Durch Schatten gehen. Birgit Treckeler

Durch Schatten gehen - Birgit Treckeler


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hinziehen, der Markt ist ja schwierig genug momentan. Und bis es soweit ist, leben wir hier einfach wie in einer WG zusammen und teilen uns die anfallenden Kosten“, fasst er seine Gedanken zügig und wie beiläufig zusammen.

      „Du hast das ja anscheinend alles schon durchgeplant“, erwidere ich tonlos.

      Eberhard geht darauf nicht ein, sondern fährt kühl fort: „Das Haus ist doch groß genug, wir können uns aus dem Weg gehen. Jeder lebt sein Leben und wir sind getrennt von Tisch und Bett. Das Trennungsjahr kann beginnen! Auch wenn wir hier gemeinsam wohnen, wir leben ja trotzdem getrennt.“

      Ich rühre mich nicht, kann es einfach nicht fassen. Bin starr. Warte darauf, dass er alles zurücknimmt und endlich sagt, dass es ja auch noch andere Möglichkeiten gibt. Wie lange ist es her, dass er mich anflehte, noch einmal von vorne zu beginnen mit unserer Liebe? Zwei, drei, doch höchstens vier Wochen. Woher kommt dieser unglaubliche Druck auf meiner Brust? Alles in mir zittert, der Mund ist trocken, ich kann mich nicht vom Sofa erheben, würde gerne gehen, den Raum endlich verlassen, weg von ihm. Aber ich weiß, meine Beine würden mich nicht tragen.

      Da spricht er schon weiter, als sei nichts geschehen: „Ich bin müde, ich gehe ins Bett.“ Ich schaue ihm nach, als er sich in Richtung Schlafzimmer wendet. Kann nicht glauben, dass er jetzt wirklich in unserem Bett schlafen will. Mir fehlt die Kraft, das zu klären, so lasse ich ihn gehen.

      Lady hat eine Pfote auf mein Bein gelegt, sieht mich an. Große braune Augen, ein trauriger, seelenvoller Blick. Sie liegt vor mir auf dem Sofa in dieser Nacht und ich frage mich, ob Hunde wohl auch weinen können …

      Ich finde keinen Schlaf, nicht in dieser Nacht und auch nicht in den folgenden Nächten. Ich bin am Tiefpunkt meines Lebens angelangt, der schlimmste und schmerzhafteste Moment, den ich je erlebt habe. Als es draußen allmählich dämmert, schlafe ich auf der unbequemen Ledercouch wohl doch noch ein. Beim Aufwachen bin ich für einen Moment orientierungslos, dann ist die Erinnerung zurück. Die Szenen des vergangenen Abends wollen wieder auftauchen, ich verdränge sie, kann das jetzt nicht aushalten.

      Ich gehe ins Schlafzimmer, die Hunde neben mir. Sie wollen nach draußen, sind unruhig. Mir fehlt heute die Kraft für den frühen Spaziergang. Eberhard schläft noch, ich höre seine gleichmäßigen Atemzüge. Dann bewegt er sich. Wittert er Gefahr?

      „Du wirst sofort aus diesem Schlafzimmer ausziehen, richte dich im Gästezimmer ein! Und geh mit den Hunden raus!“, sage ich tonlos in seine Richtung, als er die Augen öffnet, „ich kann das jetzt nicht.“

      Eberhard steht auf und zieht sich rasch an. Ich lege mich auf meine Seite des Bettes, als er das Zimmer verlässt. Ich muss nachdenken, überlegen, was ich jetzt tun werde. Aber eines ist mir in diesem Augenblick bereits klar: dass ich seinem Vorschlag nicht folgen werde. Es wird keine lockere WG hier geben, definitiv nicht! Wenn er die Trennung wirklich will, wird er ab sofort die Konsequenzen spüren. Dies ist der Moment, in dem sich neben meiner Liebe und Trauer bisher nicht gekannte neue Gefühle ansiedeln: Hass und grenzenlose Wut bahnen sich ihren Weg durch meinen Körper. Ich habe in den vergangenen Jahren immer funktioniert, ich werde dies hier nun auch bewältigen. Zusammenbrechen kann ich auch später noch, schießt es mir mit einem bitteren Lächeln durch den Kopf. Jetzt muss ich handeln – und wenn es das Letzte ist, was ich noch schaffe, verspreche ich mir.

      Als der neue Tag endlich anbricht, rufe ich meinen Anwalt an. Ich informiere ihn über den Beginn des Trennungsjahres, über das Ende meiner Ehe.

      2 Feiertage

      Das Weihnachtsfest rückt unausweichlich näher. Auch wenn für mich die Zeit stillsteht, der Kalender nimmt darauf keine Rücksicht, di Feiertage stehen vor der Tür. Der Schneefall in diesem Jahr ist unglaublich heftig, bei vielen Familien findet der Heiligabend deshalb in kleinerem Kreis statt als geplant, denn nicht wenige verzichten auf die Anreise mit dem Auto aus Sorge, auf zugeschneiten Autobahnen die Nacht verbringen zu müssen. Mir hingegen macht die Wetterlage nichts aus. Ein angenehmer Nebeneffekt meiner Gefühlslage ist, dass mir das Angstgefühl völlig abhandengekommen ist. Gefährlich eigentlich – aber mir ist das ganz recht so. Ich scheue auch Wind und Wetter einschließlich Schneeverwehungen und Glatteisgefahr nicht und nehme alle Widrigkeiten in Kauf, um Freunde und Familie zu besuchen. Ich fühle mich in meinem SUV sicher und in diesen Tagen ist die Autobahn fast schon zu meinem zweiten Zuhause geworden.

      Eberhard und ich müssen die Verantwortlichkeiten für die Hunde über Weihnachten miteinander abklären. Wir teilen uns die Feiertage auf. Jedes Gespräch mit ihm kostet mich Kraft und so werden viele Nachrichten auf Zetteln ausgetauscht, die scheinbar achtlos auf dem Küchentisch deponiert werden. Für uns beide ist klar: Weihnachten gemeinsam unter einem Dach zu sein, wäre undenkbar. Ich entscheide, dass ich über die Feiertag außer Haus sein werde und so wird er für die Hunde sorgen müssen. Dafür wird er über Silvester nicht da sein und informiert mich darüber, dass er zum Jahresende für ein paar Tage wegfahren will. Der Schmerz zerrt an mir, das Messer in meinen Eingeweiden dreht sich ein weiteres Mal herum. Ich kann die Vorstellung nicht in mein

      Hirn bekommen, dass er Silvester tatsächlich ohne mich feiern will. Eine Party ohne ‚uns‘, ohne das händchenhaltende ‚Wir‘? Wie kann er nur?

      Mein Vater hat mich über Heiligabend und die Feiertage in sein Haus eingeladen. Hier werde ich also meine Zeit gemeinsam mit seiner aktuellen, äußerst spröden Freundin und ihrer Familie verbringen. Weihnachten feiern, wie absurd mir das alles erscheint! Ein nüchternes Gästezimmer und weihnachtliches Trallala im Hause meines Vaters und seiner skurrilen Beziehung namens Claudette warten also auf mich. Klassisches Weihnachtsessen, nettes, weinseliges Beisammensitzen, Bescherung mit mir völlig fremden Menschen, so wird es wohl laufen. Ich fühle mich wie abgetrennt von der Welt, muss mich so sehr zusammenreißen, dass die Tränen nicht unentwegt laufen, mich keine Weinkrämpfe überfallen und ich einigermaßen in der Gesellschaft funktionieren kann.

      Das alles kostet so viel Kraft, so viel Anstrengung, dass ich nur noch ins Bett will, mich wie jede Nacht in den Schlaf weinen möchte, der Realität für ein paar Stunden entfliehen. Mein Vater, der sich so überhaupt nicht in meine Situation einfühlen kann und dementsprechend auch kein Verständnis für meine Verfassung zeigt, erwartet von mir, dass ich die Weihnachtsfarce mitspiele und irgendwie klarkomme. Auf jeden Fall wünscht er keine Szene und kein peinliches Verhalten. „Mensch, Britt, eine Trennung ist doch kein Weltuntergang, jetzt reiß dich mal ein bisschen zusammen!“, raunt er mir zu, ständig in Furcht, ich könnte die Contenance verlieren und den anderen, mir völlig fremden Menschen damit eventuell den Weihnachtsabend verderben. Was weiß er denn schon mit seinen ständig wechselnden Freundinnen, seinem Fremdgehen, seinen Lügen und erfundenen Geschichten? Wie kann ein Mensch, der seine Adresse und seine Frauen öfter wechselt als manche Menschen ihr Outfit, überhaupt ermessen, wie es sich anfühlt, einen Menschen zu verlieren, mit dem man vorhatte, ein Leben lang zusammenzubleiben?

      Irgendjemand reicht mir ein Geschenk. „Das ist für dich, Britt, frohe Weihnachten!“ Kevin, Claudettes gehemmter und selbstunsicherer Sohn, hält mir verschämt ein eingewickeltes Päckchen hin. „Danke“, antworte ich automatisch und öffne die Weihnachtsgabe: Schokolade und ein Kalender in Taschenbuchformat, auf dem Einband: „Viel Glück im neuen Jahr. Mit Mondphasen.“

      Wie geschmacklos, antiquiert und makaber! Das neue Jahr hat für mich keine Bedeutung, ich kann mir nicht vorstellen, dass ich da etwas reinschreiben werde. Und Termine? Werde ich je wieder Termine haben? Ich sitze regungslos auf dem Sofa. Nur nicht reden müssen, niemanden direkt anschauen. Es ist so anstrengend und die hohlen und oberflächlichen Gespräche machen mich unwillkürlich aggressiv. Ich weiß jedoch, dass ich noch für eine Weile irgendwie durchhalten muss. Wie ein Mantra wiederhole ich meine innere Beschwörungsformel dieser Tage: ‚Ich schaffe das hier, ich halte das durch. Und gleich ist es ja auch vorbei …‘ Es hilft für ein paar Stunden.

      Am nächsten Morgen erwache ich aus einem Erschöpfungsschlaf. Nach einem kurzen Moment der Desorientierung realisiere ich, wo ich bin, und erinnere mich wieder an das, was passiert ist. Allmählich komme ich zurück in die Wirklichkeit. Ich hoffe auf ein Klingeln meines Handys, eine SMS. Hoffe, dass Eberhard verkündet, dass alles nur ein Irrtum gewesen sei und dass ich schnell nach Hause kommen soll. Aber natürlich


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