Gift. Sandra Schaffer

Gift - Sandra Schaffer


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schaute auf, Überraschung mischte sich unter die Traurigkeit. „Wieso?“

      „Haben Sie oder haben Sie nicht?“

      Abby zuckte nur mit dem Schultern, doch ihr Hirn arbeitete auf Hochtouren. Konnte das möglich sein? Er hatte ihr doch ziemlich deutlich klar gemacht, dass er den Fall nicht übernehmen könnte. Hatte er es dennoch getan?

      „Mrs. Roberts, ich habe Ihnen eine Frage gestellt und bitte Sie, diese auch zu beantworten.“

      „Und wenn es so wäre, was wollen Sie tun? Mich verhaften, weil ich nicht darauf warten will, dass Sie endlich Ihren Job machen?“

      O’Leary war Profi genug, um ihren Seitenhieb nicht persönlich zu nehmen, aber nur äußerlich, innerlich loderten Flammen der Wut. Er konnte damit umgehen, allein zu sein, keine Frau in seinem Leben zu haben, weil er mit seinem Job verheiratet war. Er konnte auch damit umgehen, dass er sich immer wieder Anfeindungen gegenüber sah, weil er schwarz war, doch damit, als unfähig abgestempelt zu werden und seinen Job nicht richtig zu machen, kam er nicht klar. Er tat alles in seiner Macht stehende, um den Fall schnell zum Abschluss zu bringen. Er hatte mit den Kollegen der anderen Städte gesprochen, die auch mit einem ungeklärten Mordfall zu tun hatten, doch außer der Mordwaffe, nämlich dem Gift, hatte es absolut keine Ähnlichkeiten gegeben. Diese anderen fünf Männer waren allesamt miese Kerle gewesen, hatten ihre Frauen geschlagen, mit Nutten verkehrt und gesoffen. Nichts von all dem traf auf den Ehemann dieser Frau zu, die ihm nun gegenüber saß und ihn böse anfunkelte. Sie hielt ihn für den Feind, dabei hatte er seit Tagen nicht mehr richtig geschlafen, weil ihn der Fall nicht losließ.

      „Sie sollten mir und meinem Team die Ermittlungen überlassen, nicht irgendeinem Möchtegern-Cop. Wir finden den Mörder Ihres Mannes, das verspreche ich Ihnen.“ O’Leary stand auf und machte Anstalten, den Raum zu verlassen. Er wollte sich nicht weiter den Anfeindungen einer trauernden Witwe aussetzten, er hatte schon zu viel um die Ohren und nicht die nötige Abwehrmauer, an der ihr Frust abprallen konnte.

      „Dann tun Sie gefälligst auch Ihren Job!“

      O’Leary drehte sich nicht noch einmal um und ließ ihre Worte an sich abprallen. Hätte er sich ihr noch einmal zugewandt, hätte er sich vielleicht nicht mehr im Zaum halten können. Aber auch wenn sie verärgert war, seinen Frust musste er nicht an ihr auslassen.

      * * *

      Anstatt nach Hause zu fahren, fuhr Mark in sein Büro. Dort ließ er sich in seinen bequemen Sessel sinken und goss sich einen Whiskey ein. Er wusste, dass es nicht gut war, zu viel von dem Zeug in sich hineinzuschütten, schließlich hatte er am eigenen Leib erfahren müssen, was aus Menschen unter zu hohem Alkoholeinfluss werden konnte. Mark aber konnte dennoch nicht aufhören. Er brauchte diese Drinks, um den Ärger, den ihm der Tag bereitet hatte, zu vergessen. Na ja, oder wenigstens für ein paar Stunden zu verdrängen! Nur die Information des jungen Officer durfte ihm nicht abhanden kommen. Sie war bisher seine wichtigste Spur. Also schrieb er sie vorsichtshalber auf.

      Irgendwann schlief Mark über dem ganzen Whiskey und seinen Überlegungen ein.

      Bis er vom schrillen Ton der Türklingel geweckte wurde, hatte er einen angenehmen, traumlosen Schlaf gehabt. Was für Mark eigentlich sehr untypisch war, da er stets unruhig schlief, wenn er zu viel getrunken hatte.

      Langsam stand er auf und streckte sich. Alle Knochen taten ihm weh und knackten bei jeder Bewegung. Mochte der Bürosessel auch noch so bequem sein, zum darauf schlafen eignete er sich jedenfalls nicht.

      „Ich komme ja schon“, rief er.

      Vor der Tür stand eine ziemlich besorgt dreinblickende Abby. „Na endlich! Ich dachte schon, die hätten Sie eingesperrt oder so.“

      „Mrs. Roberts, was machen Sie denn hier?“

      „Ich habe versucht, Sie anzurufen. Auch bei Ihnen zu Hause war ich. Verdammt Mr. Fallon, ich habe mir Sorgen gemacht!“

      Mark schüttelte den Kopf. „Warum das denn?“

      „Weil Detective O’Leary gestern Abend bei mir war und mich fragte, ob ich einen Privatdetektiv angeheuert hätte. Warum haben Sie mich abgewiesen und ermitteln nun doch?“

      „Keine Ahnung!“ Ihm dröhnte der Schädel und er hatte nicht die geringste Lust, sich einer Diskussion zu stellen. Er wollte nur eine Aspirin nehmen, nach Hause fahren und sich wieder hinlegen.

      „Geht es Ihnen gut?“

      Mark starrte Abby an, als hätte er vergessen, dass sie überhaupt da war. „Ja, sicher.“

      Doch als Abby die zu drei Vierteln geleerte Whiskeyflasche sah, bezweifelte sie Marks Aussage.

      Natürlich entging ihm nicht, dass Abby die Flasche anstarrte. Aber was hätte er machen sollen? Sich zu erklären hätte nichts gebracht. Es hätte nur nach einer billigen Ausrede geklungen, die es am Ende wahrscheinlich auch war! Also ignorierte Mark Abbys fragenden Blick.

      „Lassen Sie uns zu Ihnen fahren“, sagte er stattdessen, obwohl er viel eher dringend Schlaf benötigte. Erholsamen Schlaf!

      Abby nahm die Interstate 10 um zum Robert E. Lee Boulevard und von da auf die Jay Street zu ihrem Haus zu kommen, welches aus rotbraunen Backsteinen bestand.

      Als sie bei Abby ankamen, musste Mark feststellen, dass es schon weit nach Mittag war.

      „Verdammt, wie lange hab ich geschlafen?“

      Abby antwortete nicht. Er schien auch gar keine Antwort zu wollen, musterte einfach weiter mit verwirrtem Ausdruck die Uhr.

      „Ich mache Kaffee und dann sollten wir uns mal Martins Unterlagen ansehen.“

      Auf dem Weg zu Abby hatte Mark sie eingeweiht und ihr erzählt, was er in der Bar erfahren hatte, dass er am Tag zuvor fünf Reviere besucht hatte und wie die Cops dort mit ihm umgesprungen waren. Außerdem, was der junge Officer über den Akzent der Frau – wahrscheinlich die Mörderin – gesagt hatte. Er hatte aber auch angemerkt, dass sie sich irren könnten, weil die anderen Männer in Motelzimmern starben, nicht in einer Bar. Weshalb die Frau vielleicht doch nicht die Mörderin in ihrem Fall war. Denn bis auf die Tatsache, dass bei Martin das gleiche Gift verwendet wurde, stimmte sonst nichts überein. Doch vielleicht stimmte auch Marks Theorie von einer schwarzen Witwe, die Martin nur deshalb tötete, weil er ihr eben nicht verfallen war und sie nicht in ein Motel begleiten wollte!

      „Aber eine Theorie ist eben nur eine Theorie!“, hatte Abby geantwortet. Weshalb sie auch zu dem Schluss kamen, dass sich in Martins Papieren ein Anhaltspunkt befinden könnte. „Vielleicht hatte er aber doch eine Affäre und wollte diese beenden!“

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