Gift. Sandra Schaffer

Gift - Sandra Schaffer


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schneller zu bekommen, als wenn sie sich allein auf die Polizei verließ.

      Sobald sie wieder zu Hause war, schaltete sie das Notebook ein und ging online. Abby fand nur zwei Treffer in der näheren Umgebung. Der Erste war ein Mann Anfang Fünfzig, einzig und allein auf Betrugsfälle spezialisiert. Ganz sicher nicht der Richtige! Der andere war bedeutend jünger. Dreiunddreißig, Ex-Cop. Er hatte kein Spezialgebiet. Jedenfalls stand nichts davon in seiner Beschreibung!

      Abby googlete seinen Namen und fand sofort einen zwei Jahre alten Zeitungsartikel der New York Times. New York Times! Das war merkwürdig! In diesem stand, dass er den Dienst quittiert hatte, nachdem er bei einer Ermittlung nur knapp dem Tode entgangen war. Sein Partner soll dabei weniger Glück gehabt haben. Er war ums Leben gekommen, als sie beide versucht hatten, eine junge Frau zu retten. Auch sie hatte es nicht geschafft! Eine Lagerhalle am Pier war explodiert und in Flammen aufgegangen. Die Verdächtigen sollen sich noch darin befunden haben, zusammen mit dem Cop und der Frau.

      „Oh mein Gott, wie schrecklich“, flüsterte Abby in die Stille des Arbeitszimmers hinein. Die gesamte Einrichtung des Raumes bestand aus Mahagoni. Jedes einzige Möbelstück: die Regale, der Schreibtisch, die Schränke. Die Sonne verschwand gerade hinter dunklen Wolken, welche schon bald ihre Schleusen öffnen und die Trockenheit der letzten Tage vertreiben würden.

      Abby schloss die Seite und öffnete eine andere. Auf dieser Seite stand zu lesen, dass der jetzige Privatdetektiv zu einem der jüngsten Männer in der Geschichte des NYPD gehörte, der zum Detective befördert worden war.

      Abby war schwer beeindruckt!

      Aber warum hatte er dann einfach so den Dienst quittiert? Verließ man den Polizeidienst heute schon einfach aus dem Grund, weil ein Fall schiefgelaufen war? Oder hatte er sich für den Tod seines Partners und dem der Frau verantwortlich gefühlt?

      Egal, was auch immer diesen Mann veranlasst hatte, kein Polizist mehr sein zu wollen oder zu können, er war der Richtige für ihr Problem! Wahrscheinlich war er sogar der Einzige, der ihr wirklich helfen konnte. Vorausgesetzt, dass er den Fall übernahm!

      Natürlich lag es ihr fern, die Polizei in einem schlechten Licht dastehen zu lassen. Sie taten, was sie konnten! Nur war es Abby nun einmal nicht genug.

      Lautes Donnergrollen vertrieb die einsame Stille. Blitze, die über den Himmel zuckten, erleuchten für wenige Momente das Zimmer, malten bedrohliche, monsterähnliche Schatten an die Wände und brachten sofort wieder Dunkelheit, als sie verglommen.

      Abby suchte die Adresse des Privatdetektivs heraus, ging in ihr Schlafzimmer und tauschte den Rock gegen eine Jeans. Dann stieg sie in ihren Mini und fuhr in den verregneten Abend hinaus. Ja, es war mittlerweile Abend. Abby konnte es kaum glauben, aber während ihrer Internetrecherche waren die Stunden nur so verflogen.

       9

      Abby stand im strömenden Regen vor dem Gebäude auf der Loyola Avenue im French Quarter District und haderte mit sich, ob sie wirklich hineingehen sollte. Obwohl es schon recht spät war, brannte in mehreren Fenstern noch Licht. Hoffentlich gehörte eines davon der Detektei. Sie fragte sich, warum sie gerade jetzt so große Schwierigkeiten hatte, eine Entscheidung zu fällen. Fiel es ihr doch sonst nicht so schwer! Für gewöhnlich wusste sie genau, was sie wollte und wie sie es erreichte. Und eigentlich war sie sich noch nie einer Sache so sicher gewesen, wie in diesem Moment. Sie wollte den Mörder ihres Mannes drankriegen! Wollte, dass er für das, was er getan hatte, zur Rechenschaft gezogen wurde. Koste es, was es wolle! Also, warum stand sie dann immer noch hier, mittlerweile völlig durchnässt – das lange dunkle Haar klebte an ihren Wangen – und starrte zu den Fenstern hinauf?

      Schließlich setzte Abby sich dann doch in Bewegung, ging ins Gebäude und fuhr mit dem Fahrstuhl in den dritten Stock hinauf. Sie hatte vorher im Foyer an der Tafel nachgesehen, in welche Etage sie musste. Vor der Tür mit der Aufschrift Privatdetektiv Mark Fallon blieb sie stehen. Sie klopfte zweimal, doch niemand reagierte. Sie stellte fest, dass die Tür offen war und spähte hinein. Sie erblickte ein kleines Vorzimmer, mit einem Schreibtisch und Aktenschränken. Es war aber niemand zu sehen. Sie ging hinein. Ihr gegenüber stand eine Tür halb offen. Musik drang an ihr Ohr. Kansas!

      Sie trat auf die Tür zu und klopfte erneut. Der Mann hinter dem Schreibtisch erschrak und schaute von den Unterlagen auf, welche er gerade bearbeitete. Er hatte stahlblaue Augen, die durch sein dunkles Haar richtig zur Geltung kamen, seine Nase war schief und sah aus wie die eines Boxers nach mehreren Brüchen. Außerdem hatte er eine hässliche Narbe über der linken Augenbraue. Sie war fast zwei Zentimeter lang und verlief schräg nach unten. Doch bis auf die Narben in seinem Gesicht sah der Mann nicht aus wie ein typischer Boxer. Er war gut gebaut, keine Frage, doch war er kein Muskelpaket.

      „Guten Abend, Miss. Kann ich etwas für Sie tun?“, fragte er, stand auf, kam um den Tisch herum und streckte ihr die Hand entgegen. „Ich bin Mark Fallon, Privatdetektiv. Aber das wissen Sie sicher schon. Deshalb sind Sie schließlich hier, richtig?“

      Abby nickte und schüttelte ihm die Hand. „Ich bin Abigail Roberts. Und ja, ich bin hier, weil ich hoffe, dass Sie mir helfen können.“

      „Dann setzen Sie sich mal, Ms. Roberts.“ Er bot ihr einen Stuhl an und nahm dann wieder hinter seinem Schreibtisch Platz.

      „Eigentlich heißt es Mrs. Roberts.“

      „Verzeihung. Mrs. Roberts.“

      „Also gut, am besten sage ich Ihnen gleich, worum es geht. Mein Mann ist ermordet worden und die Polizei scheint auf der Stelle zu tappen!“

      Mark stockte. „Wow, fallen Sie immer gleich mit der Tür ins Haus? Sie wollen, dass ich einen Mord aufkläre?“

      Abby gefielen die Zweifel nicht, die sie aus seiner Stimme vernahm. Da sie wusste, dass er damals in New York einer der besten Cops gewesen war, den das NYPD hatte, war sie sicher, dass er ihr helfen konnte. Bis zu diesem einen Fall, der schief gegangen war und für ihn den Anlass dargestellt hatte, den Polizeidienst an den Nagel zu hängen, hatten er und sein Partner jeden ihrer Fälle gelöst. Laut Mark Fallons ehemaligem Captain – Abby hatte ihn auf gut Glück angerufen – hatten Mark und sein damaliger Partner alle Täter überführt und jede Ermittlung erfolgreich beendet. Also, wenn es jemanden gab, der trotz mangelnder Beweise den Täter finden konnte, dann dieser Mann! Aber er schien nicht begeistert zu sein, ihr Hilfegesuch zu hören.

      „Das ist richtig.“

      „Mrs. Roberts, ich bin Privatdetektiv, kein Detective der Mordkommission.“

      „Glauben Sie mir, Mr. Fallon, dessen bin ich mir sehr wohl bewusst. Und ich weiß auch, dass es keinen Besseren gibt als Sie!“

      „Ich fühle mich geschmeichelt, aber ich bin nicht sicher, ob dieser Auftrag meine Kragenweite ist.“

      Abby schaute sich im Zimmer um, wollte ein wenig Zeit gewinnen, um darüber nachdenken, wie sie ihn umstimmen konnte. Das Büro war zwar nicht sehr groß – es maß vielleicht fünfzehn Quadratmeter – doch es war geschmackvoll eingerichtet. Sein Mobiliar bestand aus Eichenholz. Auch hier stapelten sich Akten in den Regalen, aber auch verschiedene Bücher, von Sachliteratur bis zu Gesetzesbüchern. Es gab einen Fernseher rechts der Tür und eine Zimmerpalme links davon. Der Laptop auf seinem Schreibtisch war zugeklappt und von Papieren bedeckt. Ein Whiskeyglas stand vor ihm. Er hatte versucht es hinter einem Foto zu verstecken, doch Abby war es dennoch aufgefallen.

      „Bitte, Mr. Fallon, ich kann Ihnen jede nur erdenklich Summe zahlen.“

      „Und das glaube ich Ihnen sogar, aber ich wähle meine Aufträge nicht nach der Bezahlung.“

      Abby seufzte. Für gewöhnlich fiel es ihr leichter, einen Mann davon zu überzeugen, ihr zu helfen. Aber bisher ging es auch noch nie um einen Mord! Einen Mann zu bitten, sie von einer Party abzuholen und nach Hause zu fahren, war nun einmal etwas anderes, als ihn zu bitten, sich für sie – eine Frau, die er gar nicht kannte – in Gefahr zu begeben.

      „Wollen Sie sich nicht wenigstens erst einmal meine Geschichte anhören?“

      Er warf einen


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