Fantasy Sammelband Riyala - Tochter der Edelsteinwelt Band 1 bis 5. Antje Ippensen

Fantasy Sammelband Riyala - Tochter der Edelsteinwelt Band 1 bis 5 - Antje Ippensen


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enttäuscht öffnete sie die Augen einen Spalt weit, und sie sah, dass in ihrer unmittelbaren Umgebung eine seltsame Veränderung vor sich ging. Sämtliche Farben – das Ockerbraun und Schiefergrau der Felsen, das Graugrün der Grasbüschel, das Gelb des Staubes – wurden von einer unsichtbaren Kraft aus den Dingen herausgesogen. Mit dem neben ihr stehenden Magister, der ihre Hand losgelassen hatte, geschah das gleiche. Und dann verblasste alles immer mehr; die Konturen begannen sich allmählich aufzulösen. Alles, was weiter als zehn Schritt entfernt war, verschwamm bereits, verwandelte sich in nebelhaftes, flimmerndes Grau.

       Es wurde ganz still, als sei dieser Teil der Welt in nasses Heu verpackt.

       Nur an sich selbst bemerkte das Mädchen keine Veränderung. Ihr Gauklerinnenkleid leuchtete so bunt wie eh und je, und auch die rotbraune Schmuckschatulle blieb plastisch, fest und farbig.

       Sehr beruhigend, dachte Riyala, während um sie herum nur noch graue Streifen und Schlieren erkennbar waren. Nur kurze Zeit schien sie durch ein farbloses Nichts zu treiben, ohne einen Schritt zu tun – sie wagte auch kaum, sich zu bewegen, sondern umklammerte nur wie haltsuchend das Kästchen – dann war es vorüber, und der Verwandlungsprozess lief umgekehrt ab.

       Riyala riss Mund und Augen weit auf vor Verblüffung. Ihr Wunsch, an den sie die ganze Zeit über so intensiv wie möglich gedacht hatte, hatte sie dorthin führen sollen, wo ihr Abenteuer begonnen hatte – und genau das hatte geklappt!

       Langsam schälten sich die Umrisse der Stadtmauern und jenes Lagerhauses aus dem magischen Nebel heraus, die Farben und Geräusche kehrten zurück. Andere Co-Lhaner waren nirgends zu sehen, doch Riyala hatte ohnehin das sichere Gefühl, dass dieser Zauber von niemandem beobachtet werden konnte – der Edelstein-Magister war kein Mann, dem hierbei Missgeschicke unterlaufen würden.

       Sie war wieder zu Hause ... und erst in diesem Moment fiel ihr urplötzlich, in eisigem Schrecken, das Gauklermädchen Sandirilia ein. Riyala konnte es selbst kaum fassen, dass sie nicht mehr an diese Begegnung und ihre Folgen gedacht hatte, obwohl damit doch tatsächlich alles angefangen hatte!

      „ Oh, nein! Das ist doch nicht möglich“, murmelte sie entsetzt vor sich hin, und dann stolperte sie so schnell wie möglich zu dem Kellerraum hin. Ihre Gedanken rasten dabei wie in die Enge getriebene Tiere. Der Magister hatte doch noch ausdrücklich gefragt, ob da noch etwas wäre, was ... Nun war es zu spät.

       Die beiden Balken, mit denen sie ihre Gefangene an der Flucht hatte hindern wollen, lagen am Boden, die Tür stand weit offen.

       Riyala biss sich auf die Lippen. Sie hätte sich ohrfeigen können für ihre Dummheit und Vergesslichkeit ... und tief in ihrem Inneren spürte sie auch Scham – und ein Schuldgefühl.

       Es war jetzt früher Nachmittag, und sie hatte Sandirilia doch versprochen, am Morgen wiederzukommen ... die junge Gauklerin hatte nichts zu essen gehabt in dem Kellerloch und keinen einzigen Tropfen Wasser ...

       Auf dem stinkenden Boden des düsteren unterirdischen Raumes lag Riyalas zeremonielle Kleidung. Also war Sandirilia tatsächlich im Untergewand geflohen – oder hatte, was wahrscheinlicher war, einen Helfer und Befreier gehabt.

       Nachdenklich kleidete Riyala sich wieder um. In ihren eigenen Sachen fühlte sie sich seltsam unbehaglich – als ob sie ihr nicht mehr recht passen würden. Sie wickelte das dreckige Gauklerinnengewand zu einem Bündel zusammen, in das sie ihr Edelsteinkästchen, den kleinen Glasflakon und auch das „Auge des Falken“ sorgfältig hineinknotete. Während ihre Hände mechanisch diese Bewegungen ausführten und sie daran dachte, das schmutzige Kleid Lania zum Waschen zu geben, reifte in ihr der Entschluss, die Sache mit Sandirilia zu verdrängen.

       Es gibt sicher nichts, was der Magister nicht auch noch im Nachhinein in Ordnung bringen konnte ... wenn es denn notwendig werden sollte, ging es ihr noch durch den Sinn. Sie zuckte die Achseln und verließ dann den finsteren Keller, um zur Mondburg zurückzukehren.

       Sie fühlte sich mehr als gut – alles war so unglaublich und doch war all das wirklich passiert! Nigel, der Edelstein-Magister, die magischen Kristalle ...

       Diese Riyala, die jetzt selbstbewusst das Haupttor ansteuerte, hatte nichts mehr mit dem trotzigen Mädchen gemeinsam, das so gelangweilt und so erlebnishungrig gewesen war. Sie glaubte fest daran, dass es so war, dass sie sich verändert hatte – und plötzlich begrüßte sie aus dem blauen Himmel das helle durchdringende Krächzen ihres Falken.

       Abermals klopfte Riyalas Herz schneller vor Stolz und Freude. Sie hatte ihn geheilt! Er kreiste eine Weile über ihr und entschwand dann hinter den Dächern der Burg.

       Ein besseres Omen für ihre Heimkehr konnte es gar nicht geben.

       Die erste Begegnung mit ihren Eltern und auch die mit Lania verlief tatsächlich vollkommen problemlos. Niemand fragte sie aus, keiner wollte etwas über ihre Pläne wissen. Erst einmal schien sie also frei zu sein ... Der Kristallhexer war wirklich ein mächtiger Verbündeter.

       In der folgenden Nacht träumte Riyala sehr lebhaft; in einem ihrer Träume, an den sie sich später glasklar erinnerte, erschien der Edelstein-Magister, das Kinn auf den Türkisknauf seines Krückstockes gestützt.

      „ Ruf mich, wenn du mich brauchst“, sagte er. Der blaugrüne Stein auf seinem Stock verwandelte sich in einen Blutstein, den der alte Mann bedächtig abnahm. Ebenso bedächtig ritzte er mit einem kleinen Dolch seinen Unterarm, so dass ein paar Tropfen Blut hervorquollen. Er drückte den blauschwarzen Stein leicht auf den Kratzer, und seine Augen blickten vielsagend.

       Riyala verstand diese Nachricht sofort. Sie lächelte im Schlaf.

      4. Kapitel: Geheimnisse

       Der Silberne Saal im Herzen der Mondburg war kreisrund. Kostbare Einlegearbeiten und Ornamente schmückten die Wände: Mondsymbole überall und zahlreiche Sterne sowie Schriftzeichen aus uralter Zeit. Farbtöne in Perlmutt, gebrochenem Weiß und Taubengrau herrschten vor – die Nuancen des Mondes. Die verschnörkelten Kerzenleuchter, die den fensterlosen Saal erleuchteten, bestanden aus blankpoliertem, getriebenem Silber. Genau sieben dieser Leuchter waren um den Altar der Großen Mutter herum angeordnet ... und das war der Ort, zu dem die Matriarchin von Co-Lha ihre Tochter gerufen hatte.

      „ Mein Kind, ich mache mir Gedanken über dich.“ Riyalas Mutter sprach in ernstem Tonfall, aber es lag kein Vorwurf in ihrer Stimme.

       Riyala war dennoch beklommen zumute – ohnehin fand sie es in diesem Saal immer kalt, und sie fröstelte. Sie hatte wenig Lust zu einem Gespräch mit der Matriarchin ... seit mehreren Wochen, genauer gesagt seit jenem denkwürdigen Tag ihres „Ausfluges“ ,waren ihr beide Eltern fremd geworden.

      „ Deine Sorgen um mich sind vollkommen überflüssig“, sagte Riyala abwehrend und in einem leicht gereizten Tonfall. Innerlich seufzte sie dabei – sie hatte ja gewusst, dass dieser Tag kommen würde. Irgendwann, das hatte sie geahnt, würden die Autorität und der Einfluss ihres zauberkundigen Lehrmeisters nicht mehr ausreichen, um ihre Familie auf Distanz zu halten. Riyala hatte sich deshalb auf diesen Tag vorbereitet und gewisse Vorsichtsmaßnahmen getroffen ... Natürlich liebte sie ihre Mutter, aber es lag nicht in ihrer Absicht, auch nur eins ihrer sorgfältig gehüteten Geheimnisse preiszugeben.

      „ Sorgen um dich?“, erwiderte die Mutter. „Nein, meine Tochter. Ich weiß, dass der alte Mann gut auf dich achtet. Er hütet dich wie einen Schatz und teilt sein Wissen mit dir. Meine Gedanken wandern vielmehr in die nahe Zukunft, die so furchtbar düster aussieht.“

       In der Kunst des Gedankenlesens hatte sich Riyala bislang kaum geübt – sie wollte gar nicht so genau wissen, was jeder dachte, und glaubte auch nicht daran, diese Fähigkeit zu besitzen – aber jetzt spürte sie nur allzu deutlich, was in der Matriarchin vorging. Aus deren von vielen Fältchen durchzogenem, aber immer noch hübschem Gesicht leuchteten die graugrünen Augen wie zwei Sterne. Das Haar fiel in dichten Wellen von dunklem Silber auf ihre zierlichen Schultern herab. Die Regentin von Co-Lha war hochgewachsen und hielt sich sehr gerade.

       Und durch ihre imposante Erscheinung hindurch wurden vor


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