Unser täglich Bier gib uns heute. Theobald Fuchs

Unser täglich Bier gib uns heute - Theobald Fuchs


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Österreich übrigens mittlerweile auch …

      „Wir haben die meisten Brauereien!“ Nun ja, außer den Vereinigten Staaten und Großbritannien, bald auch Italien.

      „Aber die meisten Brauereien pro Kopf!“ Tja, in der Anzahl der Brauereien pro Einwohner schlägt uns nicht nur die Schweiz, sondern beispielsweise auch Liechtenstein.

      „Wir produzieren am meisten Bier.“ Wenn man China nicht mitrechnet, stimmt es trotzdem noch nicht.

      „Wir haben die beste Bierkultur der Welt!“ Deswegen wurde ja auch die belgische Bierkultur als immaterielles Kulturerbe der UNESCO anerkannt, nicht die deutsche.

      „Wir haben die meisten Bierstile!“ Oh, ja, Helles, Dunkles, Weizen und Pils. Oder war da noch was? Ich frag mal den Uitbater meines belgischen Lieblingscafés, was er dazu sagt.

      „Aber die beste Zapfkultur!“ Natürlich, wenn man abgestandenes und warm gewordenes Sieben-Minuten-Pils mag.

      „Haben wir denn die größten Brauereien?“ Auch, wenn die Fragen jetzt vorsichtiger werden, aber: Nein! Bei weitem nicht. Selbst Oettinger ist nur ein Kleinbetrieb im internationalen Vergleich!

      „Können wir uns wenigstens darauf einigen, dass unsere Brauereikultur national ist?“ Beck’s gehört AB InBev, Franziskaner, Diebels, Löwenbräu, Spaten auch.

      Aber Paulaner nicht. Die gehören wie Fürstenberg und Thurn und Taxis in großen Teilen zu Heineken.

      „Das Reinheitsgebot?“ Ja, vielleicht ein bisschen. Es gilt immerhin auch in so wichtigen Bierländern wie Griechenland und auf den Seychellen.

      „Und was ist dann an uns Bierland Nummer 1?“ Nun, vermutlich nur die große Klappe der Bierdimpfl, wenn sie im Ausland unterwegs sind.

      03.02.

      ARSCHLOCHFREIE ZONE

      Zu meinem 16. Geburtstag schenkten mir meine Eltern eine Party bei uns Zuhause. Nur ich, meine Freunde und Alkohol. Sie selbst verabschiedeten sich für eine Nacht zu Freunden.

      Ich freute mich sehr auf die Party und wollte meinen Gästen etwas bieten. Also kaufte ich alle Sorten, die unser lokaler Supermarkt Interkauf zu bieten hatte. Und das waren überraschend viel. Sogar ein Cains Stout in einer Ein-Liter-Dose war dabei. Die Brauerei gehörte zu der Zeit der Faxe Bryggeri.

      An die Party erinnere ich mich heute weniger als an die Fragen meiner Eltern am nächsten Tag, warum denn auf dem neuen Teppich auf der Treppe eine Tube Uhu verteilt war und wer zum Geier mit Lippenstift an die Wand in der Toilette gemalt hat. Geblieben ist in jedem Fall meine Liebe zum Bier in seiner unglaublichen vielfalt.

      Heute arbeite ich als Chefredakteur bei Bier und Brauhaus, dem ältesten deutschen Biermagazin. Dabei habe ich viele Menschen kennengelernt, die mit sehr viel Leidenschaft diese Vielfalt ermöglichen – und seit einiger Zeit auch viele, die die Vielfalt mit viel Leidenschaft erklären: vom Hopfenbauern über die Brauer bis zu den Biersommeliers.

      Manchmal frage ich mich dabei, warum sich die Liebe zum Bier nicht abnutzt und ich heute noch mit ebenso leuchtenden Augen vor vollen Bierregalen stehe wie mit 16 Jahren. In jedem Fall glaube ich, dass diese Liebe zum Bier dafür sorgt, dass die Bierbranche eine ziemlich arschlochfreie Zone geblieben ist. Ein paar Protagonisten aus dieser Zone möchte ich in diesem tollen Buch vorstellen.

      04.02.

      LENNARTS ECK

      Aus Ilse wurde Lennart. Und Lennart fand uns cool.

      „Ein bisschen rott passt zu Clean Chic“, sagte er.

      Die holzvertäfelten Wände blieben, die tiefergehängte Zwischendecke verschwand. Mit ihr und Ilses Vorhängen der Zigarettengeruch von fast fünf Jahrzehnten. Wir blieben. Ilses zwei Zapfhähne nicht.

      Jetzt sind es zehn. Blank poliert. „Das schreit nach Tap-Takeover“, prophezeite Lennart beim Einbau.

      Wir sechs sind jetzt in die Jahre gekommenes Sitz-Plateau für gutaussehende Gäste. Für bärtige Männer mit großen Brillen und Frauen mit Dutt. Der tiefrote Lippenstift sitzt. Die Maurerknolle ist weg. Es gibt viele Biere, aber keins läuft mehr an unseren hölzernen Beinen hinunter. Man wählt mit viel Bedacht. Nicht mit Durst oder Einsamkeit. Man trinkt es aus bauchigen Gläsern mit Stil. Der Lippenstiftabdruck umschließt den Glasrand. Man doziert, man fachsimpelt. Man findet schöne Worte. Manchmal sitzt ein stiller Gast auf meiner Sitzfläche. Nimmt das Bier entgegen, das nun andere Namen trägt. Frisch gezapft. Es nennt sich Westküsten IPA, oder auch mal Sour, mal Baltic Porter. Der Gast guckt scheinbar verträumt ins Glas, hält das Glas vor Ilses Tresenleuchte. Nach dem ersten Schluck sieht er zufrieden aus, nach dem zweiten strahlt er. Er sitzt allein, seine Beine ruhen auf

      meiner Querstrebe.

      Und er genießt. Und schweigt.

      05.02.

      ZWINGENDES WISSEN

      Wie schön man sich vom Nebentisch aus über den Weintrinker lustig machen konnte! Jahrzehntelang machte dieser seine Flüssigkeitszufuhr zum dominanten Thema einer Bestellung. Er legte beim Blick in die Weinkarte die Stirn in Falten, wählte die Farbe seines Getränks und entschied sich für einen Kontinent,

      ein Land,

      eine Region,

      eine Traubensorte,

      einen Winzer,

      einen Jahrgang.

      Er evaluierte die geografische Ausrichtung des Weinbergs, die Geologie des Untergrunds, das Alter der Weinstöcke. Zu klären hatte er die Frage nach Barrique. Und damit jeder mitbekam, mit wie viel zwingendem Wissen fortgeschrittener Konsum von Wein einhergeht, stellten Gourmetrestaurants ihren Gästen einen Sommelier zur Verfügung. So ließen sich alle Aspekte im Experten-Talk erläutern: Körper, Tannine, Textur.

      Dem gemeinen Biertrinker war all diese Affigkeit fremd. Bestellte er ein Getränk, ging es schnell. Pils oder Weizen. Groß oder klein. Flasche oder Zapfhahn. Doch seit die Mengen der getrunkenen Kreativbiere Relevanz erreicht haben, beobachtet der Biertrinker an sich wunderliche Dinge. Er erkundigt sich nach der Bierkarte. Darauf finden sich

      Kontinente,

      Länder,

      Erzeuger,

      Bierstile,

      Malzsorten,

      Hopfensorten.

      Mitunter Jahrgänge und lateinische Namen von Hefen. Da kommt auch schon der Biersommelier und will übers Terroir reden.

      06.02.

      DIE BIERTRINKERIN

      ist von edlem Gemüt und gemeinhin dafür bekannt, sich unter vielen Optionen stets für die klügste zu entscheiden. Sie ist genügsam, aber niemals geizig und legt keinen Wert auf Statussymbole.

      Die Biertrinkerin spricht stets in angemessener Lautstärke und weder zu schnell, noch zu langsam. Sie hat einen strammen Bizeps und zarte Gesichtszüge, ihr Haar ist voll und geschmeidig. In politischen Fragen zeichnet sich die Biertrinkerin durch eine konsequente und wohlüberlegte Haltung aus, bleibt dabei jedoch immer differenziert und fair gegenüber ihren Gesprächspartnern. Als Gastgeberin glänzt sie mit Großzügigkeit und einem erlesenen Musikgeschmack. Im Gegenzug ist sie selbst ein gern gesehener Gast, sowohl bei formellen Anlässen als auch im intimen Bekanntenkreis. Die Biertrinkerin verfügt über einen ausgezeichneten Humor. Sie weiß zielsicher, wie weit sie bei ihrem Publikum gehen kann und schweift nie ins Plumpe ab. Generell ist die Biertrinkerin eine wichtige Stütze der Gesellschaft. Wir alle dürfen und sollten uns ein Beispiel an ihr nehmen.

      ▲ alle anderen Geschlechter sind mitgemeint

      07.02.

      TITTIES & BIER 2

      Die Idee für die Zeitschrift fermentiert knapp eine Woche. Dann beraume ich eine Redaktionssitzung ein. 30 Grad im Schatten. Ich bestelle die Craft-Bier-Vertreterin Amy, den jungen Gastronomen


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