Täterland. Binga Hydman

Täterland - Binga Hydman


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die Striegelbürste in der Hand, machte er auf die Haushälterin eher den Eindruck eines zweiundzwanzigjährigen Mannes, als den eines siebzehnjährigen Knaben. Martins stahlblaue Augen hatten einen warmen, aber dennoch harten Glanz und sein muskulöser, sportlicher Oberkörper strahlte Kraft und Stärke aus. Martin war 1,88 m groß und durch die Arbeit auf dem Hof von sportlicher Statur. Der Junge zog sich das Hemd an, dass er während des Striegelns der Pferde ausgezogen hatte. Dann legte er die Bürste auf den Rand eines Wasserfasses und machte sich auf den Weg zum Haupthaus. Mit leichten, schnellen Schritte stieg er die sieben Stufen zur Empfangshalle hinauf. Ursula Kleinow trat einen Schritt zur Seite und hob dabei drohend ihren Finger in Richtung der Zimmerdecke. „Händewaschen nicht vergessen, junger Mann!“ Martin überlegte, ob er der Haushälterin eine sarkastische Antwort geben sollte, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Ursula Kleinow war die gute Seele des Hauses von Amsfeld und Martin kannte sie schon sein ganzes Leben lang. Daher wusste er, dass jede Widerrede zwecklos war.

      Die alte Frau lebte nun schon seit 45 Jahren auf dem Anwesen und hatte sich seit seiner Kindheit um ihn gekümmert. Sie ist eine warmherzige Frau, die man einfach gern haben muss, dachte Martin und trat dann in das Esszimmer ein. Der angenehme Duft eines Bratens kroch ihm in die Nase. Als er den gedeckten Tisch betrachtete, erspähte er eine dampfende Fleischplatte, auf der ein riesiger Schweinebraten ruhte. In einer großen Schüssel türmten sich gekochte Kartoffeln und in einem etwa gleich großen Topf hatte Ursula frisches Gemüse vorbereitet. Am Ende des vier Meter langen Tisches saß Paul Gerhard von Amsfeld. Der ergraute Gutsherr hatte sich in eine Tageszeitung vertieft und schien das Eintreten seines Sohnes nicht bemerkt zu haben. „Diese verdammten Verbrecher“, entfuhr es ihm und dabei schüttelte mit einem angewiderten Gesichtsausdruck den Kopf. „Diese Kerle führen uns geradewegs in den nächsten Krieg.“ Seine Stimme war zu einem fast verzweifelten Flüstern geworden. „Hallo Vater.“ Der alte Mann ließ erschrocken die Zeitung sinken und blinkte überrascht auf. Seine Augen blieben an seinem Sohn hängen, und er fixierte Martin für einen kurzen Moment. Dann lächelte er und legte die Lektüre auf den Tisch. „Setz Dich, mein Sohn. Wir wollen endlich anfangen.“ „Wo ist Mutter?“, fragte Martin. „Sie ist nach Rummelsburg gefahren, um dort ein paar Dinge einzukaufen. Sie kommt sicher erst heute Abend zurück.“ Ursula Kleinow stellte zwei Flaschen Bier auf den Tisch und zog sich dann in die Küchenräume zurück. Vater und Sohn prosteten sich schweigend zu. Dann aßen sie.

      Martin blickte auf das große Ölbild, das hinter seinem Vater an der Wand hing. Es zeigte einen stattlichen und großgewachsenen Mann, der in eine rote Dragoneruniform der preußischen Armee gekleidet, in das große Nichts der künstlerischen Unendlichkeit zu blicken schien. Der graue Schnauzbart war perfekt gestutzt, die kerzengrade Körperhaltung drückte Selbstsicherheit aus. Die rechte Hand hatte der Mann lässig auf einen glänzenden Ledergürtel gelegt, der die Scheide seines Degens hielt. Martin stopfte sich eine Kartoffel in den Mund und grinste. „Also unser Vorfahre sieht irgendwie gelangweilt aus“, witzelte Martin und zeigte mit der Gabel auf das Bild an der Wand. Sein Vater drehte sich zu dem Gemälde um und warf einen prüfenden Blick darauf. „Der gute Richard hatte ein ereignisreiches Leben. Er sieht eher müde aus finde ich.“ Vater und Sohn prosteten sich zu und Martin erinnerte sich an die vielen Geschichten, die er in seiner Kindheit über den ersten Freiherrn von Amsfeld und den Familienwohnsitz gehört hatte.

      Richard Freiherr von Amsfeld, der Stammhalter der Sippe, hatte das Anwesen mit dem dazugehörigen Land im Jahre 1724 erworben und zum Familiensitz der von Amsfeld gemacht. Das Rittergut, das sich über 30 Millionen Quadratmeter erstreckte, war seit dieser Zeit immer wieder umgebaut und erweitert worden, bis es 1876 durch ein Feuer bis auf die Grundmauern niederbrannte. Nur der große Mittelturm des Haupthauses war durch das Feuer verschont geblieben. Theodor von Amsfeld, der damalige Gutsherr, ließ die zerstörten Gebäude und das Wohnhaus wieder aufbauen. Gleich neben den Stallungen wurden einige kleine Gesindehäuser für die Landarbeiter und ihre Familien errichten, in den sie kostenlos wohnen durften. Vor dem großen Wohnhaus entstand damals nicht nur eine Kapelle, sondern auch ein kleiner Pavillon, an dem sich in den lauen Sommerabenden die Familienmitglieder der von Amsfeld mit ihren Angestellten zu einem abendlichen Plausch trafen. In den darauffolgenden drei Jahrzehnten siedelten sich um den Hof herum, immer mehr Menschen an. Schon damals lebte es sich unter der Herrschaft des liberalen und weltoffenen Theodors nicht schlecht. Dutzende Häuser, eine Schule und sogar eine Tuchmacherei wurden um den Herrensitz herum gebaut, so dass der preußische König und deutsche Kaiser Wilhelm II im Jahre 1903 die Gründung des Dorfes Amsfeld befahl.

      „Ich werde heute Nachmittag in Treblin die beiden Stuten beschlagen lassen. Unser eigener Hufschmied ist letzte Woche von der Gestapo abgeholt worden.“ Martin sah, wie sein Vater bei den Worten angewidert das Gesicht verzog. Die Werkstatt des Hufschmieds Walter Rausch befand sich seit vielen Jahrzehnten in der Ortsmitte des Dorfes Amsfeld. Der stets freundliche und fast zwei Meter große Mann galt als ein ausgezeichneter und zuverlässiger Handwerker, der sich in den zwanziger Jahren eine Zeit lang für die Sozialdemokratie stark gemacht hatte. Nach der Machtergreifung der Nazis im Januar 1933 und dem darauf folgenden Verbot aller politischen Parteien, zogen sich viele Deutsche in das Privatleben zurück. Rausch, der niemals ein Amt bekleidet hatte, gehörte zu den wenigen Mutigen, die nach Hitlers Machtergreifung ihren Idealen treu geblieben waren. Ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen, wetterte er gegen das brachiale Regime und so war es nur eine Frage der Zeit, bis ihn ein Volksgenosse bei der Gestapo anschwärzte. Vor zwei Tagen war Rausch dann in den frühen Morgenstunden von Gestapo-Beamten abgeholt worden. „Das kann sich nur um einen Irrtum handeln“, sagte Martin, obwohl er tief in seinem Inneren ahnte, dass dem nicht so war. Sein Vater blickte ihn schweigend an. Dann erhob er sich und trat an das große Fenster heran. Auf den eben noch menschenleeren Hof war das Leben zurückgekehrt.

      Einige Landarbeiter hockten auf dem gemauerten Rand des Brunnens und genossen ihre Mittagspause. „Mein lieber Junge“, der Gutsherr schwieg für einen kurzen Moment, dann fuhr er mit leiser Stimme fort „Die Verhaftung von Rausch war alles andere als ein Irrtum. Wir leben heute in einem Land, in dem jede noch so kleine Kritik an der Staatsgewalt hart bestraft wird.“ Martin betrachtete seinen Vater aus dem Augenwinkel heraus. Er versteht die Welt, in der wir leben nicht mehr, dachte Martin. Seit 1919 leitete sein Vater die Geschicke des Guts. Nach dem Ende des 1. Weltkrieges hatte der ehemalige Rittmeister der 4. preußischen Garde-Kavallerie-Brigade seinen Dienst quittiert und sich mit seiner Frau auf das pommersche Rittergut in der Nähe der kleinen Stadt Rummelsburg zurückgezogen. Noch im gleichen Jahr kam hier ihr einziger Sohn Martin zur Welt. In den darauffolgenden Jahren der ersten deutschen Republik und der damit verbunden Abschaffung des Adels, lebte die Familie das Leben eines Großbauern. Paul Gerhard wurde zum Bürgermeister des Dorfes gewählt und zog 1920 als Abgeordneter der Deutschen Demokratischen Partei in den preußischen Landtag ein.

      Die DDP war 1918 gegründet worden und gehörte zu den wenigen Parteien, die sich uneingeschränkt zur Demokratie bekannten. Paul Gerhard, der zusammen mit dem Bankier und ehemaligen Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht zu den Gründungsvätern der DDP gehörte, zählte zu den wenigen Adeligen, die die politische Zukunft Deutschlands in der Demokratie sahen. Die offene Ablehnung der monarchischen Staatsform führte in den zwanziger Jahren in kurzer Zeit zu einer gesellschaftlichen Isolierung der Familie von Amsfeld. Die Mehrheit des immer noch kaisertreuen Adels lehnte die Weimarer Republik und ihren demokratischen Parlamentarismus ab. Während sich die Bevölkerung in den Großstädten einer gigantischen Inflation, hoher Arbeitslosigkeit und dem nackten Hunger ausgesetzt sah, feierten viele ehemalige Würdenträger des untergegangenen Kaiserreiches auf dem Ku'damm in Berlin die Nächte durch. Als es am 24. Oktober des Jahres 1929 in New York an der Wall Street zum Börsencrash kam, und die Kurse der Aktien daraufhin einbrachen, dauerte es nicht lange bis auch in Europa die Aktienmärkte zusammenbrachen. Viele Anleger verschuldeten sich und wurden bedingt durch eine rasant ansteigende Hyperinflation manchmal innerhalb von Tagen ihres Hab und Guts beraubt. Große Firmen mussten Konkurs anmelden und schlossen ihre Tore. Die Arbeitslosenzahlen erreichten bald die 6 Millionen Marke und das führte zu einer Radikalisierung der Bevölkerung. Das war fünf Jahren her und seit dieser Zeit hatte sich in Deutschland einiges verändert.

      Am 30. Januar 1933 erschlich sich eine Partei die Macht im Lande, die man zehn Jahre zuvor noch verboten hatte. Die NSDAP, eine nationalistische und ausgesprochen antisemitische Gruppierung,


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