Durch Schatten gehen. Birgit Treckeler

Durch Schatten gehen - Birgit Treckeler


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den Gekränkten und blendet dabei offenbar völlig aus, dass er die Lage doch selbst zu verantworten hat. Was also soll sein Getue, frage ich mich.

       Nur wenige Wochen später wird er sich um keinen seiner Hunde mehr kümmern wollen und mir durch seinen Anwalt mitteilen lassen, dass er gerne auch für Ovambo ein neues Zuhause sucht, sofern ich ihn weiter mit Bitten belästigen sollte, sich an den Futter- oder Tierarztkosten zu beteiligen oder gar mit der Anfrage, die kleine Fellnase übers Wochenende einmal selbst zu betreuen. Unfassbar!

      ***

      Die kommenden Tage, die ersten des neuen Jahres, sind für mich ausgefüllt mit Telefonaten, Wohnungsbesichtigungen, Auszugsplänen und Fluchtreisen zu Freunden oder zu meinem Vater und seiner Claudette. Es ist schon berührend festzustellen, wie sehr sich viele Menschen um mich sorgen und mich mit Essenseinladungen aus dem Haus locken wollen. Nur zu gerne nehme ich diese an, es sind immerhin Abwechslungen zu Toast mit Honig, Milchschnitten und Fertigpuddings. Allerdings halte ich es nie lange aus, jeder Besuch ist anstrengend und ermüdend. Ich suche dann schnell wieder die Einsamkeit, die ich – paradoxerweise – aber auch nicht ertragen kann. Doch immerhin habe ich wieder einen weiteren Tag überlebt. Um mehr scheint es derzeit nicht zu gehen.

      Ich kann das Alleinsein nur schlecht ertragen, habe es noch nie gut gekonnt. In meiner jetzigen Situation geht es allerdings gar nicht. Und so sehe ich ständig zu, irgendwelche Verabredungen zu treffen und verteile meine Anwesenheit auf möglichst viele Menschen. Denn mir ist schon klar, dass ich in meinem derzeitigen Zustand und mit den immer gleichen Gesprächsthemen momentan nicht gut auszuhalten bin. Und eigentlich bin ich jedem dankbar, der bereit ist, mich für ein paar Stunden zu ertragen.

      Und dann gibt es da noch etwas, das ich am liebsten vollständig verdrängen würde: meine Arbeit. Unerbittlich ruft sie mich an den Schreibtisch. Ich müsste mich um so Vieles kümmern und wie gerne hätte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich Kunden und Konten, Mitarbeiter und Abrechnungen so sträflich vernachlässige. Aber stattdessen ist mir das einfach nur egal. Es gelingt mir nicht, mich zu konzentrieren, mich zu kümmern. Und so verschiebe ich alles Notwendige eben auf morgen, auf übermorgen – oder gleich auf die nächste Woche.

      Seit vielen Jahren bin ich nun schon als Unternehmerin tätig, und eigentlich als eine ziemlich erfolgreiche sogar. Mein Nachhilfeinstitut floriert, erst vor ein paar Wochen habe ich mein Einzugsgebiet um einen lukrativen Landkreis erweitert. Meine Kundenstamm verlässt sich seit Jahren auf mich, ist meine persönliche Betreuung und engagierte Beratung gewohnt. Und die regelmäßig eingehenden Aufträge haben Eberhard und mir in der Vergangenheit ein gutes Leben mit vielen Annehmlichkeiten ermöglicht. Ich hatte mich über den raschen Erfolg definiert, habe sogar Auszeichnungen für hervorragende unternehmerische Leistungen eingeheimst. Doch seit der Trennung vernachlässige ich dies alles völlig, vertröste mit einem kurzfristig improvisierten Sekretariatsservice Kunden und Mitarbeiter von einem Tag auf den anderen. Zum ersten Mal in meinem Leben sind mir Disziplin, Kraft und Interesse, mich in meiner Firma zu engagieren, einfach schlichtweg abhandengekommen.

      Und zu alledem kommt ja dann auch noch der Job in der Beratungsstelle, den ich vor einem Jahr übernommen habe. Ich arbeite dort mit Hilfe suchenden Familien, versuche Lösungen in und aus Krisen zu finden, Hoffnung zu vermitteln, Auswege aus Sackgassen aufzuzeigen. All das kann ich nicht mehr bewältigen. Ich weiß nur eines:

      Ich muss dort schnellstmöglich kündigen.

      Christin, meine Chefin, ist völlig überrascht, als ich unangemeldet in ihrem Büro auftauche. Kaum dass ich in ihrem Zimmer sitze, kann ich meine Tränen nicht mehr unterdrücken und ihr nur noch weinend berichten, dass ich bald wegziehen werde. Mir ist es daher schlichtweg nicht mehr möglich, die laufenden Fälle abzuschließen, da müssen nun notgedrungen Kolleginnen für mich einspringen und das übernehmen – es geht einfach nicht anders. Christin findet das alles äußerst bedauerlich und lässt mich, wie sie sagt, nur ungern gehen. Aber zugleich versteht sie mich auch, ist sehr mitfühlend. Sie selbst hatte vor fünf Jahren, wie sie mir dann anvertraut, eine ähnlich fiese Trennung zu bewältigen, als auch sie von ihrem Mann Knall auf Fall verlassen wurde. „Ich kann dich also nur zu gut verstehen, Britt. Mir ist es damals ganz genauso ergangen“, erinnert sie sich. Aber bei ihr gab es ein Happy End. In ein paar Sätzen erzählt sie mir, wie sie ihren heutigen Mann kennengelernt hat und sich so ganz plötzlich der Trennungsschmerz über ihre zerbrochene Ehe in Nichts auflöste. „Heute bin ich wieder glücklich verheiratet und betrachte die damalige Trennung im Rückblick eigentlich wirklich als Glücksfall. Für mich ist jetzt nahezu alles perfekt. Mein Mann und ich, wir passen viel besser zusammen und leben wirklich in einer phantastischen

      Beziehung,“ vertraut sie mir lächelnd an. Dabei fällt mein Blick auf den Bildschirmschoner ihres Laptops, aufgenommen an ihrem Hochzeitstag – und ich glaube es ihr sofort. So viel Glück in Nahaufnahme, beneidenswert!

      Es sind natürlich genau solche Geschichten, die ich im Moment nicht ertragen kann – diese „Alles wird wieder gut“- und „wirst schon sehen, auch du bist eines Tages wieder glücklich“-Geschichten. „Gib dir ein wenig Zeit, dann heilen alle Wunden!“ Ja, genau

      …

      Als ich ihr Büro verlasse und meine Kündigung abgegeben habe, will ich möglichst schnell raus aus dem Gebäude. Bloß keine Kolleginnen treffen, keine Erklärungen geben müssen. Das tränennasse Gesicht im hoch aufgestellten Mantelkragen verborgen, laufe ich zu meinem Auto. Ich fühle so viel Scham.

      ***

      Wie es beruflich für mich weitergehen wird – im Moment ist mir das noch völlig unklar. Ich habe überhaupt keine Vorstellung davon, wie meine Zukunft aussehen wird, oder soll. Aktuell werde ich nur von einem einzigen Gedanken beherrscht: Ich muss wegziehen aus dieser Stadt. Weg aus diesem Haus. Und letztlich auch weg aus diesem Leben, das nicht mehr das meine ist. Die Anstrengungen, die Konzentration auf Planungen, das Organisieren und alles, was notwendig wäre, um meine Firma mit umziehen zu lassen – ich kann das unmöglich leisten. Ich will das nicht und vor allem kann ich es auch gar nicht. Das ist das Einzige, was ich momentan mit Bestimmtheit weiß. Wie es dann weitergehen wird und soll, werde ich irgendwann überlegen. Morgen vielleicht oder in vierzehn Tagen, aber nicht jetzt.

      Für die nächsten paar Wochen werde ich noch die eine oder andere Stunde, die eine oder andere Nacht in unserem Haus verbringen müssen, auch wenn ich tagsüber zusammen mit Ovambo fast ständig unterwegs bin. Irgendwie fühlt es sich an wie auf der Flucht. Aber ich kann es nicht mehr länger ertragen, dass ich alleine im Schlafzimmer liege, dass ich ständig auf Eberhards Schritte im Haus horche. Ich kann nicht einschlafen, ehe er, der sonst abends gegen zehn ins Bett gegangen ist, erst weit nach Mitternacht nach Hause kommt. Mit wem trifft er sich nur ständig? Woher kommt er, so spät in der Nacht?

      Ich bin umgeben von einem Leben, in dem mich alles an unsere gemeinsame Zeit erinnert, an das alte Leben, das ich mir so sehr zurückwünsche. Und doch kann ich zugleich die Erinnerungen daran und mein derzeitiges Dasein so überhaupt nicht mehr erdulden. Also bin ich, ob ich will oder nicht, zu einem Besichtigungsmarathon von diversen Wohnungen gezwungen. Disziplin ist ja bekanntlich meine Stärke – und nun hält sie mich am Laufen. Ob mich die Makler wohl für exzentrisch halten? Sicherlich werden sie meinen Mangel an Begeisterung oder mein fehlendes Interesse an den Räumen ein wenig befremdlich finden, aber eigentlich stört mich das nicht wirklich. Auch die vielen Infos, die ich bei meinen Besichtigungen erhalte, machen mich nicht neugierig. Ich sehe auf den ersten Blick, ob die Wohnung für mich infrage kommen könnte oder nicht. Ist sie uninteressant, verabschiede ich mich spröde und gehe nach ein paar Minuten wieder.

      Ich muss durch einige Appartements durch, ehe ich schließlich eine wirklich schöne Wohnung in einem Zweifamilienhaus anmieten kann, ganz in der Nähe des Wohnortes, in dem mein Vater lebt. Die schwierigen, manchmal fast inquisitorischen Gespräche mit den Vermietern bringe ich irgendwie hinter mich und fühle zum ersten Mal seit vielen Wochen eine merkwürdige Erleichterung, als ich endlich den Mietvertrag unterschreiben und die Kaution in bar übergeben kann. Die Maklerin staunt nicht schlecht, als ich ihr danach weinend um den Hals falle und ihr tränenreich für ihre Fürsprache danke. „Ich danke Ihnen so sehr, dass Sie mich den Vermietern empfohlen haben, jetzt habe ich das Schlimmste


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