Durch Schatten gehen. Birgit Treckeler

Durch Schatten gehen - Birgit Treckeler


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nun akribisch vorbereitet werden, Zahlen und Statistiken, Daten und Dateien werden demnächst den Besitzer wechseln. Das alles kostet mich viele Stunden am Schreibtisch. Doch die dafür notwendige Konzentration und Motivation sind eben nicht vorhanden. Der Wille, es zu schaffen und alles Nötige für die Abwicklung zu erledigen, fehlt mir ganz einfach. Oft verlasse ich mitten in irgendwelchen Datenübertragungen das Büro, breche laufende Vorgänge einfach abrupt ab und stecke den Kopf erneut in den Sand. Konkret bedeutet das: Schnell wieder ab auf die Couch, unter die Decke, einen alten Kitschfilm in den DVD Player einlegen – und abtauchen für die nächsten Stunden. Oder viel weinen. Oder viel schlafen.

      Mein Unternehmen werde ich den Nachfolgern auf jeden Fall in einem mächtigen Chaos übergeben, so viel steht schon mal fest. Aber sie werden sich ja in der Branche auskennen und das alles schon wieder irgendwie geregelt und geordnet kriegen. Und wenn nicht – eigentlich ist mir das auch egal.

      In den nächsten Tagen will es mir einfach nicht besser gehen. Deshalb dringt Dr. Bilder nun darauf, mir zügig eine Klinik, möglicherweise eine Privatklinik zu suchen, denn ihrer Meinung nach benötige ich unbedingt – und zwar auch sehr zeitnah – eine stationäre Therapie. Einen anderen Weg aus meiner Krise gibt es also offenbar wohl nicht. So recherchiere ich diverse Privatkliniken im Lande, zu meiner Überraschung gibt es mehr als genug davon. Für jede psychische Störung scheint eine eigene Fachklinik oder Fachabteilung mit speziellen Behandlungsplänen spezialisiert zu sein. Bereits die Angebotsvielfalt ermüdet mich und, wie nun bereits Gewohnheit, verschiebe ich die Entscheidung und weitere Planungen mal wieder auf die nächsten Tage. Setze mich aber doch gelegentlich an den PC, weil ich genau spüre, dass ich mich nun wirklich einer Behandlung unterziehen muss und es dazu derzeit auch keine Alternative mehr gibt. Allein jedenfalls bekomme ich das nicht mehr in den Griff.

      Während die Tage an mir vorbeiziehen, versuche ich – einmal tapfer, dann wieder verzweifelt – heimisch zu werden in meiner neuen Wohnung und zumindest einen halbwegs normalen Tagesablauf zu bewältigen. Aber was ist schon normal in dem Gefühlszustand, in dem ich nun schon wochenlang verharre? Was ich noch bis vor kurzem zwar nicht mehr mit Leichtigkeit, aber doch stets diszipliniert erledigt habe, kann ich heute kaum mehr bewältigen. Lange vor meinem Zusammenbruch und vor der Trennung – heute schätze ich, bestimmt zwei oder drei Jahre zuvor – habe ich mich bereits überfordert gefühlt von meinem Alltag, ausgebrannt und abgestumpft. Aber ich habe dennoch all die vielen Aufgaben, mit denen ich konfrontiert war, bestmöglich erledigt und über leise angemeldete Zweifel hinweg, einfach immer weiter gemacht.

      Wie so oft in den vergangenen Wochen frage ich mich, warum Eberhard nicht eingegriffen hat? Warum hat er meine Krankheit nicht erkannt, meine Wesensveränderung? Warum hat er mich in all den Jahren nicht einmal auf meine Persönlichkeitsveränderung angesprochen? Die muss er doch bemerkt haben! Wahrscheinlich war sie auch zu bemerken, nur ist er eben anders damit umgegangen, als ich es mir gewünscht hätte. Denn Gleichgültigkeit – das ist wohl das letzte, das man sich von seinem Partner wünscht. Ja, Eberhard hatte damit angefangen, mich zu kritisieren und rumzunörgeln, hat mehr als einmal bedauert, wie sehr sich unsere Beziehung verändert habe. Für ihn gab es inzwischen zu wenig Action, zu wenig Abenteuer, zu wenig Sex. Nie hat er mich offen dafür kritisiert, dafür war er wohl zu feige. Ich konnte es lediglich seinen spitzen Bemerkungen und verbalen Seitenhieben entnehmen, die er mir wie nebenbei zuwarf.

      Ich erinnere mich wieder an jenen Abend in unserem letzten Italienurlaub, eineinhalb Jahre vor der Trennung. Ich hasste Italien, die Hitze, die ständigen Ausflüge, die vollen Strände, die lange Anfahrt, aber Eberhard liebte es. Unser Geschmack in punkto Reiseziele ging in den letzten Jahren deutlich auseinander. Vielleicht hatten wir ja auch vorher schon unterschiedliche Vorlieben und es schlichtweg nicht sehen wollen. Also beschlossen wir vor längerer Zeit, jährlich abwechselnd zu bestimmen, wohin es gehen sollte. Meine Wünsche variierten, ich wollte nach Frankreich, auf die Kanalinseln, an die Ostsee. Aber für Eberhard gab es stets nur das gleiche Reiseziel – und so fuhren wir also jedes zweite Jahr nach Italien.

      In jenem Jahr waren wir nicht am Meer, sondern an einem See in der Nähe von Rom, dem Bolsenasee. Ein schickes Hotel und eine schöne, aber auch langweilige Umgebung war Programm.

       Heute weiß ich, dass sich dort der Beginn vom Ende unserer Liebe anbahnte. Es kam zu Situationen und Szenen, die ich zwar im Alltag verdrängt habe, aber dennoch einfach nicht mehr vergessen kann. Und die auch meine Gefühle für Eberhard verändert haben. Hier machten sich auch die ersten Symptome meiner Burnout-Erkrankung deutlich bemerkbar. Ich konnte sie damals nicht dechiffrieren, habe sie nicht erkannt. Und es sollte lange dauern, bis ich verstehen konnte. Aber an jene heißen Tage im August kann ich mich selbst heute, viele Jahre danach, noch sehr klar und auch schmerzlich erinnern.

      Eberhard war so glücklich, endlich wieder in seinem geliebten Italien zu sein. Er wollte ständig unterwegs sein, Sightseeing im ganz großen Stil, wie immer jede Minute seines Urlaubs auskosten. Wir waren in Rom, dann wieder inmitten von Olivenhainen, dann in vielen anderen Städten der Umgebung, am Meer und – eben einfach ständig unterwegs. Als ich nach ein paar Tagen das Gefühl hatte, keinen einzigen weiteren Schritt bei über 40 Grad mehr machen zu können, bat ich mir ein, zwei Tage am Pool zum Pausieren aus. Widerwillig stimmte er zu. Allerdings ging es mir am Pool auch nicht viel besser. Ich spürte, dass ich die Ruhe nicht genießen konnte, sondern eine unglaubliche innere Gereiztheit von mir Besitz ergriff. Ich konnte es kaum auf der unbequemen Liege aushalten. Die Bücher, die ich dabei hatte, interessierten mich nicht mehr und es gelang mir kaum eine Minute, mich auf den Inhalt zu konzentrieren. Auch die Versuche zu schlafen waren nicht von Erfolg gekrönt. Die Gedanken in meinem Kopf fuhren Achterbahn und ich dachte nur an die Arbeit, die mich nach unserer Rückkehr erwarten würde. Also war es keine gute Idee hierzubleiben. Aber unterwegs sein wollte ich auch nicht mehr. Ich fühlte mich so müde, so unruhig, so leer.

      Eberhard bekam meine Unruhe mit und reagierte entsprechend genervt. „Was ist denn los mit dir?“, fragte er gereizt. Ihm ging es gut: Er schwamm im Pool, döste im Schatten vor sich hin oder las ein Buch. Er genoss sein Italien.

      Ich spürte, dass ich weinen musste, antwortete ihm mit Unbehagen: „Ich glaube, es war doch keine so gute Idee, hier so herumzuliegen, ich kann mich partout nicht entspannen. Mir ist so heiß, ich fühle mich innerlich unruhig, irgendwie. Ja, eigentlich total gestresst.“ Um die hochkommenden Tränen zu überspielen, begann ich, mit ihm herumzualbern, fragte wieder und wieder wie ein Kind, wie lange wir denn noch hier so tatenlos herumliegen müssten. Seine genervte wie brutale Antwort kam postwendend: „Für jedes Mal Fragen bleiben wir noch eine Stunde länger hier!“

      Vielleicht hätte ich ja einfach darüber lachen sollen, aber es gelang mir nicht. Ich fragte mich die ganze Zeit über, ob er überhaupt nicht bemerkt, wie schlecht es mir offenbar geht. Ärgerlich begann ich, unsere Beziehung zu hinterfragen. Was passte denn zwischen uns nicht mehr? Allerdings war mir zugleich klar, dass ich die im Moment wirklich Schwierige und Unzufriedene war. Mich überfiel Kälte, ein Frösteln. Ich dachte, dass dieser attraktive Mann, der vor mir im Pool seine Runden zog, doch mein Zuhause ist, der Mensch, der meinem Leben einen Sinn gibt, ein Garant für Verlässlichkeit, für meine Sicherheit und Stabilität. Dass ich das jemals verlieren könnte, stand für mich zum damaligen Zeitpunkt noch völlig außer Frage. Dennoch war ich enttäuscht, dass er meine schlechte Verfassung einfach ignorierte. Und ich spürte instinktiv, dass sich bald etwas würde ändern müssen für uns beide.

      Während ich in der Hitze das Ende des Tages herbeisehnte, kam ich zu der Einsicht, dass es so ja auch nicht weitergehen konnte. Zum ersten Mal machte ich mir konkrete Gedanken, welche Alternativen es zu meinen stressigen Berufsalltag denn geben könnte. Ich habe eine gute Ausbildung, verfüge über Fachkompetenz – ich könnte mich ja durchaus von meinem Unternehmen trennen und etwas Neues wagen. Dieses Jahr hatte ich ziemlich große Gewinne erwirtschaftet, die Firma mit einem nicht unerheblichen Kundenstamm wäre bestimmt einiges wert, so ging es mir durch den Kopf. Auch das Ende unseres Umbaus im Haus war allmählich absehbar, also brauchten wir meine hohen Einnahmen auch nicht mehr unbedingt und ich könnte ja wirklich einen Gang runterschalten. Mehr Stunden in der Beratungsstelle zu arbeiten, dazu hätte ich wohl Lust. Und nebenbei könnte ich ja vielleicht noch als freie Beraterin oder als Coach Seminare und Fortbildungen anbieten. Das wäre doch deutlich


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