme mir wertlos vor.“

      Fabienne schaute teilnahmsvoll. Ihr Blick spiegelte echte Zuneigung wider. Behutsam legte sie ihren Arm auf Sarahs Schulter.

      „Ich kann mir das gut vorstellen“, fuhr Fabienne mit ruhiger, überlegter Stimme fort, „aber ich habe dir doch schon gesagt, solche Kerle sind es nicht wert, dass man ihnen auch nur eine Träne nachweint. Es ist hart, aber vergiss ihn und verschwende keine Gedanken mehr an ihn.“

      Fabiennes Worte überzeugten höchstens sachlich, vom Gefühl her konnte Sarah nicht folgen. Noch immer fröstelte sie äußerlich und innerlich.

      „Das sagst du so leicht. Ich frage mich, wieso ich das nicht schon viel eher bemerkt habe?“, rätselte Sarah.

      „Zu Beginn einer Beziehung scheint immer nur die Sonne, und die Schattenseiten wollen wir gar nicht sehen. Es dauert eben lange, bis wir dahinter blicken und das Dunkle wahrnehmen. Manchmal verschluckt das Finstere dann alles“, philosophierte Fabienne.

      „So ist es. Ich sehe jetzt nur noch Schwarz und Grau. Kein Ende ist in Sicht.“

      „Das braucht seine Zeit, sogar viel Zeit. Der Kopf begreift schnell, das Herz ist träge. Lass deinen Schmerz zu und versuche nicht, ihn zu unterdrücken. Nur so kannst du alles richtig verarbeiten und bist danach bereit für einen Neuanfang. Seit den ersten Menschen gibt es Liebeskummer, und wäre dieses Problem nicht gelöst worden, so gäbe es auch uns beide nicht. Du kannst es dir im Moment noch nicht vorstellen, aber glaube mir, es kommen wieder bessere Zeiten. Nach jeder noch so dunklen Nacht geht wieder die Sonne auf“, versuchte Fabienne ihre neue Aufmunterungstaktik.

      „Eine Nacht kann lang, sehr lang sein“, fügte Sarah traurig hinzu, doch sie war sehr berührt, wie ihre Freundin mitlitt und helfen wollte.

      Für Sarah war es die erste große Liebe, die in die Brüche ging, und das setzte ihr sehr stark zu. In dieser Beziehung hatte Fabienne deutlich mehr Erfahrung. Sarah hatte es aufgegeben, den Überblick über Fabiennes Bekanntschaften zu behalten. Vom aktuellen Freund wusste sie gerade noch, dass er Fußballer war.

      Eine kurze Pause entstand. Sarah schaute in die fernen Schneeberge, auf den See und beobachtete die Schwäne auf dem Zürichsee und holte tief Luft.

      „Du weißt“, begann sie das Gespräch wieder mit unsteter Stimme, „die Schwäne sind sich ein Leben lang treu.“

      „Du wirst deinen Schwan schon noch finden, dein Ex-Freund war eben nur eine Ente“, witzelte Fabienne.

      „Ein hässliches Entlein“, erstmals lächelte Sarah wieder ansatzweise.

      „Nicht mal das, aus einem hässlichen Entlein wird doch mal ein Schwan, dein Freund war eine hässliche Muräne.“

      Sarahs Lächeln gefror auf den Lippen. „Zu allem Übel kommt jetzt noch der Ärger mit meiner Familie“, schüttete sie ihr Herz weiter aus, „dicke Luft zu Hause, denn mein Bruder will seine Lehre abbrechen und mein Vater tobt. Ich kann zu Hause mit niemandem reden, nicht mal mit meiner Mutter. Du kennst sie ja. Sie hat im Moment selbst genug Sorgen und ist nahe an einer Depression. Und heute als Krönung präsentiert mir das Leben auch noch diesen Ölscheich.“

      „Ach, mach dir doch nichts draus“, beruhigte Fabienne sie, „dein Bruder wird schon wieder vernünftig, und dann erholt sich auch die restliche Familie. Der Ölscheich, na ja … der kommt halt aus einer ganz anderen Welt. In ein paar Tagen wirst du nur noch über den lachen. Bisher hat er immerhin noch nicht gefordert, dass du Kopftuch oder Schleier tragen musst!“ Sie kicherte amüsiert über sich selbst.

      „Am meisten ärgert es mich, dass mir im entscheidenden Moment nichts eingefallen ist, du wirst behandelt wie eine geringklassige Bedienstete, und mir fiel nichts ein, womit ich mich hätte wehren können. Hab nur blöd dagestanden.“

      „Morgen wirst du ihm eben sagen: Bei uns hier herrschen andere Sitten als bei euch im Orient, und bist du nicht willig, hol ich die Spritze!“ tönte Fabienne und schmunzelte angesichts der bildlichen Vorstellung.

      Da konnte auch Sarah nicht anders und lachte mir ihr gemeinsam.

      „Und dann auch noch unser Abteilungsarzt!“, fuhr Sarah fort. „Was der den ganzen Tag alles erzählt! Zu allen Frauen macht er ständig zweideutige Bemerkungen und versucht, wirklich mit jeder anzubandeln.“

      „Hat er bei mir auch schon versucht, aber nur einmal. Dem hab ich dann was erzählt. Weißt du übrigens, wie man ihn auch noch nennt, unseren Abteilungsarzt?“

      „Keine Ahnung“, Sarah zuckte mit den Schultern.

      „Wäre auch ein passender Name“, lachte Fabienne. „Von Medizin hat er, glaub ich, wirklich keine große Ahnung. Aber nein! Sie nennen ihn jetzt Albtraumchirurg!“

      In der Abenddämmerung machten sich Sarah und Fabienne auf den Heimweg. Sarah war froh in Fabienne die gute Freundin von früher wiedergefunden zu haben. Sie hatte sich in den vergangenen Jahren zu einer höchst attraktiven Frau entwickelt und war menschlich sehr gereift. Das war Sarah bereits am ersten gemeinsamen Arbeitstag aufgefallen. Sie hegte eine kleine Bewunderung für die Freundin, die recht viel Verantwortung trug und dies sehr souverän meisterte. Auch im Privatleben strahlte sie diese Selbstsicherheit aus. Ihren Humor und ihre Unbeschwertheit hatte sich Fabienne trotz allem bewahrt und war sich selbst treu geblieben. So war sie Sarah ein Vorbild, dem sie ein bisschen nacheifern wollte.

      Am folgenden Morgen bekam Sarah zu spüren, wie es ist, wenn die Chirurgen schlecht gelaunt waren. Der Verbandwechsel beim Orientalen geriet zur Katastrophe. Wie am Spieß hatte er geschrien, dass man es reihum gehört haben musste. Und all das nur wegen eines einfachen Verbandwechsels nach operativer Entfernung von Hornhautschwielen an den Füßen und oberflächlichen Krampfadern an den Unterschenkeln. Um diesen Ärger zu vermeiden, war diese Prozedur morgen nun in Narkose geplant.

      Die schmerzhafte Episode im Operationssaal schien dem Scheich ziemlich zugesetzt zu haben. Er wirkte plötzlich kleinlaut und war bedeutend umgänglicher geworden, bemerkte Sarah gegen Mittag.

      Auf dem Gang kam ihr Heidi entgegen. Sie arbeitete auf der benachbarten Station und war ebenfalls Krankenschwester in Ausbildung, sogar aus derselben Schulklasse. Bekannt war sie wegen ihres starken Walliser Dialekts; sie kam aus dem Kurort Zermatt. Geradezu berüchtigt war Heidi aber wegen ihrer Neugier.

      „Na, hast du mit dem schwerreichen Scheich geflirtet?“, fragte sie vieldeutig mit unnatürlich hoher Stimme und unpassendem Augenaufschlag. Genau wegen solchen Sticheleien waren Heidi und Sarah nicht unbedingt die besten Freundinnen. Sie kamen miteinander aus, aber über diese alberne Frage regte sich Sarah echt auf. Der Araber wäre wirklich der letzte Flirtkandidat, den sie sich vorstellen konnte.

      „Du hast vielleicht Vorstellungen“, reagierte sie leicht gereizt. „Flirten! Während der Arbeit habe ich für so etwas keine Zeit.“

      „Wollte er dich nicht mit in den Orient nehmen?“, ließ Heidi nicht locker und trat einen Schritt näher, sodass jede einzelne ihrer Sommersprossen zu sehen war. Sarah beschloss, vorerst einmal nichts zu sagen.

      „Mich haben die Patienten eben schon oft einladen wollen. Kürzlich hat sich ein junger Patient sogar in mich verliebt“, kokettierte Heidi, „glaub ich.“ Sie fuhr sie sich mit den Fingern durch ihre roten Haare und schlug den Kopf zurück.

      „Mit dem Scheich mitgehen? Das wäre das Letzte, das ich tun würde. Aber gut so. Dann verdreh du doch deinen Patienten den Kopf, ich dreh durch bei diesem Scheich.“

      Es war Mittagspause. Fabienne kam und nahm Sarah und Heidi zum Mittagessen in die Kantine mit.

      Dort war der Scheich erneut das beherrschende Thema, obwohl er der gesündeste Patient auf der ganzen Station war.

      „Stolz, ja das ist er. Erst spielt er sich als großer Kalif auf, und


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