Endlichkeit und Vergänglichkeit. Christian Walther
dass es der Lust der grellen Töne,
dem Schmerz den herbsten Stachel nimmt.
Ermessen lässt sich und verstehen
die eigne mit der fremden Schuld,
und wie auch rings die Dinge gehen,
du lernst dich fassen in Geduld.
Die Ruhe kommt erfüllten Strebens,
es schwindet des Verfehlten Pein -
und also wird der Rest des Lebens
ein sanftes Rückerinnern sein.
Ferdinand von Saar
Nicht geboren zu sein, das geht über
Alles; doch wenn du nun lebst, das
Zweite, so schnell du kannst,
Hinzugeh'n wo du herkamst.
Bald doch schwindet die Jugend dahin,
Leicht einst und sorglos beschwingt.
Wer dann lebt noch von Mühsal frei,
Wer nicht in steter Bedrängnis?
Mißgunst, Aufruhr, Zwietracht, Krieg und Morde!
Und das immer gescholt'ne kommt dann hinzu als
Letztes: das kraftlose, freundlose Alter,
Ungesellig, – bei dem die gesamten
Übel der Übel hausen.
Sophokles
Diese alten Männer, die niemand
mehr ansieht, Hausierer mit Phantasie,
reale Nullen, bei Abschaffung ihres Lebens,
unter Bäumen im Park wartend
auf nichts anderes als auf Vergangenheit -
eine Landkarte aus Staub.
Versteckte Sätze leben in ihnen weiter
im trockenen Mund.
Einige haben ein schönes Gesicht
für Augenblicke. Wer weiß etwas
von diesen schmalen Figuren,
die sich entfernen?
Karl Krolow
schaukelstuhl
zum siebzigsten geburtstag
vielleicht einen schaukelstuhl
nein wir werden besser tun
ihm eine geflochtene
zielscheibe zu kaufen
mit wurfpfeilen wie es die
engländer tun
in ihren pubs.
das wird ihn gesellig halten
jedenfalls nicht ruhen lassen.
das kommt ohnedies
früh genug.
Ernst Jandl
FRÜHLING
O meine grauen Haare!
Wirklich, ihr seid wie Pflaumenblüten weiß.
William C. Williams
Mich frug ein Freund, wie viele Lebensjahre
Bereits auf meinen Schultern ruhten.
Ich sprach: "Im höchsten Falle zwei Minuten.“
Er wies bestürzt auf meine weissen Haare.
Da sagte ich: „ Wir müssen klar erkennen,
Wie sich verteilt des Lebens Wert und Maß.
Ich küßte einmal so, dass ich es nie vergass.
Den Rest der Erdenzeit kann ich nicht Leben nennen.
Ibn Hazm
SONETT XII
Zähl' ich die Glocke, die die Stunde kündet,
Seh ich den Tag vergehn in düstrer Nacht,
Das Veilchen, das nach kurzer Blüte schwindet,
Und silberweiß der Locken dunkle Pracht;
Seh ich entlaubt die stolzen Bäume ragen,
Die Schatten liehn der Herde vor der Glut,
Des Sommers Grün in Garben fortgetragen,
Das auf dem Sarg mit weißem Barte ruht;
Dann muß ich wohl um deine Schönheit trauern,
Daß sie dem Fluch der Zeiten nicht entgeht,
Denn Schönstes kann sich selbst nicht überdauern,
Es welkt dahin, wie anderes entstellt;
Nichts kann es vor der Zeiten Sense wahren
Als Aussaat, die dem Tode trotzt und Jahren.
William Shakespeare
DER ALTE AM ABEND SPRICHT
Mir haben auch die Sinne wohlgetan,
Mich lachte auch das Leben süße an;
Nun bin ich matt.
Nun sehn ich mich nach einem stillen Schluss,
Nach einem tiefen Schlafe, der kein Muss
Und auch keinWollen hat.
Ich sah das Glück, die Sonne war mir lieb,
Ich aß und nahm, bis nichts zu nehmen blieb;
Nun will ich gehn.
Mein Aug ist müd von Farbe, Licht und Glanz,
Es hat zu lange in den Mückentanz
Der bunten Welt gesehn.
Otto Julius Bierbaum
HERBST
Auf die Wege der halben Kastanienschalen
fallen Blätter. Ab hier
wird die Dämmerung über die Bäume kommen
und über die Häuser. Mir wird kalt.
Auf den Bänken im gelben Park
sitzen die Alten. Sie
haben die Sonne schief im Gesicht
und beschenken sich mit schönen Herbsttagen.
An den trockenen Blättern meines Kalenders,
weiß wie Asche, klebt
ein doppelter Frühling: der eine
gilt nicht mehr, der andere gilt noch nicht.
Lasst uns die Zeit verkürzen!
Ruft den Kohlenmann an!
Schaut weg, wenn ihr seht, wie ein Kind
noch mit Kastanien spielt.
Ernst Jandl
Noch bist du da
Wirf deine Angst
in die Luft
Bald
ist deine Zeit um
bald
wächst der Himmel
unter dem Gras
fallen deine Träume
ins Nirgends
Noch