Fantasy Sammelband Riyala - Tochter der Edelsteinwelt Band 1 bis 5. Antje Ippensen
in ihrem Hirn fort. Verzweifelt suchte sie nach einer Lösung ... ganz kurz dachte sie sogar daran, auch dem Geliebten etwas von jener fügsam machenden Essenz einzuflößen. Aber das kam ihr dann so unsagbar schändlich vor, dass sie den Gedanken sofort wieder wegwischte.
Woher mochte Nigel nur das Gold gehabt haben, um all diese Waffen kaufen zu können? – Aber im Grunde war es nicht so verwunderlich. Seitdem sie sich nähergekommen waren, seit jener wunderbaren Nacht, hatte er ihr so manches von sich erzählt. Nigel war fern von Co-Lha erzogen und im Kriegshandwerk ausgebildet worden, und er besaß unglaubliche Fähigkeiten als Führer und Organisator. Er war in jeder Hinsicht ein außergewöhnlicher Mann ... liebevoll und zärtlich, doch auch hart und unbeugsam; unerschütterlich in seiner Sorge und seinem Verantwortungsgefühl für alle leidenden Menschen. Und das trotz seiner einfachen Herkunft ...
Solcherart schossen kreuz und quer wirre Gedankenfetzen durch Riyalas Geist, und sie hantierte dabei mechanisch, wie in Trance mit den Edelsteinen. Sie reinigte die einen in klarem, kostbarem Wasser, legte andere in Gruppen von kleinen Blut-, Rosen- oder Bergkristallen, und wieder andere lud sie mit Erdenergie auf, indem sie sie vergrub. Und immer wieder ließ sie etwas fallen oder vergaß, was sie gerade hatte tun wollen. Ihre Arbeit gedieh nicht dabei.
„ Riyala Falken.“ Die Stimme des alten Magisters war ruhig und freundlich.
„ Möchtest du mir sagen, was dich bedrückt?“
Riyalas Kopf schnellte hoch, und durch ihr zerzaustes Haar hindurch blitzten ihre Augen ihren Lehrmeister an.
Nein, alter Mann, beim Raben des Todes – genau das möchte ich nicht, dachte sie und schwieg. Nach einer langen Pause stieß sie wild hervor: „Was genau mache ich wirklich hier? Wozu ist es gut, dass ich meine magischen Fähigkeiten entwickle? Soll ich etwa wie Ihr einst durch die Lande ziehen und kranken Menschen helfen? Was ist meine Bestimmung?“
Der Magister, der soeben eine Reihe von wasserklaren, bizarr geformten Gebirgskristallen kreisförmig angeordnet hatte, ging zu seinem Weidenrohrsessel und ließ sich leise ächzend darin nieder. Vermutlich plagte ihn wieder seine Steifheit in den Beinen.
Riyala war zu unruhig, um sich setzen zu können – rastlos wanderte sie im Wohnbereich der Höhle auf und ab.
Wie es so seine Art war, antwortete der Alte nicht etwa auf Riyalas aufbegehrende Fragen, oh nein. Keineswegs.
„ Du hast jetzt viele Stunden bei mir zugebracht und warst mir eine gelehrige Schülerin“, begann er. „Ich staune oft, wie schnell du lernst, und du selbst hast mir bestätigt, es sei für dich so, als müsstest du dich nur an etwas Halbvergessenes erinnern. – Ja, du hast viel gelernt“, wiederholte der Magister sinnend. „Aber hast du irgend etwas wirklich begriffen ?“
Abermals funkelten seine grünen Augen auf diese durchbohrende, ja schneidend scharfe Art, was schwer erträglich war.
„ Ich habe keine Ahnung, was Ihr damit sagen wollt!“, rief Riyala wütend und voller Abwehr aus.
Der alte Mann lächelte.
„ Tatsächlich nicht?“
Als Antwort warf sie die schimmernden Mondsteine in ihren Händen zu Boden. „Ich wünschte, ich wäre Euch nie begegnet, verfluchter Kristallhexer!“ Nachdem sie ihm noch diese Verwünschung voller Grimm ins Gesicht geschleudert hatte, rannte Riyala einfach davon.
Der innere Aufruhr an Gefühlen, der in ihr tobte, ließ sie in der kommenden Nacht kein Auge zutun.
5. Kapitel: Verrat
Die sengende Sonne hatte auch am folgenden Tage nichts von ihrer Kraft verloren. Nach wie vor lösten ihre Strahlen jedwede zaghaft sich bildende Wolke in Nichts auf.
Riyala Falken jedoch bemerkte kaum, dass Schweiß über ihre Haut rann und ihr Gewand an ihrem Körper klebte. Tief in Gedanken versunken, ging sie auf das Dorf Arjenez zu.
Sie war fest entschlossen, ihr Verhältnis zu Nigel wieder ins Reine zu bringen. Voller Sehnsucht dachte sie an sein Lächeln, seine warmen, starken Hände. Seit ihrem zweiten Zusammensein an der Perlenbrücke, am rissigen Ufer des fast ausgetrockneten, schlammigen Flusses Co wusste sie ganz sicher, dass sie mehr für ihn empfand als für all die jungen Männer, die sie vor ihm gekannt hatte. Ja, und sie liebte ihn gerade wegen seines Stolzes und seiner inneren Kraft, mit der er sich für das einsetzte, was ihm wichtig war.
Und der Edelstein-Magister? Nun, der konnte warten; sie war überzeugt davon, dass er sie bei ihrem nächsten Besuch so empfangen würde, als sei nichts geschehen ... und er würde kein Wort über ihr Benehmen äußern, es sei denn, sie käme von selbst darauf zurück.
Riyala wanderte durch die leeren Gassen des Dorfes – sonderbar, nirgends war ein Mensch zu sehen – und schlug den Weg zur strohgedeckten Hütte der Familie Dha-Na ein. Auf einmal hörte sie vielstimmiges Geraune vom Marktplatz her; es hörte sich so an, als fände dort eine Versammlung aller Dorfbewohner statt. Bestimmt war Nigel ebenfalls da – kurz entschlossen änderte Riyala die Richtung und näherte sich dem runden Platz, dessen Brunnen praktisch versiegt war und nur noch zähen Schlamm förderte.
Es schien wirklich eine Art Versammlung zu sein. Die Dörfler machten eine Gasse für Riyala frei, und dabei registrierte das Mädchen erstaunt, dass viele tuschelnd die Köpfe zusammensteckten oder sie feindselig musterten ...
Was ist denn mit denen los?
Plötzlich gefror Riyala ihr Lächeln auf den Lippen, denn ein heller Schrei gellte zu ihr herüber – ja, er galt ganz eindeutig ihr.
„ Das ist sie! Das ist Riyala, die ehrlose Tochter der verdammten Matriarchin und des verfluchten Heros von Co-Lha!“
Vom Schock bis ins Mark getroffen, blieb Riyala stehen, nur noch wenige Schritte von der leicht erhöhten Mitte des Platzes entfernt.
Da stand – dicht neben Nigel, oh nein, bei der Großen Göttin, NEIN!!! – Sandirilia, das Gauklerkind, und zeigte anklagend mit dem Finger auf Riyala, die sich wie nackt ausgezogen fühlte.
Sandirilia sah furchtbar aus; sie war in zerrissene Lumpen gekleidet, ihr rötlich-sandfarbenes Haar hing strähnig herunter, und sie hatte mehrere blutige Schrammen und bläuliche Prellungen im Gesicht.
„ Sie hat euch die ganze Zeit bösartig hinters Licht geführt! Euch alle nach Strich und Faden belogen – und mit kümmerlichen Almosen abgespeist!“
Sandirilia stieß diese vernichtenden Worte in giftigem Triumph hervor, und Riyala zitterte am ganzen Körper vor Scham und Entsetzen. Ihr Blick irrte zu Nigel, der sie in fassungsloser Enttäuschung ansah.
„ Und heute“, fuhr Sandirilia fort, „heute hat man mich und andere Flüchtlinge mit grausamer Gewalt aus der Stadt gejagt! Seht mich nur an – unter Stockschlägen wurde ich zurück in den Hunger und das Elend geworfen, aus den Armen meiner Schwester gerissen – auf Befehl der Herrscherin und des Herrschers!“
Totenstille breitete sich auf dem geräumigen Platz aus. Niemand sprach ein Wort; man hätte ein Steinchen zu Boden fallen hören können, so ruhig war es ringsum.
Mit rauer Stimme fragte Nigel: „Ist es wahr, was das Gauklermädchen Sandirilia sagt? Hast du sie eingesperrt und ihre Kleidung genommen, um uns auf diese Weise zu täuschen? Ist es wahr, dass du Riyala bist, die Tochter von ...“ Seine Stimme versagte, er sprach nicht weiter. Seine dunklen Augen flackerten, und auch er zitterte.
Riyala konnte es nicht ertragen – sie ging ein paar Schritte auf ihren Geliebten zu und streckte bittend die Hand nach ihm aus. Er rührte sich nicht.
„ Ja“, sagte sie tonlos, „es ist die Wahrheit. Aber ...“
Sie verstummte, als er vor ihr zurückwich. Das war grauenhaft. Sie hätte es nie für möglich gehalten, dass etwas so weh tun könnte.
„ Ich kenne dich nicht mehr“, sprach Nigel, und es klang wie ein Todesurteil.