Gift. Sandra Schaffer

Gift - Sandra Schaffer


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in New Orleans war, hatte ihn noch nie jemand gebeten, einen solchen Fall zu bearbeiten. Für gewöhnlich handelten seine Aufträge von Ehebrechern oder ab und an mal einem Diebstahl. Aber eine Mordermittlung? Er konnte sich nicht in eine Mordermittlung einmischen, er wollte sich nicht mit der hiesigen Polizei anlegen. Trotzdem schwirrten Abbys Worte weiterhin in seinem Kopf herum und egal, was er auch tat, wie viel Alkohol er auch trank, sie verstummten nicht.

      Nachdem Mark sich zwei Stunden schlaflos im Bett hin und her gewälzt hatte, stand er schließlich wieder auf. Er ging in die Küche, machte sich Kaffee und nahm an seinem Tresen Platz. Dann schaltete er den Laptop an und gab den Namen Prof. Dr. Martin Roberts ein. Der Mann stammte aus reichem Hause, hatte in amerikanischer Geschichte promoviert, war der Beste seines Jahrgangs gewesen und wurde sofort nach dem Studium als Professor an der University of New Orleans eingestellt. Professor Roberts war bei seinen Studenten und den anderen Dozenten sehr beliebt, er schien eine Art Heiliger gewesen zu sein. Er hatte sich nie etwas zu Schulden kommen lassen und war mit jedem ausgekommen. Jedenfalls laut Internet.

      Mark entschied, sich am nächsten Tag in der Bar umzusehen und mit dem Personal zu sprechen, auch wenn er nicht vorhatte, sich in die Ermittlungen einzumischen, die Neugier konnte er nicht einfach ignorieren. Er kam nicht umhin, sich pausenlos zu fragen, was der Mann in dieser Bar verloren hatte, wenn er doch nicht fremd gegangen war und eine wunderschöne Frau zu Hause gehabt hatte.

      Er klappte den Laptop wieder zu und ging mit dem Kaffee ins Wohnzimmer. Dort schaltete er den Fernseher ein.

      Die Sonne schien ihm ins Gesicht und er schreckte hoch und schaute auf seine Uhr. Sechs Uhr dreißig. Er war doch noch einmal eingeschlafen. Der Kaffee war mittlerweile kalt. Also kochte er sich einen neuen. Während der Kaffee durchlief, ging er unter die Dusche und rasierte sich. Am Abend würde er die Bar aufsuchen. Doch bis diese öffnete, vergingen noch ein paar Stunden, in denen er sich klar werden konnte, ob er das wirklich tun wollte; ob er sich wirklich auf eine Mordermittlung einlassen wollte, zwei Jahre nachdem er geschworen hatte, es nie wieder zu tun!

      * * *

      Sobald der Barmann um fünf Uhr abends den Laden aufschloss, stand Mark bereits wartend davor. Der Barmann – etwas kleiner als Mark, mit einem breiten Kreuz und einem Bauch, der weit über den Hosenbund hinausragte – hielt seinem ersten Gast des Abends wortlos die Tür auf. Mark trat in das schummrige Licht. Er konnte nur Schemen erkennen. Erst als seine Augen sich an die Lichtveränderung gewöhnt hatten, erblickte er den Tresen auf der linken Seite. Der übrige Raum wurde ausgefüllt von runden Tischen mit jeweils vier Stühlen.

      „Woll’n Sie’n Bier?“

      „Nein danke. Ich bin hier, um Ihnen ein paar Fragen zu dem Mordfall, der sich vor knapp einer Woche hier zugetragen hatte, zu stellen.“

      „Sie woll’n was über den Typ wissen?“

      „Ja.“ Mark zog seinen Detektivausweis aus der Hosentasche und zeigte ihn dem Mann. „Mein Name ist Mark Fallon. Haben Sie an besagtem Abend irgendetwas Ungewöhnliches beobachtet?“

      „Nicht nur an dem Abend!“

      Mark horchte auf. „War das Opfer vorher schon einmal hier?“ Abby hatte nichts davon erwähnt!

      „Mehrmals. Er trank immer zwei Bier und ging dann wieder. Aber die letzten drei Tage, bevor er starb, schien ihn jemand zu beschatten oder so was.“

      „Er ist beschattet worden?“ Verdammt, was ging hier eigentlich vor? „Können Sie den Mann beschreiben?“

      „Na ja, mal sehen. Viel hab ich nicht gesehen. Es ist ziemlich dunkel hier drin und der Kerl war vollkommen in Schwarz gekleidet.“

      Mark machte sich Notizen, hielt einen dunkel gekleideten Mann aber noch nicht für verdächtig. „Warum denken Sie, dieser Mann beschattete das Opfer?“

      „Na ja, er kam kurz nach ihm rein, bestellte nur Wasser und hielt das Opfer die ganze Zeit über im Auge. Sein Wasser hatte er in den drei Tagen, die er hier war, nie angerührt, ging auch immer sofort wieder, nachdem der andere die Bar verlassen hatte. Ich bin kein Experte! Aber das sah mir schon nach ‘ner Beschattung aus.“

      „Sie haben aber nicht gesehen, ob er aufgestanden ist und dem Opfer etwas in den Drink kippte?“

      „Nein, tut mir leid, aber an dem Abend war viel los. Na ja, kurz bevor der arme Mann mit dem Kopf auf den Tresen knallte, schaute ich zu dem Tisch, an dem der Kerl gesessen hatte. Aber er war verschwunden.“

      „Er ging also, kurz bevor das Opfer starb.“ Also konnte er sich an Mr. Roberts herangeschlichen, ihm etwas ins Glas geschüttet haben und verschwunden sein. Alles im Schutze der düsteren Beleuchtung. „Fällt Ihnen sonst noch etwas ein, das ungewöhnlich war?“

      Der Barmann legte die Stirn in Falten und dachte angestrengt nach. Doch dann schüttelte er den Kopf. „Nein, sonst war alles wie immer.“

       Also könnte der Mörder doch ein Mann gewesen sein!

       12

      Abby hatte Martins Arbeitszimmer seit Stunden nicht verlassen, eigentlich sogar seit dem Abend nicht, an dem sie bei dem Privatdetektiv gewesen war. Ihr war nicht bewusst, dass dies schon anderthalb Tage zurücklag. Abby hatte das Zeitgefühl verloren. Es war ihr in dem Moment abhanden gekommen, als sie sich in dem Zimmer verkrochen hatte. Sie hatte die schweren blauen Vorhänge zugezogen, damit kein Licht von draußen hereinschien. Keine Sonne, kein Mond, keine Sterne. Nichts davon wollte sie sehen. Ohne Martin an ihrer Seite waren die schönen Dinge des Lebens nicht mehr wichtig. Absolut nichts war mehr wichtig, weil sie niemanden mehr hatte, mit dem sie es hätte teilen können.

      Abby hörte Donna in der Küche hantieren und die Vögel zwitschern. Zumindest zeigten ihr diese Geräusche, dass Tag sein musste, auch wenn sie es nicht sehen konnte. Im Raum war es so düster wie in der Nacht. Nur eine kleine Schreibtischlampe spendete etwas Licht, genug, damit Abby das Bild von sich und Martin am Strand von L. A. sehen konnte. Sie waren so glücklich gewesen in diesem Sommer und hatten alle Touristenattraktionen mitgenommen, die L. A. zu bieten hatte, vor allem die Filmstudios.

      Als Abby an diesen Sommer vor einem Jahr zurückdachte, kamen ihr wieder einmal die Tränen. Es gab so viele Frauen, die von ihren Männer unterdrückt wurden, die in ihren Beziehungen nicht glücklich waren, die wahrscheinlich sogar Erleichterung darin fanden, den Menschen loszuwerden, der ihnen jahrelang wehgetan hatte. Warum hatte man nicht eine dieser Frauen vor ihrem miesen Ehemann befreien können, statt ihr den Mann zu nehmen? Das einzig Gute, was in ihrem Leben passiert war!

      Ohne es zu wollen, kam Abby ihre Mutter in den Sinn. Sie hatte ständig einen neuen Freund gehabt. Die meisten waren Arschlöscher, die nur mit ihrer Mutter ins Bett gewollt hatten, sich für Abby aber nicht die Bohne interessierten. Abby hatte seit zehn Jahren nicht mit ihrer Mutter gesprochen und hatte nie verstanden, wie sie ihr Leben hatte so sehr aus den Fugen geraten lassen können. Abby verspürte auch jetzt nicht das Bedürfnis mit ihr zu sprechen, immerhin hatte ihre Mutter nie versucht, sie zu finden, sich mit ihr auszusöhnen, also warum sollte dann Abby den ersten Schritt machen?

      Weil sie dringend mit jemandem reden musste! Jemand Außenstehendem. Und wer wusste weniger über ihr Leben in New Orleans Bescheid als ihre Mutter? Sie hatte Martin nicht einmal kennengelernt. Auch wenn Martin sie immer wieder gedrängt hatte, mit ihrer Mutter zu sprechen, ihre Differenzen aus der Welt zu schaffen, denn immerhin waren sie eine Familie, hatte Abby es nie übers Herz gebracht, zum Hörer zu greifen. Doch diesmal tat sie es. Es machte sie erst jetzt traurig, da Martin nicht mehr bei ihr war, nicht auf seine Worte gehört zu haben und beinahe hätte sie dennoch den Hörer wieder weggelegt. Dann wählte sie aber doch die Nummer ihrer Mutter, wobei sie nicht damit rechnete, sie darunter auch zu erreichen. Wie schon erwähnt, es waren zehn Jahre vergangen!

      Es klingelte. Einmal, zweimal, dreimal. Dann hob jemand den Hörer ab.

      „Hallo?“, hörte Abby die Stimme einer Frau. Sie war nicht mehr ganz so kräftig und fest wie noch vor zehn Jahren, aber immer noch die unverkennbare Stimme, die Abby ihr Leben lang kannte. „Hallo? Wer ist denn da?“


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