Wer A sagt, sollte auch weitergehen. Winfried Niebes
mag sich denken, dass ich mir zur Körperwäsche das Waschbecken nicht reichen konnte. Mangels Dusche in meinem neuen Obdach nutzte ich sehr gerne das städtische Bad gegen geringes Geld. Einige Räume mit Badewannen konnten samstags bis zwölf Uhr genutzt werden.
Um mein monatliches Nettoeinkommen von etwa achthundert Mark nicht zu sehr zu strapazieren, fuhr ich etwa nur alle zwei Wochen nach Hause. (Eine noch vorliegende Berechnung meiner Dienstbezüge Anfang der 1970er Jahre weist netto siebenhundertsiebenundachtzig Mark aus.)
Meine Mutter hatte mir mit keinem Wort Andeutungen zukommen lassen, dass ich die Wäsche bringen könne. Aus eigenem Antrieb brachte ich also meine Schmutzwäsche in eine Wäscherei. Die Hemden waren danach prima aufgebügelt. Der Preis schien nicht zu hoch zu sein, da ich mir das leisten konnte, möglicherweise sogar musste, um nicht doch zu viel Wäsche nach Hause mitzunehmen.
Ansonsten verlief ein Wochenende ohne Heimfahrt meist arg langweilig, da ich außer Konrad keine Bekanntschaften oder gar Freundschaften erreicht hatte. Es ergab sich nicht die Möglichkeit. Zum Zeitpunkt meiner Bewerbung hatte ich mir erhofft, in eine Stadt mit aufregenden und pulsierenden Angeboten zu gelangen – aber diese Kleinstadt entsprach kaum meinen jugendlichen Vorstellungen. Der Kollege musste am Wochenende meist seine Pflichttermine mit seiner Freundin gestalten. Der Samstag und der Sonntag zogen sich so langsam und zäh dahin wie Kaugummi.
Hin und wieder sah man uns, manchmal bereits am späten Nachmittag, in Wirtschaften am Geldspielautomaten. Er frönte dem Risiko der geldschluckenden Kisten mit Begeisterung und konnte in die Luft hüpfen, sobald der eiserne Kasten heftig und laut Hartgeld ausspuckte. Leider hatte der Automat den inneren, fest gespeicherten Befehl, eingeworfene Münzen überwiegend zu behalten, sodass dementsprechend nur ab und zu ein Gewinn in Flüssiges umgesetzt werden konnte. Sparen war bei ihm irgendwie ein Fremdwort. Wie gewonnen, so auch gleich zerronnen; ich war jedenfalls eingeladen.
Bei meinen Rundgängen durch Stadt und Gegend am Wochenende erblickten meine Augen einmal einen schwarzen Mercedes; der zum Verkauf angeboten wurde. Ältere Autofahrer erinnern sich an das Modell mit den abgerundeten Kotflügeln. Einige Jährchen schien er angesichts des Preises sehr wohl auf dem Buckel, sprich unter den Rädern, zu haben. Der Preis war mit eintausendachthundert Mark ausgezeichnet. Mit meinem Lohn hätte ich lange sparen müssen, um mir diesen herrlichen schwarzglänzenden Wagen zu leisten.
Jeden Monat gewissenhaft eisern sparen war meine Überlegung, um stolzer Mercedeseigentümer zu werden. Kühlen Kopf bewahren, lautete meine von Kindheit an erlernte Devise. Aber womit sollte ich denn mögliche Reparaturen bezahlen? Der Dieselpreis lag im Verhältnis zu heute auf niedrigem Niveau. Ob und in welchem Umfang möglicherweise neue Reifen meinen Geldbeutel belastet hätten, ließ mich sehr an dem Vorhaben, Autobesitzer zu werden, zweifeln. Bezüglich der gesamten Materie hatte ich von Tuten und Blasen, wie es in Redensarten lautet, keine Ahnung. Das Risiko eines Erwerbs und die mir völlig unbekannten Unterhaltungskosten ließen mich nicht weiter von dem schwarzen Vehikel träumen. Die damaligen Erziehungsmethoden, die relative Armut der Nachkriegszeit mit besonders zu erwähnendem knappem Haushaltsgeld und mit vielen Sorgen meiner Eltern prägten mich. Es entwickelte sich mit den Jahren eine eiserne Sparsamkeit, Zielstrebigkeit mit einigen Steinbock-Charakteristiken, was als Anfangsgrad von Geiz und Egoismus bezeichnet werden könnte, je nach Blickwinkel der Leser.
Eine recht unerfreuliche Anekdote zum Tanken wird gestandenen Autofahrern die Stirn runzeln lassen. Mit dem städtischen Dienstwagen sollte ich zur fünfzehn Kilometer entfernten Kreisstadt fahren. Der Tankzeiger zeigte dringendes Nachfüllen an. An der Tanksäule muss ich irgendwie nicht auf die Beschriftung geachtet haben oder wer weiß, wie so ein Malheur geschehen konnte. Nach dem Bezahlen versuchte der Motor nach Bruchteilen von Sekunden einen Start und verpestete mit einer so heftigen Rauchsäule die Umgebung, als wäre ein Vulkan ausgebrochen. Entweder war im Tank Diesel statt Benzin oder umgekehrt eingefüllt worden. Der Schweiß brach aus mir heraus. Was soll ich tun? Pures Entsetzen registrierte ich im Gebaren des Tankwarts, welcher aus seinem Kassenhäuschen stürzte und aufgeregt vor mir stand.
„Was hast du denn fabriziert? Hast du keine Augen im Kopf oder den Führerschein von Neckermann erhalten?“, war seine mir kaum helfende Reaktion.
Was blieb mir anderes übrig, als mit den Schultern zu zucken und ahnungslos aus dem dicken Qualm zu verschwinden. Der Tankwart erkannte den Dienstwagen und rief auf meine Bitte hin bei der Stadtverwaltung an. Den weiteren Hergang zur Reparatur vermag ich bei bestem Willen nicht mehr zu rekapitulieren. Der dienstliche Ausflug endete also abrupt und meine Füße trugen mich mit bedröppeltem Gesicht zurück zum Rathaus. Weder an eine heftige Schimpfkanonade noch an eine Diskussion zur Kostenerstattung habe ich eine Erinnerung.
Irgendwann flatterte ein Brief mit der Aufforderung zur Erstattung von Ausbildungskosten aus dem Rathaus Stadtkyll in den Briefkasten meiner neuen Arbeitsstelle. In meiner Not und im Bewusstsein, die geforderte Summe nicht zahlen zu können, wendete ich mich ratsuchend an den Personalchef. Meine Aufregung senkte sich so rasch wie nach einer Fiebertablette, als er mir einen bereits vor Jahren ergangenen Erlass aus Nordrhein-Westfalen zeigte, nach dessen Bestimmungen derartige Kosten nach einem Wechsel zu anderen öffentlichen Arbeitgebern nicht zur Erstattung angefordert werden sollen. Es bedurfte einiges an Korrespondenz, bis der frühere Chef die Argumente aus NordrheinWestfalen akzeptierte und die Forderung einstellte.
Vor meinem Dienstantritt war mir zugesagt worden, dass ich nur eine kurze Probezeit zu bestehen habe. Auf meine Rückfragen musste ich allerdings hören, dass nach der Laufbahnverordnung eine festgelegte Wartezeit eingehalten werden müsse. „Das haben Sie völlig falsch verstanden“, lautete die Rückmeldung. Wer weiß, was ich damals gehört oder verstanden habe? Da mir das westfälische Städtchen nicht als Stadt nach meinen dörflichen Vorstellungen reichte, interessierte ich mich wiederum für die Stellenangebote in der Schwartzschen Vakanzenzeitung.
24 Lesehinweis
Ein Teppich in Köln-Mülheim
Die Universität zu Köln (künftig Uni) suchte einen Beamten für den mittleren Dienst. Deren Anzeige in der bereits erwähnten Schwartzschen Vakanzenzeitung entfachte mein Interesse. Ennepetal hatte sich als verschlafenes Nest entpuppt, ich jedoch wollte endlich in einer Großstadt leben. Die Hochschulen hatten keine Befugnis, eigenes Personal auszubilden, sodass Personalgewinnung nur durch Abwerbung erfolgen konnte. Meine Bewerbung hatte raschen Erfolg und zum 01. April 1970, nach nur einem halben Jahr Tätigkeit in Ennepetal, startete ich dort. Wie es das Schicksal wollte, wiederum in der Bau- und Liegenschaftsabteilung.
Während ich auf dem vorherigen Arbeitsplatz auch das Verfahren zu Erschließungs- und Straßenanliegerbeiträgen kennengelernt hatte, handelte es sich hier um Renovierungen, Reparaturen in universitären Instituten und Seminaren. Wissenschaftliche Kompetenz hatte ich bislang noch nie kennengelernt. Die Umstellung, insbesondere beim Ansprechen der Professoren oder Promovierten, festigte sich rasch im alltäglichen Vokabular.
Zum Einzug in meine neue Wohnung kam ich in völlig leere Räume, besaß kein einziges Möbelstück. Auf dem Boden konnte ich jedenfalls nicht schlafen. Ich kaufte mit Kontoüberziehung zwei kleine schwarze mit Kunstleder bezogene Sesselchen und ein Bett mit umlaufendem Kasten. Bettzeug hatte ich aus dem Elternhaus im Koffer mitgebracht. Mir wurde eine Richtlinie bekannt, dass zu einem Wohnungswechsel angesichts der zusätzlichen Einrichtungskosten vom Land ein zinsloses Darlehen, vielleicht zwei Nettogehälter, bewilligt werden könnte. Ohne Zögern füllte ich zügig die nötigen Papiere aus und erhielt mehr als zweitausend Mark. Nun konnte ich meine Schulden begleichen und zudem endlich noch ein wunderbar klingendes Kofferradio mit Kassettenteil erwerben. Für die erste Kassette mit Liedern meiner damaligen Lieblingssängerin Mireille Mathieu, übriges ist sie mein Jahrgang, musste aus meinem Geldbeutel eine Summe von dreißig D-Mark fließen. Im Verhältnis zu den Preisänderungen für die später zu erwerbenden Medien war es eine überaus stolze Summe. Meine kleine Französin erlebte ich fast hautnah während eines Konzerts. Den damals auch nicht geringen Eintritt leistete ich mir, um etwas kulturellen Genuss zu erleben. Später besuchte ich auch das Musical der Les Humphries Singers.
Mein Domizil im ersten Obergeschoss war schon sehr interessant. Von der an sich ruhigen Stadtstraße hörte ich keinen Verkehrslärm,