Wer A sagt, sollte auch weitergehen. Winfried Niebes
er mit Gerichten seiner gutbürgerlichen Küche. Blumenschmuck war Fehlanzeige. Etwa fünfzehn Holztische ohne Tischdecke, an den Wänden zierten ein paar vergilbte Aufnahmen aus dem Millowitsch-Theater und Bilder der Fußballmannschaft des 1. FC-Köln den Raum. Dorthin lenkten mich des Öfteren meine Schritte zum Verzehr einer guten Mahlzeit. Während warmer Sommertage und bei offener Terrassentür wurde mir zu später Stunde mancher Schlaf durch das „Bum, Bum“ der polternd abrollenden Kugeln und das postwendend erklingende freudige Gejohle über die vielen gefallenen Kegel geraubt. Bei geöffnetem Fenster war der Duft der Schweineschnitzel aus der angrenzenden Küche je nach meinem Sättigungsgrad oft appetitanregend, hin und wieder auch unangenehm. Angrenzend an mein Zimmer mit dem braunen Fußboden, wie Linoleum aussehend, hatte ich eine riesengroße Terrasse mit einer Art Teerbelag zur alleinigen Verfügung. Selbstverständlich hatte ich auch die Raumpflege zu erledigen. Schrubber, Putzlappen und Eimer waren in meinem Einpersonenhaushalt verfügbar. Einen Staubsauger hatte ich nicht und mir erschien das Gerät völlig unnötig. Auf den glatten Böden konnten Staubansammlungen wunderbar durch Luftzug in eine bestimmte Richtung wandern. Daher erlebte ich nicht selten, dass ich nach gewisser Zeit meine Fußspuren entdeckte und die kleinen „Wollmäuse“ unter dem Bett hervorlugten. Dringende Reinigung schien angesagt. Den Eimer füllte ich halbvoll und goss einen Schwall Wasser mittig im Zimmer auf den Boden. Mit dem um den Schrubber gewickelten Lappen verteilte ich das Wasser in mehrere Richtungen hin und her, wischte und nahm es auf, der Reinigungsakt war beendet. Bei geöffneten Türen und Fenstern sorgte, außer im Winter, die einströmende Wärme für rasches Trocknen. Es war üblich, dass die Uni einen Hausfrauentag gewährte. Da ich einen Haushalt führte, erlaubte ich mir, die üblichen und bezahlten Freistunden ebenfalls in Anspruch zu nehmen, auch wenn es für Männer damals nicht alltäglich war.
In keinem meiner Räume existierte eine Zentralheizung; dementsprechend lag die Miete unter dem üblichen Niveau. Als Wärmequelle diente mir ein kleiner Kachelofen mit Schamottestein auf vier Rollen. Der hohe Preis einer Hamburger Firma von fünfhundert DM für das gute Stück blieb in meinem Gedächtnis. Sein heftiges Gewicht spürte ich beim Hochtragen. Der nötige Transport vom Wohnraum durch den Flur in die Küche wurde durch dessen Rollen erleichtert.
Vom Treppenhaus eintretend, lag ein kleiner, nur mit künstlichem Licht zu erhellender Flur, links die Türe zur Küche mit ein paar Einbaumöbeln und einem eigenen elektrischen Zweiplattenherd. Mein geringer Lebensmittelbedarf fand Platz in einem kleinen, vielleicht sechzig Zentimeter hohen Absorber-Kühlschrank. Zur Campingausstattung sind derartige Geräte mit sechzig Litern Volumen heute im Internet zu Preisen von mehr als fünfhundert Euro zu kaufen.
Ein Gartenstuhl oder gar eine Liege für die Terrasse kaufte ich mir nicht. Zum Sonnenbad reichte mir ein Küchenstuhl völlig – zwar nicht bequem für längere Zeit, doch ich war während der Woche tagsüber ohnehin nicht dort. Hin und wieder machte ich mir die Mühe, einen meiner kleinen Sessel auf die Riesenfläche (mindestens fünf mal zwanzig Meter) hinauszutragen, was ein etwas bequemeres Sitzen ermöglichte.
Zu meiner Freude gehörte ein Komfort-Bad mit Wanne zur Ausstattung. Der wahrscheinlich einhundert Liter fassende Wasserboiler musste mit Holz gefeuert werden, um im kalten Wasser keine Frostbeulen zu erhalten. Eine Dusche war Fehlanzeige. Ob ich nach einem Wochenendbesuch bei den Eltern immer wieder einige Scheite Holz für mein Badewasser mitbrachte?
Es konnte jemand denken, mir ging es finanziell ausgezeichnet. Ich beauftragte eine Putzfrau zur Reinigung der mit hellen Fliesen ausgestatteten Treppe vom Erdgeschoss bis zu meinem Eingangsbereich im ersten Obergeschoss. Es war eine ältere, unverheiratete Frau aus der Nachbarwohnung links vor meinem Eingang, nicht größer als ein Meter sechzig, welche alle vierzehn Tage für mich die obligatorische Hausreinigung übernahm. Ein Obolus von zehn Mark war damals üblich. Auf Nachfrage konnte ich jedem versichern, dies als einzigen sichtbaren Anschein von Krösus zu geben. Hin und wieder traf ich im Treppenhaus eine in meinen Augen gutaussehende junge Frau. Sie wohnte auch auf meiner Etage mit ihrer Mutter und womöglich Tante. Drei weibliche Geschöpfe beherrschten das Reich, einen Mann sah ich während meiner Zeit dort nie. Außer ein paar Plaudereien zeigte sie kein Interesse an meiner Person. Sie grüßte stets mit freundlichsingendem Klang und einem Lächeln. In ihr sah ich ein echt kölsch Mädche, bei jedem Treffen im Treppenhaus schick gekleidet und frisiert.
Eine aus Bremen stammende Kollegin der Wohnungsfürsorge war Meisterin im Teppichknüpfen. Große und kleine Eigenproduktionen belegten ihre Fußböden. Aufgrund ihrer unermüdlichen Überzeugungsarbeit entschloss ich mich letztendlich zu einer neuen Freizeitbeschäftigung. Nach Bestellung meines Modells bei Teppich-Kibek – das Unternehmen existiert noch –, landete kurze Zeit später ein Paket bei mir. Es enthielt die ausgesuchte farbige Straminplatte, zwei unterschiedlich große Knüpfhaken und das Wichtigste, viele farbig sortierte und auf Länge geschnittene Wollpäckchen. Eine spezielle Klemmvorrichtung besaß ich nicht. Von einer Heimfahrt brachte ich aus dem Geräteschuppen kleine Schraubzwingen und eine Latte in Tischbreite zur Befestigung der Straminplatte mit. Obschon eine Knüpfanleitung der Lieferung beilag, benötigte ich dennoch mehrmalig fachkundige Unterweisung meiner Kollegin. Die Nutzung meiner Räume als Werkstatt für mein Hobby beschränkte sich auf meine Küche als multifunktionales Zentrum. Am Küchentisch saß ich viele, viele ungezählte Stunden. All die Jahre merkte ich mir die Dauer von zwanzig Minuten für eine Knüpfreihe (der Stramin maß einhundertvierzig mal fünfundneunzig Zentimeter). Bislang verzichtete ich auf das Zählen der geknüpften Reihen, um eine Hochrechnung zur damaligen Herstellungszeit zu erhalten. Komplett fertig war das Werk nach drei Jahren. Wie sagt man so schön: „Gut Ding will Weile haben.“ Niemand drängte mich zur Eile. An manchen dieser Arbeitstage mixte ich mir einen Whisky mit Wasser nicht nur als Erfrischung. Der Raum sollte vom Gefühl „Mir geht’s gut“ erfüllt werden. Besonders unerfreulich waren die unzähligen farbigen Wollflusen auf dem glatten Küchenboden. Bei jeglicher Bewegung im Raum oder in den Flur hinaus gab ich besondere Obacht, nur ja keinen Windsog zu erzeugen. Bei offenstehender Küchentür sausten die kleinen, unscheinbaren Wollgespinste schneller, als ich schauen konnte, quer über die Fliesen auf den glatten braunen Steinholzfußboden in den Flur. Nach jedem Arbeitsvorgang musste ich einen feuchten Putzlappen über die Böden sausen lassen. Kein Wunder, dass das Bedürfnis zum regelmäßigen Knüpfen eingeschränkt werden musste.
Meine Frau muss ich nicht mehr fragen, ob sie die Herkunft einer größeren roten Servierplatte kennt. Zur Vorbereitung des Abendbrotes für mich und drei Sportsfreunde war der Erwerb einer Aufschnittplatte nötig geworden, da ich für solche Zwecke nichts in meinem Schrank vorrätig hatte. An manchen Spätnachmittagen rannten wir vier hin und wieder auf der öffentlich zugänglichen Laufbahn am Müngersdorfer Stadion einige Runden. Derjenige mit der geringsten Kondition war ich, was einzugestehen mir damals schwergefallen wäre. Anschließend gingen wir zu mir, tranken ein Bier und aßen ein paar belegte Brote.
In mir steckte der Ehrgeiz, nur ja keine Wäsche nach Hause zu bringen. Den Spruch „Zum Wäsche waschen bin ich gut“, wollte ich nicht von meiner Mutter hören. Eine vollautomatische Waschmaschine, welche in Deutschland erst 1951 auf den Markt kam, zu kaufen, wäre mir zu teuer gewesen und hätte für die geringe Menge Schmutzwäsche nicht gelohnt. Also wusch ich diese im heißen Wasser in meiner Badewanne. Das geschah auf folgende Weise: Die einzelnen Teile zog ich mit einem gut gehobelten Stab, vielleicht in einer Läge von einem Meter fünfzig, nach dem Einweichen hin und her durchs Wasser. Manches Stück rubbelte ich zwischen beiden Händen, bis es mir rein erschien. Ich musste aufpassen, mich im fast kochenden Wasser nicht zu verbrennen. Das Trocknen auf meiner Terrasse, dort nach und nach auf den Küchenstühlen ausgebreitet, erreichte die Sonne mit Leichtigkeit. Die Bettwäsche musste ich schließlich Mutters Waschmaschine anvertrauen.
Wer kann sich vorstellen, womit und auf welche Art und Weise ich meine Hosen bügelte? Meine Mutter hatte sich ein neues, modernes Bügeleisen angeschafft, sodass für meine Bügelwäsche das alte elektrische Gerät verfügbar wurde. Während des Schreibens meiner Episode interessierte mich die Geschichte des Wäscheplättens in früheren Zeiten. Bei Wikipedia wurde ich fündig: Sehr weit zurück müssen wir schauen. Sogar bereits in der Han-Dynastie bis etwa 220 vor Christus wurden in China seidene Gewänder mit so genannten Pfanneneisen geplättet. Glühende Kohlen vermischten die Chinesen mit Sand in einer Metallpfanne.25
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