Endlichkeit und Vergänglichkeit. Christian Walther
singt die Drossel
noch darfst du lieben
Worte verschenken
noch bist du da
Sei was du bist
Gib was du hast
Rose Ausländer
Wie die Pflanze, der allmählich die Nahrung versiegt,
welche sie grünen ließ und am Leben hielt
- hoch stieg sie, frisch und blühend, empor,
doch tief nun neigt sie ihr Haupt. Das Haar wird weiß -
so, da die Kraft mich verlässt, der ein unbeschwertes,
frohes Leben ich dankt', als im April es blühte,
fühl' ich nun meine trockne, des Lebenssaftes beraubte
Hülle sich langsam neigen, schwer und müde.
Dem Pilger gleich, der des Nachts in der Herberg'
sinnt, wie lang der Weg sei, der vor ihm noch liegt,
und beschließt, ihn rasch zurück zu legen,
auf, meine Seele, gedenk' dieser kurzen Rast,
schwinge dich nun auf deinen Flügeln
weit weg von Styx und ew'ger Verbannung!
Giuliano Goselini
Abschied und Gedenken
O Scheiden und Meiden, du bittres Kraut,
Wer hat dich zuerst im Garten gebaut?
Konnt' er nichts besseres ziehen?
Er hat dich mit seinen Augen bethaut,
Davon bist du gediehen.
Hafis
ABSCHIED VON MENG HAN-JAN IM HAUS
„ZUM GELBEN KRANICH“
Vom Haus „Zum gelben Kranich“ hat der Freund
Abschied genommen.
In Dunst und Blüte des Aprils ist seine Barke
flussab geschwommen.
Einsames Segel, ferner Schatten, der im blauen
Horizont entschwindet -
Ich sehe nur den weiten Strom noch, der zuletzt
im Himmel mündet.
Li Tai-Pe
ERWARTUNG
(für Michael Krüger)
Die Schiffe fahren ohne mich aus.
Ich bleibe auf den Landungsstegen zurück,
umzingelt von Möwen.
Sie öffnen die Schwingen
wie Fenster,
durch die ich das Meer
mit anderen Augen sehe.
Langsam entfaltet der Himmel
ein mächtiges Segel
über dem Steg.
In der Abendbrise
beginnt die Fahrt
auch für mich.
Wolfgang Bächler
SENNA HOY
Seit du begraben liegst auf dem Hügel,
Ist die Erde süß.
Wo ich hingehe nun auf Zehen,
Wandere ich über reine Wege.
O deines Blutes Rosen
Durchtränken sanft den Tod.
Ich habe keine Furcht mehr
Vor dem Sterben.
Auf deinem Grabe blühe ich schon
Mit den Blumen der Schlingpflanzen.
Deine Lippen haben mich immer gerufen,
Nun weiß mein Name nicht mehr zurück.
Jede Schaufel Erde, die dich barg,
Verschüttete auch mich.
Darum ist immer Nacht an mir,
Und Sterne schon in der Dämmerung.
Und ich bin unbegreiflich unseren Freunden
Und ganz fremd geworden.
Aber du stehst am Tor der stillsten Stadt
Und wartest auf mich, du Großengel.
Else Lasker-Schüler
LETZTER FRÜHLING
Nimm die Forsythien tief in dich hinein
und wenn der Flieder kommt, vermisch auch diesen
mit deinem Blut und Glück und Elendsein,
dem dunklen Grund, auf den du angewiesen.
Langsame Tage. Alles überwunden.
Und fragst du nicht, ob Ende, ob Beginn,
dann tragen dich vielleicht die Stunden
noch bis zum Juni mit den Rosen hin.
Gottfried Benn
MEINER MUTTER
Das Lachen
meiner Mutter
im letzten Sommer
unter dem Magnolienbaum
Während ihr Körper
unter dem blühenden Hügel
immer leichter wird
im dünnen Lieblingskleid
Inge Buck
AN- ALS IHM DIE – STARB
Der Säemann säet den Samen
Die Erde empfängt ihn, und über ein kleines
Wächset die Blume herauf
Du liebtest sie. Was auch dies Leben
Sonst für Gewinn hat, war klein dir geachtet,
Und sie entschlummerte Dir!
Was weinest du neben dem Grabe
Und hebest die Hände zur Wolke des Todes
Und der Verwesung empor?
Wie Gras auf dem Felde sind Menschen
Dahin, wie Blätter, nur wenige Tage
Gehn wir verkleidet einher!
Der Adler besuchet die Erde,
Doch säumt nicht, schüttelt vom Flügel den Staub und
kehret zur Sonne zurück.
Matthias Claudius
GRABINSCHRIFT
Setz dich an mein Grab ein bißchen.
Da ist's so still und einsam.
Sprich zu mir freundlich leise
Wie zu einem, der keine Antwort geben kann.
Mir wurde das Unfassbare vergönnt
Als ein Mensch
Einige Jahre auf der Erde zu leben.
Freu dich, der du noch die Sonne schaust.