Prinzessin Arschloch. David Lowe

Prinzessin Arschloch - David  Lowe


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mal raus aus dem Dorf und meinen Horizont erweitern.“

      Berlin? Da gibt es bestimmt ganz andere Tapeten als in Untermoscheln, denkt sich Anna. Nie hat sie daran gedacht, ihr Heimatdorf zu verlassen. Um genau zu sein, hat sie es auch bis heute kein einziges Mal verlassen. Zwar gibt es in Untermoscheln einen kleinen Bahnhof und somit die Möglichkeit, in die weite Welt zu reisen, aber bisher hat Anna nie einen Grund dazu gesehen.

      „Na komm schon. Das wird bestimmt ganz lustig, und wir haben uns ja schon Jahre nicht mehr gesehen. Du bist bestimmt total gewachsen“, witzelt Alex nun ins Telefon.

      „Aber ich habe noch nicht mal Klamotten mit und muss dann irgendwie noch in die Wohnung kommen, um die zu holen.“

      „Quatsch, du kriegst alles von mir!“, unterbricht Alex Anna, bevor diese noch weitere Gründe nennen kann, weswegen sie nicht kommen möchte.

      Annas Herz fängt nun richtig an zu rasen. Soll sie es wirklich wagen? Nach Berlin? Das ist ja nun nicht mal eben um die Ecke. Das ist hunderte von Kilometern entfernt! Und sie kennt ja auch niemanden da. Anna weiß nicht, was sie machen soll.

      In Gedanken fragt sie sich, warum ihr niemand diese Entscheidung abnehmen kann. Wenn Anna nur ein bisschen mehr zuhören würde, würde sie feststellen, dass Alex seit gefühlt zehn Minuten versucht, genau dies zu tun.

      Kleine Schweißperlen bilden sich auf Annas Stirn. Sie erhebt sich nun vom Boden und zieht sich langsam an der grauen eisernen Stange hoch, auf der das Stadtschild zu sehen ist. Moment mal. Wie hat Anna dies denn die ganze Zeit übersehen können? Das ist kein Stadtschild. „Alex… Ich komme“, kommt es plötzlich völlig überraschend aus Annas Mund.

      „Echt jetzt?“, wirkt Alex fast schon entsetzt.

      „Ja, ich habe soeben ein Zeichen bekommen, dass ich zu dir kommen soll…“

       3

      Ein Neustart

      Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Während Anna nun im Taxi sitzt und versucht, mit ihrer beschmutzten Jeans die Rückbank nicht dreckig zu machen, erkennt sie den Ernst der Lage. Das Taxi fährt sie wirklich zum Bahnhof Untermoscheln. Und die Verbindung, die sie sich mit Mühe herausgesucht hat, würde auch in weniger als zwanzig Minuten starten. Alles erscheint ihr so surreal. Immer noch spürt sie das harte Pochen in ihrer Brust sowie die Schwere ihrer Tränensäcke. Ihr ist immer noch einfach nur zum Heulen zumute. Aber gefühlt müsste ihr Körper schon komplett ausgetrocknet sein, nach all den Körperflüssigkeiten, die sie in den letzten Stunden verloren hat.

      Am Bahnhof angekommen, drückt Anna dem altem Taxifahrer, der sie ein wenig an Horst Schlemmer erinnert, die geforderten zehn Euro in die Hand, um sich freundlich aber zügig von ihm zu verabschieden. Schnell rennt Anna zum Bahngleis, um sich zu vergewissern, dass der vor ihr stehende Zug wirklich nach Berlin fährt. Gott sei Dank hat unser Bahnhof nur zwei Gleise, denkt Anna leicht sarkastisch. So steht die Chance, das richtige Gleis zu erwischen, immerhin bei fünfzig Prozent.

      Tatsächlich ist es ein Volltreffer: Anna hat richtig geraten. Nun steht sie vor einem weißgrünen Bummelzug der Marke „Wow, die fährt ja noch mit Dampf“ und atmet noch einmal tief durch. Stark bedrängt von der älteren Dame hinter ihr, wird Anna nun mehr oder weniger unfreiwillig durch die Tür hinein geschubst.

      Erst einmal einen Platz finden, sagt sie zu sich selbst und sieht sich um. Alles frei. Erschöpft und müde lässt sie sich in ein leeres Viererabteil fallen und der Zug setzt sich in Bewegung. Es riecht, als wäre hier seit Jahren nicht durchgelüftet worden. Ein bisschen nach Frau Schiffers alter Schürze, denkt Anna leicht lächelnd, während das rhythmische Geräusch des Zuges sie in einen tiefen Schlaf fallen lässt.

      Als sie das nächste Mal die Augen öffnet, steht ein in blauer Uniform gekleideter älterer Herr vor ihr. Sein Gesicht schmückt ein Siebzigerjahre-Pornoschnäuzer, so dass Anna grade noch das Lächeln darunter erkennen kann. „Aufwachen, junge Dame. Hier ist Endstation.“ Als sie sich langsam und behäbig aus dem Sessel löst, stellt Anna fest, dass sie sich auf die Schulter gesabbert hat. Und zwar nicht zu knapp ! Das erklärt auch das Grinsen des Schaffners, der ihr abschließend zuzwinkert und sich weiter Richtung Führerhaus begibt. Puh, Glück gehabt. Sie hat nämlich völlig vergessen, ein Ticket zu kaufen. Wofür so ein wenig Sabber doch gut sein kann! Den Trick sollte sie sich merken.

      Noch leicht verschlafen und etwas wackelig auf den Beinen steigt Anna aus dem Zug aus, um Ausschau nach Alex zu halten. Ihre alte Freundin wollte sie hier auf dem Gleis abholen. Im Hintergrund tönen Ansagen durch die Lautsprecher und überall sind Menschen mit Koffern und Taschen. Ein bisschen hat sie das Gefühl, in einem Ameisenhaufen gelandet zu ein. Der Berliner Bahnhof ist schon ein wenig größer als der in Untermoscheln. Und hier gibt es auch mehr als zwei Gleise. Gar nicht so einfach, Alex unter all diesen Menschen zu finden. In klassischer Indianerpose hält Anna Ausschau nach langen blonden Haaren mit einem 1,70 Meter großen, schlanken Unterbau. Doch irgendwie scheint Berlin wohl mehrere Ausgaben von Alex zu besitzen.

      „ANNA!“, schreit es ihr leicht quietschend aus der Menschenmasse entgegen. Plötzlich steht vor ihr ein voll tätowiertes, schwarzhaariges Mädel mit Sidecut. Eine Verwechslung, denkt sich Anna. Anscheinend gibt es hier wohl auch mehrere Annas mit Ponyfrisur in Berlin. Mit mehr Kraft, als sie von dem schlanken Mädchen erwartet hätte, presst dieses Anna fest an sich. „Schön, dass du endlich da bist.“ Während sie leicht hin und her geschaukelt wird, wird die Luft langsam knapp. Mittlerweile wird Annas Gehirn wieder mit Strom versorgt und sie realisiert, dass es sich bei diesem Gesamtkunstwerk um ihre ehemalige „schüchterne graue Maus“-Freundin Alex handeln muss. Herzlich drückt nun auch Anna zurück und freut sich riesig, ihre Freundin wiederzusehen. Von außen müssen die beiden aussehen wie zwei zu schlank geratene Sumoringer, die sich gegenseitig aus dem Ring heben wollen. Doch das ist ganz egal – diese Umarmung hat Anna dringend gebraucht. Hinter dem neuen Look spürt Anna immer noch dieselbe Wärme wie früher.

      „Wow, du hast dich ja total verändert. Ich hät te di ch bei nahe nicht wie dere rkannt“ , strahlt Anna Alex entgegen. „Ja, und schau dich erst mal an, du…. Hast du mehr Sommersprossen bekommen?“, beendet Alex schlagfertig den Satz. Woraufhin beide anfangen, herzlich zu lachen und sich erneut zu drücken.

      Auf direktem Wege führt Alex Anna durch den Wust von Menschen zum Hauptausgang des Bahnhofs, um sich hier ein Taxi zu schnappen. Ehe Anna sich versieht, sitzen beide auf der Rückbank eines alten Mercedes, der sie wie zwei Prominente durch die Straßen Berlins kutschiert.

      „Wie war deine Fahrt? Du warst ja jetzt bestimmt sechs Stunden unterwegs“, fragt Alex und stellt überrascht fest, dass es bereits achtzehn Uhr ist. „In Untermoscheln sind jetzt bestimmt schon alle Bordsteine hochgeklappt. Was gibt es denn so Neues aus der Heimat? Mensch, ich hab dir so viel zu erzählen“, rattert Alex einem Maschinengewehr gleich und ohne Luft zu holen los.

      Anna hingegen hat sich bereits gedanklich ausgeklinkt und schaut mit herunterhängender Kinnlade aus dem Fenster. So etwas hat sie noch nie gesehen. Zumindest nicht im wahren Leben. Überall Autos, Menschen und Geschäfte. Ist da gerade ein erwachsener Mann in einem Damenrock vorbeispaziert? Mit voller Wucht prasseln Eindrücke, Geräusche und Bilder Berlins auf Anna ein. Mensch, ist das aufregend!

      Verwundert stellt Anna fest, dass die Gegend mit der Zeit immer schöner wird. Moderne breite Bordsteine, schöne alte herrschaftliche Häuser zwischen gepflegten Grünanlagen. Doch bevor sie noch tiefer in die Stadt eintauchen kann, kommt das Taxi abrupt zum Stehen. „Ist schon etwas anderes als daheim, nicht wahr?“ Ihre Gedanken erahnend lächelt Alex Anna liebevoll an, während sie dem Taxifahrer einen zerknitterten Zwanzig-Euro-Schein reicht. Mittlerweile hat sie ihren Redefluss eingestellt, als sie sich kurzzeitig in Annas Lage versetzt. Ihr ging es damals ähnlich, als sie aus der Kleinstadt in die Metropole gezogen ist.

      „Hier wohne ich“, sagt Alex stolz. Staunend blickt Anna auf die mit Marmor verzierten Eingangsstufen, die zu einem modernen Mehrfamilienhaus führen. Der Eingang ist gefühlt so breit wie das Haus, in dem sie mit Nils wohnt. Moment! Nein,


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