Durch Schatten gehen. Birgit Treckeler
habe mir schon die ganze Zeit über gedacht, dass es Ihnen nicht gut geht. Was ist denn nur passiert?“, fragt sie anteilnehmend, aber auch neugierig.
„Ich stecke mitten in einer fiesen Trennung und muss so schnell wie möglich aus unserem Haus ausziehen, sonst werde ich noch verrückt. Aber jetzt habe ich wieder eine Perspektive und das Schlimmste ist hoffentlich bald geschafft.“ Geschichten wie diese hört eine Maklerin natürlich ständig, eigentlich lebt diese Berufsbranche ja sogar zu einem großen Teil von Trennungen, von Hausverkäufen, von wohnungssuchenden ExPartnern. Sie versteht also, es interessiert sie aber auch nicht weiter.
Allerdings muss ich mich noch drei Wochen bis zum Umzug gedulden, so viel Zeit benötigt mein Vormieter, um die Wohnung peu à peu zu räumen. Am liebsten wäre ich von heute auf morgen dort eingezogen, hätte auch unrenovierte und schmutzige Zimmer in Kauf genommen – Hauptsache, endlich nur weg von Eberhard. Aber immerhin: Ich habe nun eine Perspektive, es wird irgendwie weitergehen. Ich muss bloß noch diese drei Wochen durchalten, überstehen.
Eberhard weiß nichts von meinen Auszugsplänen, ahnt auch nichts. Und während er munter fremde Frauen datet, plane ich minutiös meinen Auszug. Ich möchte, dass der Überraschungseffekt ganz auf meiner Seite ist, dass er eines Tages in ein halbleeres Haus kommt und ich einfach weg bin. Aber leider gelingt mir das nicht wie geplant. Eine Woche vor meinem Umzug entdeckt er in meinem Büroschrank, in dem er irgendwas gesucht hat, die Unterlagen der angemieteten Umzugsfirma. Am gleichen Abend laufen wir uns in der Küche über den Weg und Eberhard spielt wieder mal den
Beleidigten. „Wieso ziehst du denn aus? Wir haben doch abgemacht, dass wir uns die Kosten hier so lange teilen wollen, bis wir einen Käufer für das Haus gefunden haben.
Ich verstehe dich wirklich nicht! Aber … dann beteiligst du dich auf jeden Fall auch nach deinem Auszug weiter an den Kosten, das ist dir ja wohl klar! Davor kannst du dich nicht drücken. Und außerdem: Du hast doch Geld, und nicht zu knapp! Und ich hätte eigentlich auch Anspruch darauf, dass weißt du hoffentlich?!“
Wieder einmal verschlägt es mir den Atem, ich kriege kaum Luft, fühle einen Druck auf der Brust. Ein paar Rücklagen durch das Erbe meiner Großeltern und noch einige aktuelle Einnahmen aus den Kundenverträgen meiner Firma nehmen mir wenigstens für den Augenblick die finanziellen Sorgen, das ist wahr. Ist ja auch so schon alles schwierig genug und zumindest fürs erste muss ich mir zum Glück keine Gedanken über Geld machen, wohl wahr. Aber jetzt kommt Eberhard allen Ernstes daher und erhebt einen Anspruch auf mein großelterliches Erbe?
„Nicht einen Cent wirst du von mir bekommen, das schwöre ich dir! Kannst es ja gerne versuchen“, drohe ich ihm und gehe dabei auf ihn zu, trete ganz nah an ihn heran, mein Blick voller Hass. In dieser Sekunde sieht er mir an, dass es besser ist zu schweigen und den Bogen nicht zu überspannen. Und ich weiß – und er weiß es auch! – dass dies nicht nur eine leere Drohung ist. Um jeden Cent meines Geldes werde ich kämpfen! Er ist der erste von uns beiden, der sich abwendet.
Mit einer solchen Forderung von ihm hatte ich nicht gerechnet. Eberhard war nie geldgierig gewesen, wirklich nicht. Seinen Ex-Frauen gegenüber hatte er sich eher unangebracht großzügig gezeigt. Nicht etwa aus einer spendablen Grundhaltung heraus oder weil er selbst genügend Geld zu verteilen gehabt hätte, sondern schlicht und einfach wegen seines schlechten Gewissens. Diesmal jedoch scheint ihm sein Gewissen offenbar nicht in die Quere zu kommen. Glaubt er tatsächlich, einen Anspruch auf meine Ersparnisse zu haben? Und das auch noch vor dem Hintergrund, dass ich von Beginn unserer Beziehung an ohnehin finanziell den Großteil unseres gemeinsamen Leben bestritten habe.
Wie so oft in diesen Wochen verstehe ich ihn nicht, habe ihn offenbar nie wirklich gekannt. Oder hatte ich nur nicht genauer hinsehen wollen? Ein Mensch verändert sich doch nicht einfach so sehr von heute auf morgen, da muss doch schon immer etwas Widerliches in seinem Charakter vorhanden gewesen sein?! Diesen Robotermann also habe ich tatsächlich einmal für den liebenswertesten und warmherzigsten Mann dieser Welt gehalten. Wo war er nur hin? Und wer war dieser Klon hier? Wie affig er aussieht, jetzt, wo er sich die Haare lang wachsen lässt, denke ich gehässig. Und immer diese affektierte Handbewegung, mit der er sich die Haare aus dem Gesicht streicht. Lächerlich!
Der verbale Kampf in der Küche geht aber noch weiter, denn eins muss ich ihm nun ja mal deutlich vor Augen führen: „Was haben wir denn eigentlich abgemacht, Eberhard? Es war dein Vorschlag, hier eine lockere WG zu spielen. Und es sollte einzig und allein deiner Bequemlichkeit dienen. Deine Vorteile liegen dabei doch auf der Hand! Für mich aber ist nur eines klar seit jener Nacht im Dezember: dass ich hier raus muss! Und zwar ganz schnell!“
Ich zittere am ganzen Körper vor Wut und Anstrengung. Und bevor er geht, in ein neues Leben mit einer wieder neuen Frau, gehe ich, und zwar bald. Klar wird es für ihn ab jetzt teurer werden: Steuerklassenwechsel, die Kosten meiner neuen Wohnung und meines neuen Lebens, all das wird bei den gemeinsamen Gesamtkosten gegengerechnet. Und so habe ich lediglich einige hundert Euro im Monat an ihn zu zahlen, das hatte mir mein Anwalt zügig durchkalkuliert. Für Eberhard aber ist die Rechnung deutlich höher ausgefallen – und genauso wünsche ich mir das! Seine neue Freiheit hat also ihren Preis, einen ziemlich hohen Preis sogar.
Ich hingegen könnte es auch gar nicht ertragen, von ihm zurückgelassen zu werden, in unserem Haus, das wir gemeinsam umgebaut und eingerichtet hatten. Könnte es nicht ertragen, einsam inmitten all der Erinnerungen zurückzubleiben, die Trennung nicht zu verschmerzen und ihm auch noch bei seinem Auszug zuzusehen. Alleine zurückbleiben, die Verantwortung für all das hier zu tragen – nein, das kommt für mich nicht infrage! Das ist mir eindeutig eine Nummer zu groß.
„Ich ertrage es nicht länger, mit dir unter einem Dach zu leben. Merkst du denn gar nicht, was du hier von mir verlangst und dass ich das nicht leisten kann?“, frage ich ihn, und wieder laufen Tränen über mein Gesicht. Ich schmecke den bitteren Hass in meinem Mund.
„Für mich ist das alles auch nicht einfach! Vor allem nervt dein ständiges Geheule, und zwar gewaltig!“, giftet er wütend zurück, verlässt die Küche, hastet in den Flur, telefoniert kurz und knapp – mit wem auch immer – und verlässt, wieder einmal, das Haus, das einst unser Refugium war.
Immer noch kann ich nicht verstehen, wie er unsere Beziehung einfach so aufgeben kann. Noch vor wenigen Wochen hatte er gesagt, dass er keine Trennung will, dass er hofft, dass uns ein Therapeut helfen kann, erneut zusammenzufinden, weil er unser Leben so sehr liebt und sich nicht trennen will. Und nun behandelt er mich wie eine Fremde, wie einen Feind. Was habe ich ihm eigentlich getan, dass er sich so verhält?
Warum hasst er mich nur so? Ich würde es so gerne verstehen.
Eine Antwort darauf werde ich jedoch niemals erhalten.
***
In den folgenden Tagen biete ich meine letzten Kräfte für die Vorbereitung des bevorstehenden Umzugs auf. Ich packe gemeinsam mit Gitte das Geschirr in Kisten und auch meine persönlichen Dinge zusammen. Gitte ist meine Freundin und es tut mir gut, dass sie jetzt bei mir ist. Ich bin entschlossen, das meiste zurückzulassen, will so wenig wie möglich mitnehmen von dem, das mich an die gemeinsame Zeit erinnert.
Ich kann schon in die neue Wohnung hinein, habe den Schlüssel bereits erhalten. Der Vermieter ist anwesend und in Plauderlaune, als ich zusammen mit Gitte Böden, Wände und Fenster vermesse. Ich überlasse Gitte den Smalltalk, sie kann das ohnehin so viel besser als ich. Der Vermieter muss ja nicht gleich sofort bemerken, dass er künftig eine verheulte, einsilbige und humorlose Frau im Haus wird wohnen haben. In vielen Ecken meiner neuen Wohnung herrscht noch das reine Chaos. Vom Vormieter stehen überall Sachen herum, die auf ihre Abholung warten, schmutzig ist es auch. Ich versuche pragmatisch zu sein und überlege, wie ich meine Möbel stellen werde. Es kostet mich aber fast unüberwindbare Anstrengungen, die notwendigen Dinge wie Teppiche, Gardinen und andere Einrichtungsdinge zu kaufen. Alleine schaffe ich es gar nicht, entweder also muss eine Freundin mit oder aber mein Vater samt seiner nervigen Claudette.
In den Konsumtempeln, von denen es in meinem neuen Wohnumfeld glücklicherweise einige gibt, treffe ich rasche Kaufentscheidungen. Im Grunde ist es