Durch Schatten gehen. Birgit Treckeler

Durch Schatten gehen - Birgit Treckeler


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in diesen Tagen gerade überdeutlich vor Augen geführt. Nichts konnte ich mehr so richtig genießen, hatte auch keine Kondition mehr. Und das Schlimmste war, dass nichts mehr mein Interesse so richtig weckte, ich mich an nichts mehr erfreuen konnte.

      Eigentlich wurde mir bereits damals schon alles zu viel.

      Dann, noch am gleichen Abend während des Abendessens im fast menschenleeren Speisesaal des Hotels, versuchte ich, Eberhard von meinen Gedanken und meiner schlechten Verfassung zu erzählen. Es war nicht leicht, denn ich hatte mir ja selbst gerade erst Gedanken dazu gemacht. Einen klaren Businessplan für die Zukunft konnte ich ihm also nicht präsentieren. Aber ich versuchte, ihm zu erklären, wie ich mich fühlte – und dass ich wohl dringend eine Auszeit brauchte. Erzählte ihm von meiner Abgeschlagenheit und von meinem Gefühl, ständig überfordert zu sein. Ich redete und redete – und dabei überkamen mich Tränen, machten mich blind.

      Eberhard sah mich an, hörte mir wortlos zu, sagte aber auch danach nichts. Unglaublich, er schwieg einfach! Als ich ihm das vorwarf, meinte er nur, er wisse nicht, was er dazu sagen solle. „Was willst du denn jetzt machen, hast du darüber schon mal nachgedacht?“

      Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und erzählte von meinem Gefühl, nicht mehr weiterzukönnen. „Mir fehlt total die Energie, ich weiß nur, dass ich bald irgendwas ändern muss.“ Als er immer noch nichts sagte, erzählte ich ihm von meiner Idee. „Ich würde die Firma gerne verkaufen, ich schaffe das alles nicht mehr. Ich könnte in der Beratungsstelle mehr Stunden machen und nebenbei noch Coaching und Beratung auf Honorarbasis anbieten. Wahrscheinlich würde ich weniger verdienen, aber ich hätte wieder mehr Zeit und mehr Ruhe für mich, für uns.“ Sein Schweigen daraufhin war für mich kaum auszuhalten. „Sag doch, was hältst du davon? Sag mir, was du denkst!“ Ich wusste, von seiner Antwort würde eine ganze Menge abhängen.

      „Ich halte das für keinen guten Einfall“, meinte Eberhard kühl. „Die Firma läuft topp und die regelmäßigen hohen Umsätze sind doch eine hervorragende finanzielle Sicherheit für uns, die guten Einnahmen brauchen wir doch allein schon, um unseren Lebensstandard zu halten. Denk mal an die ganzen Renovierungen, die noch anstehen! Ich würde das nicht machen, nicht zum jetzigen Zeitpunkt. Veränderungen in unserer momentanen Situation halte ich für unklug.“ Offenbar war das alles, was er dazu zu sagen hatte.

      Nun gab es auch kein Halten mehr für mich, die Tränen rannen mir übers Gesicht, das zu einer Maske erstarrt war. Ich war so enttäuscht von ihm, von seiner Reaktion. Dass er keine Gedanken lesen konnte, nicht verstand, wie schlecht es mir damals ging, war die eine Sache. Aber nachdem ich ihm von meinem Zustand erzählt hatte, von meinen

      Gefühlen und meiner Überforderung, hätte ich doch deutlich mehr Verständnis erwartet. Hätte er nicht überhaupt erschrocken sein müssen, dass er das so gar nicht bemerkt hat? Aber selbst meine Tränen, die er eigentlich sehr selten zu sehen bekam, erreichten ihn nicht. Hilflos wendete er den Blick von mir ab und schwieg wieder, während er mit der Stoffserviette in seiner Hand spielte. Ganz offenbar war er peinlich berührt von meiner Tränenflut und froh darüber, dass ich mit dem Rücken zum Speisesaal saß und das Personal und die anderen Gäste diesen Vorfall nicht bemerkten.

      Er unternahm an jenem Abend keinerlei Versuch mehr, mich zu verstehen oder gar zu trösten, er änderte auch seine Meinung nicht. Er kam nie wieder auf das Thema zu sprechen. Nach dem Essen ließen wir uns an die Hotelbar einige Martinis mixen, saßen danach, in dieser lauen Sommernacht, mit unserem Drink in der Hand schweigend auf der Terrasse des Hotels. Ich hätte schreien können, schreien vor Verzweiflung, vor Wut und Enttäuschung. Aber wir schwiegen uns lediglich an, wie so oft in jener Zeit. Ich zählte die Tage bis zum Ende der Reise.

      Für mich war das ein Wendepunkt, in unserer Beziehung. Ich habe Eberhard diese gefühllose und egoistische Reaktion nie wirklich verziehen und kann mich auch heute noch gut an die Demütigung jenes Abends erinnern. Aber wir sprachen nie wieder darüber, über die Situation nicht und über meinen Vorschlag auch nicht mehr. Ich brachte diesen Urlaub irgendwie hinter mich. Ich wusste, dass ich mich künftig nun noch mehr zusammennehmen müsste und mich, sobald ich wieder zu Hause wäre, noch mehr anstrengen würde, um alles hinzubekommen und die unausgesprochenen Ansprüche meines Mannes an mich zu erfüllen.

       Dass ich nie wieder in meinem Leben nach Italien würde fahren müssen, konnte ich zum damaligen Zeitpunkt natürlich nicht wissen. Und dass es dieser Abend sein sollte, der – da bin ich mir heute sicher – unser schleichendes Ende eingeläutet hat, ahnten wir beide offenbar ebenfalls noch nicht.

      ***

      Wieder zu Hause, machte ich weiter wie zuvor. Vermutlich intensivierte ich meine Anstrengungen sogar noch, um den Alltag zu bewältigen. Im Beruf war ich weiterhin auf der Erfolgsspur, hatte zufriedene Kunden und zudem die absurde Idee entwickelt, in den kommenden Monaten meine Firma zu vergrößern. Im meinem Unternehmen wie auch in der Beratungsstelle galt ich als kompetente Ansprechpartnerin, zerteilte mich, zerriss mich für alle Seiten. Und wenn mir Christin in der Beratungsstelle mal wieder noch einen weiteren Fall anbot, war es klar, dass ich selbstverständlich auch den übernehmen würde. Ein Nein hatte zu dieser Zeit in meinem Wortschatz keinen Platz. Ich überlegte sogar, vielleicht noch ein Fernstudium der Psychologie zu beginnen.

      Meine Großmutter besuchte ich im Seniorenheim oder im Krankenhaus regelmäßig. Sie stand nun schon kurz vor ihrem 100. Geburtstag und zeigte deutliche Anzeichen von Demenz. Oft hatte ich keine Geduld mit ihr, schränkte die Besuche auch etwas ein, fuhr nicht mehr täglich, sondern nur noch alle zwei bis drei Tage zu ihr hin. Ich spürte in mir immer weniger. Der Schreibtischkalender war randvoll mit Terminen, die verschiedenen Aufgabengebiete markiert mit unterschiedlichen Farben. Und wenn ich nach zwölf oder vierzehn Stunden endlich Feierabend machen konnte, fühlte ich mich innerlich total leer. Nicht selten ging ich sofort ins Bett, schlief auf der Stelle ein – oder weinte, wenn ich alleine war, vor Ermüdung und Erschöpfung. Aber statt die Menge meiner Tätigkeiten endlich runterzufahren, suchte ich mir nur noch mehr Aufgaben, stellte mich immer neuen Herausforderungen.

      Möglicherweise hätte ich meinen endgültigen Zusammenbrauch ja noch abfedern oder gar verhindern können, wenn ich damals bereits erkannt hätte, in was ich mich da hineingearbeitet hatte. Aber meine Anstrengungen nur ein wenig zu reduzieren, einmal einen Gang kürzer zu treten, hätte an meiner Situation grundsätzlich dann doch nichts mehr geändert, dafür war die Abwärtsspirale schon viel zu deutlich vorgezeichnet.

      Natürlich hätte ich mein Unternehmen auch gegen Eberhards Willen verkaufen und mir eine mehrmonatige Auszeit, die ich so dringend brauchte, nehmen können. Ein Ferienhaus an der Ostsee mieten, mich mit den beiden Hunden für zwei oder drei Monate total ausklinken aus der Hektik und dem Stress. Lange schlafen, lange Spaziergänge, kein Leistungsdruck, keine Gedanken an die Zukunft verschwenden. Das hätte mich – vielleicht – damals noch einmal retten, die Katastrophe abwenden können.

       Ein Therapeut, der sich mit dem Thema Burnout auskennt und weiß, dass zu einer

      Veränderung nicht nur eine Auszeit, sondern auch eine vollständige Lebensumstellung gehört, hätte mir zur Seite stehen müssen. Und dann hätten wir uns an die Ursachenforschung begeben müssen. Wie kann es sein, dass viele Menschen ebenfalls sehr viel arbeiten – ich denke da zum Beispiel an Maya, meine langjährige Freundin – und nicht krank werden? Maya ist ebenfalls ein Workaholic, seit ich sie kenne – und das sind nun schon über zwanzig Jahre. Einser-Abitur, Einser-Psychologie-Studium, jahrelang gearbeitet, nebenher Karriere als freiberufliche Kommunikationspsychologin. Zugleich ist sie auch ein Familienmensch, durch und durch, hat neben ihrem Mann den Haushalt und ihre beiden Jungen im Griff und letztere erfolgreich auf das Leben vorbereitet. Wie schaffen andere Menschen all das, ohne krank zu werden? Woran erkennt man, welcher Antrieb aus einem gesunden Ehrgeiz resultiert und welcher aus einem krankhaften?

      Nur einen Gang herunterschalten, dem Stress kurzfristig den Rücken kehren, ein wenig Entspannung suchen, reicht aber in der Regel nicht aus. Nach einer kurzen Auszeit verfallen viele Betroffene wieder in die alten Muster, machen da weiter, wo sie unmittelbar vor ihrem Zusammenbruch aufgehört haben. Wenn sich nicht grundsätzliche Einstellungen verändern, wesentliche Elemente im Leben dauerhaft überdacht und modifiziert


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