Gift. Sandra Schaffer

Gift - Sandra Schaffer


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Vernehmungsräumen hing und durch den die Verdächtigen beobachtet werden, den Beobachter aber nicht sehen konnten.

      „Sie sind also davon überzeugt, dass Ihr Mann keine Affäre hatte, wissen aber auch nicht, was er dann in dieser Bar wollte. Mitten in der Nacht! Ist das richtig?“, fragte O’Leary.

      „Das sagte ich doch schon. Und wenn ich nicht verhaftet bin, würde ich jetzt gerne gehen.“

      „Sicher, aber bleiben Sie in der Stadt.“

      „Ich habe momentan sowieso keine Zeit, zu verreisen. Ich muss eine Beerdigung planen.“

       6

      Abby stand vor ihrem Spiegel und weinte. Es waren bereits acht Tage vergangen, seit sie die Nachricht vom Tod ihres Mannes erreicht hatte, doch die Polizei hatte noch immer keine Hinweise und verdächtigte lieber weiterhin sie. Die Tränen verwischten ihr Make-up. Doch das war ihr egal. Sie betrachtete ihre geröteten, vom Weinen fleckigen Wangen, die aussahen wie ein Flickenteppich aus verschiedenen Rottönen. Blickte sie in ihre von Traurigkeit gezeichneten grünen Augen, die einst leuchteten wie Smaragde, nun aber glanzlos erschienen, glaubte sie nicht, je wieder glücklich zu werden.

      Auch nachdem nicht mehr zu leugnen war, was geschehen war, hatte es Momente gegeben, da sie glaubte, nur zu träumen! Doch betrachtete sie sich aus dem Spiegel heraus genauer, wusste sie, dass es kein Traum war oder gar ein geschmackloser Scherz! Sie trug wirklich dieses schwarze Kleid, das sie einmal an hatte, als sie und Martin auf eine Party eingeladen waren. Martin! Sie vermisste ihn mehr, als sie es für möglich gehalten hätte! Diese Party damals war schrecklich gewesen. Eine Dinnerparty in der feinen Gesellschaft, wie Martin sie gerne bezeichnet hatte. Die Frauen hatten sich merkwürdig benommen, waren in teuren Garderoben durch den Saal stolziert und taten jedem gegenüber wahnsinnig nett. Jedes Paar, an dem sie vorübergingen, hatten sie freundlich begrüßt, wobei die Damen aber nie den Blick von den Kleidern der anderen Frauen genommen hatten. Diese Frauen hatten sich zwar aufgeführt, als seien sie Freundinnen, waren Abby aber vorgekommen, als konkurrierten sie miteinander. Es schien nur darauf anzukommen, Neid zu empfinden, weil das Kleid der anderen Frau besser aussah als das eigene – oder es schlichtweg als scheußlich zu erachten, weil es der anderen Frau nicht stand (angeblich!) und sich so selbst besser zu fühlen.

      Abby hatte sich unter den Blicken all dieser Frauen zusehends unwohler gefühlt, auch wenn sie alle neidisch zu sein schienen.

      Wenigstens hatten die Männer sich normal benommen, mal davon abgesehen, dass sie miteinander gesprochen hatten, als wären sie Gelehrte des 19. Jahrhunderts.

      Nur die Tatsache, dass Martin, ihr Mann, bei ihr gewesen war, hatte den Abend etwas weniger schlimm erscheinen lassen. Und auch, dass ihr das Kleid – Martin hatte es ihr erst am Nachmittag mitgebracht – sehr gut stand und sie sich darin wohl gefühlt hatte.

      Nachdem sie die Dinnerparty dann endlich verlassen hatten, war daraus sogar noch ein richtig schöner Abend geworden.

      Ihr Make-up verwischte einmal mehr, als ihr schon wieder die Tränen kamen. Abby wollte sich das Kleid vom Leib reißen, es in irgendeine Ecke werfen und sich im Bett verkriechen und es, wenn es sein musste, nie wieder verlassen. Sie wollte im Boden versinken, einfach auf Nimmerwiedersehen verschwinden. Was sollte sie noch auf diesem Planeten, jetzt, da nichts mehr da war, was das Leben hätte lebenswert machen können?

      Abby weinte noch heftiger, als es an der Tür klopfte und Donna, ihre Haushälterin, vorsichtig ins Schlafzimmer trat.

      „Sind Sie fertig, Abby? Der Wagen wartet!“

      „Ich komme gleich, Donna.“

      Doch Donna ging nicht. Die kleine, rundliche Frau trat an Abbys linke Seite, nahm ein Tuch zur Hand und wischte ihr die Tränen von den Wangen. Auch sie trug ein schwarzes Kleid. Und auch sie hatte geschwollene, rote Augen vom Weinen.

      Donna war schon seit zehn Jahren Martins Haushälterin und ebenso schockiert ob der Tragödie wie Abby.

      „Kommen Sie, meine Liebe, wir wollen doch nicht zu spät kommen“, sagte Donna. Sie hing sich bei Abby ein und zog sie mit sich.

      „Ich kann nicht in diesem Kleid gehen, Donna. Es repräsentiert doch das Glück!“

      Donna rang sich ein sanftes Lächeln ab. „Eben genau deshalb sollten Sie es tragen. Martin mochte es, wenn Sie es trugen. Er wird sich freuen, Sie darin zu sehen, während er zum Himmel auffährt.“

      Abby nickte nur, sagte aber nichts. Was hätte sie auch darauf erwidern sollen? Donna war eine sehr gläubige Frau. Sie ging jeden Sonntag in die Messe. Sie glaubte an all das, was in der Bibel stand. So auch an das Paradies, was Martin ihrer Meinung nach erwartete. Abby war sich da nicht so sicher. Wenn es wirklich einen Gott gab, warum nahm er ihr Martin dann weg? Er war doch erst einunddreißig! In der Blüte seines Lebens! Warum sollte ein Gott so etwas zulassen?

      * * *

      Die Kirche war voll von Menschen, die Abschied nehmen wollten. Abby saß in der ersten Reihe. Donna neben ihr. Martin hatte keine Familie mehr, dafür aber sehr viele Freunde, die alle gekommen waren.

      Sein Sarg stand vor der Kanzel, nur wenige Schritte von Abby entfernt. Blumen schmückten ihn. Viele Blumen! Als ob Blumen Trost spenden könnten.

      Die Beerdigung dauerte fast zwei Stunden. Der Priester erzählte sehr viel. Abby aber hörte nicht zu. Sie konnte nicht! Sie konnte nur daran denken, dass es das jetzt war. Sie würde Martin nie wieder sehen. Nie wieder mit ihm sprechen, scherzen, lachen und weinen. Selbst ihre kleinen, manchmal völlig sinnlosen Streitereien vermisste sie jetzt schon.

      * * *

      Wieder zu Hause, musste Abby sich mit den Trauergästen auseinandersetzen. Die Höflichkeit gebot es, dass sie jeden begrüßte und ein paar Worte wechselte. Dabei wollte Abby allein sein. Sie wollte all die Menschen hinauswerfen, sich in Martins Lieblingssessel verkriechen und um ihn trauern. Sie wollte sich die Seele aus dem Leib heulen. Doch so lange ihr Haus voller Menschen war, von denen sie nicht einmal die Hälfte kannte, sollte Abby die Erfüllung dieses Wunsches verwehrt bleiben.

      Also ging sie in die Küche. Donna rotierte. Sie kochte gleichzeitig Kaffee, belegte Brote und verstaute all die Aufläufe, welche die Leute mitgebracht hatten, weil sie glaubten, ein Auflauf würde helfen, den Verlust besser zu verarbeiten, im Kühlschrank.

      Donna weinte nicht mehr. Auch ihr blieb keine Zeit, in Ruhe zu trauern. Die Gäste wollten versorgt werden und Donna tat ihr Bestes, um es allen recht zu machen.

      „Kann ich Ihnen helfen, Donna?“ Abby brauchte Ablenkung, wollte von niemandem mehr eine Anekdote aus Martins Leben hören und auch die vielen Mitleidsbekundungen überstiegen bei Weitem das, was sie im Stande war auszuhalten.

      „Aber nicht doch, Abby, das ist mein Job!“

      „Na und? Sie können Hilfe gebrauchen und ich jemanden, mit dem ich reden kann, ohne wie ein kleines Kind beäugt zu werden, weil man befürchtet, dass es allein nicht klarkommen wird, zu labil ist oder dergleichen. Ich habe das Gefühl, all diese Leute da draußen warten nur darauf, dass ich zusammenbreche oder verrückt werde.“

      Donna nickte verstehend. Natürlich war auch ihr aufgefallen, wie Martins Freunde und Bekannte Abby ansahen.

      „Kann ich sie nicht einfach hinauswerfen?“

      „Es ist Ihr Haus, Abby!“

      „Richtig.“ Doch anstatt die Küche zu verlassen, und die Trauergäste zu bitten, nach Hause zu gehen, fing Abby an, den Geschirrspüler einzuräumen.

      Und nachdem endlich alle weg waren und Abby Donna beim Aufräumen geholfen hatte, konnte sie erschöpft zu Bett gehen. Aber sie konnte nicht schlafen. Sobald sie die Augen schloss, sah sie Martin im Obduktionssaal auf einer Bahre liegen, sein schlanker Körper bedeckt von einem Tuch. Im ersten Moment hätte man denken können, er schliefe nur, wäre da nicht die Tatsache gewesen, dass sein Gesicht grau und eingefallen war.

      Abby riss die Augen auf und schaltete die Nachttischlampe ein. Ihr Herz raste! Sie atmete schwer, als sei


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