Glücklicher als gedacht. Antoine Laurain

Glücklicher als gedacht - Antoine Laurain


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seine Schürze auf.

      Ich zog unter den entsetzten Blicken meiner Begleiter das Jackett aus.

      Der dicke Fleischer zog es vor, mein Jackett in der Hand zu halten, er meinte, wenn er da reinkäme, würde er nicht so bald wieder rauskommen. Ich zog seine Schürze an und band sie nach allen Regeln der Kunst über der rechten Schulter fest zu. Schon da änderte sich sein Gesichtsausdruck. Ich zog den Schnittschutzhandschuh an, dann nahm ich das Messer in die rechte Hand und begann meine Show.

      »Und für das hübsche blonde Fräulein? Was darf es sein?«

      »Zwei Lammkoteletts bitte«, sagte die junge Frau, die sich über den Scherz zu amüsieren schien.

      Ich nahm das große Stück Lammrücken, schnitt zwei Koteletts vor, hackte die Knochen durch und entfernte das Fett. Verpackt, gewogen, Kassenbon und auf Wiedersehen, Mademoiselle.

      Der Fleischer sah mir kopfschüttelnd zu. Immer mehr Leute drängten sich um den Stand. Dann schnitt ich von einer Kalbsoberschale zwei schöne Schnitzel, gewogen, verpackt, Kassenbon und auf Wiedersehen, Madame.

      »Ich weiß nicht, wer dir das beigebracht hat, mein Junge, aber du bist kein Grünschnabel«, sagte der Fleischer. »Deinen Dercours wähle ich trotzdem nicht«, rief er in die Menge.

      »Das wissen wir doch, Riton, du wählst Jean-Marie!«, rief ein anderer Händler von seinem Fischstand.

      »Sicher stimme ich für ihn, auch wenn alle es wissen, das ist schließlich meine Sache!«

      Wir tauschten wieder Jackett und Schürze.

      »Und jetzt mal im Ernst«, sagte er leise, »das hast du doch nicht in deinen Kaderschmieden gelernt?«

      »Nein«, verriet ich ihm in vertraulichem Ton. »Der beste Freund meines Vaters war Fleischer. Als Kind war ich oft bei ihm, und er hat mir viel gezeigt.«

      Die Erklärung befriedigte ihn. Zum Beweis schlug er mir so kräftig auf den Rücken, dass er mir fast einen Wirbel verschoben hätte, und schenkte uns zwei Scheiben Kalbsleber.

      »Die Vorstellung ist zu Ende!«, rief er als Schlusswort. »Die Zungenfertigen gehen, aber wir haben noch leckere Rinderzunge im Angebot, greifen Sie zu!«

      Zwanzig Jahre später war die Vorstellung wirklich zu Ende. Inzwischen war ich mit dem blonden Fräulein verheiratet, das mir zwei Lammkoteletts abgekauft hatte. Sie hatte mich mit einem Lächeln am Nachbarstand erwartet.

      »Sie sind witzig, kann man Ihnen im Wahlkampf helfen?«

      »Ja natürlich, indem Sie mit mir Mittag essen«, hatte ich frech geantwortet.

      Sie war so dreist zuzusagen. Unsere Tour auf dem Markt endete ein paar Stände weiter, und wir gingen zurück ins Büro. Die Wahlkämpfer, die mich begleiteten, waren mit Lebensmitteln beladen. Derks Wahlzentrale befand sich in einer ehemaligen Weingenossenschaft, zu der ein kleiner Pavillon mit Küche in einer Ecke des Gartens gehörte. Dort verspeisten wir den wie immer zu reichlichen Einkauf vom Markt. Meine Unbekannte bereitete die Kalbsleber, die uns der Fleischer geschenkt hatte, mit Himbeeressig und Bratkartoffeln zu. Ein Teller für sie, einer für mich, ein Mittagessen auf einem Wachstuch, das noch aus Pompidous Zeiten stammen mochte.

      »Wer sind Sie?«, fragte ich sie.

      »Sylvie Desbruyères, die Tochter von Bastien Desbruyères.«

      »La Musarde?«

      »La Musarde«, bestätigte sie lächelnd.

      Mich überkam eine Welle von Nostalgie, fast schon Traurigkeit, als ich mich all dieser Dinge erinnerte. Anfänge sind wunderbar, in der Liebe wie in der Politik, und ich hätte viel gegeben, um diesen Sonntagvormittag noch einmal zu erleben, den dicken Front-National-Fleischer und das Wachstuch der Genossenschaft, die zehn Jahre später auf meine Anweisung hin in einen Kindergarten verwandelt worden war.

      Vielleicht hatte Sylvie recht, vielleicht sollte ich zum Arzt gehen. Sie ärgerte sich nicht nur über mein Herumgammeln, sondern auch über die unvorhergesehenen Auswirkungen der Wahlniederlage auf unser Liebesleben.

      »Du hast keine Lust mehr auf mich«, sagte sie eines Abends in der Stille der Nacht.

      »Nicht doch«, flüsterte ich. »Daran liegt es nicht.«

      »Woran dann?«

      Diese Frage wurde nur vom Reiben des Lakens, dem leisen Quietschen der Federung und der Stille unseres Zimmers beantwortet. Was sollte ich sagen? Dass ich auf nichts mehr Lust hatte, weder auf sie, noch auf irgendetwas anderes?

      Seit meiner Niederlage hegte ich einen leichten Groll gegen Sylvie. Für sie ging einfach alles weiter. La Musarde war ihr Leben, die Politiker kamen, der Laden lief, alle Anstrengung galt dem Ziel, den dritten Stern zu behalten. Gleich am Tag nach den Wahlen, als für mich mein allmorgendlicher Winterschlaf begann, war Sylvie ins Restaurant zurückgekehrt, als wäre alles beim Alten. Ich habe eine der besten Köchinnen Frankreichs geheiratet, ich, dem selbst pochierte Eier zwei von drei Mal missglücken. Für meine Frau ist das Kochen eine Berufung, ein heiliges Amt. Wenn man die Kochkunst auf dieses Niveau hebt, hat sie etwas Mystisches. Ich erinnere mich an ein Gespräch zwischen Ducasse, Robuchon und Sylvie in Paris. Ich saß mit am Tisch, war aber völlig ausgeschlossen, ich verstand nichts von dem, was sie redeten und zeichneten. Ich fühlte mich wie auf einem Kongress russischer Chemiker mitten im Kalten Krieg. Schließlich verdrückte ich mich und ging aus Rache in den nächsten McDonald’s.

      Bei uns ist der Kühlschrank ständig voller Experimente, die auf dem heimischen La-Cornue-Herd durchgeführt werden. Es gibt Gläser mit seltsamen Flüssigkeiten und der Aufschrift »Nicht öffnen«, darunter die detaillierte Zutatenliste. Merkwürdige Experimente von Austern mit Thymian oder Kalbsbries mit Honig. Gerichte, die ich sehr lecker finde, werden als »schlecht, iss das nicht« abgetan und verschwinden aus meinem Blickfeld in Richtung Mülleimer, während ich mit der Gabel in der Luft dastehe. Den Gipfel dieses Hangs zur Perfektion hat sicher Vatel erreicht, der sich am 24. April 1671 in sein Schwert stürzte, weil die Austern nicht rechtzeitig geliefert worden waren. Ein Gericht zu verpatzen ist für einen Koch wie die Abwahl für einen Politiker. Manche entscheiden sich für radikale Lösungen, um dieser Hölle zu entkommen. Jeder hat seinen Märtyrer, die Köche Loiseau, wir Bérégovoy. Angesichts ihrer Selbstmorde gefriert einem das Blut in den Adern, sie sind der letzte Ausdruck einer Ablehnung des Scheiterns, künden von einer so hohen Meinung von sich selbst, dass kein Ausrutscher erlaubt ist. Der kleinste Zwischenfall wird als Katastrophe erlebt. Dann stürzt man sich in den finstersten Abgrund, aus dem man mit den Füßen zuerst, aber mit unbefleckter Ehre herauskommt.

      Ab und zu spazierte ich durch die Küchen von La Musarde, verschränkte die Hände auf dem Rücken, grüßte Sylvies Angestellte und ließ den Blick über Kochtöpfe mit undef‌inierbarem Inhalt schweifen. Schon als Kind hatte ich gelernt, als privilegierter Besucher an heiligen Orten der Kunst geduldet zu werden. Damals waren es nicht die Feuer der Küchenherde, sondern das Scheinwerferlicht. Meine Mutter war Schauspielerin, eigentlich ist sie es immer noch. Ich kenne den roten Samt der Theater an den Grands Boulevards, aber auch die Metallvorhänge, die die Feuerwehrleute vor jeder Vorstellung prüfen. Vor allem der Schnürboden mit seinen tausend Kabeln und Seilrollen hatte es mir angetan. Wenn die Bühne, auf der so viele Leute spielten oder herumliefen, menschenleer und ich ganz allein da oben war, wurde mir schwindlig, aber das dauerte nie sehr lange, weil mich meine Mutter suchte oder besser gesagt vom Inspizienten oder einer Hilfsgarderobiere suchen ließ, die mich in ihre Garderobe zurückbrachten.

      Marie Dava hatte mehr als zwanzig Jahre lang Erfolg. Nicht mit Pinter oder Corneille, nein, ihr Register war der Boulevard, der so französisch daherkam und in Wirklichkeit aus dem Englischen übersetzt war. Appartement pour quatre, Viens dormir à l’Assemblée, L’Arnaqueuse, Lily est partie, Le vison voyageur. Ich verstand nicht richtig, warum meine Mutter im Zuschauerraum für so viel Gelächter sorgte, wo sie doch zu Hause verbittert und launisch war. Wie alle Schauspielerinnen berauschte sie sich am Beifall. Eine einzige Geste, ein bloßes Schulterzucken sorgten im Saal für größte Heiterkeit. Ich bin wahrscheinlich allem begegnet, was diese oft in


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