Fantasy Sammelband Riyala - Tochter der Edelsteinwelt Band 1 bis 5. Antje Ippensen
Jacke, die aus dunklem Makanleder gefertigt war. Diese Jacke besaß eine geräumige, zuknöpfbare Innentasche, in der sie ihre vier ständigen „Steinbegleiter“ verstaute: das Falkenauge, den Rosenquarz, den Blut- und den Bernstein.
Es musste spät am Nachmittag sein, als sie die schweren Schritte und das Waffengeklirr vom Flur her vernahm. Beklommen lauschte sie auf diese näherkommenden Geräusche, doch obwohl sich das unbehagliche Vorgefühl in ihr mehr und mehr verstärkte, sollte sie das, was dann geschah, vollkommen unvorbereitet treffen – wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Vier Burgwächter traten ein, ohne zu klopfen, und ihr Führer, ein älterer Krieger mit grausilbernem Schnauzbart – ein Mann, den Riyala von Kindheit an kannte – sprach in schnarrendem Ton und mit eisiger Kälte im Blick: „Riyala, Tochter der Matriarchin und des Heros von Co-Lha, Ihr werdet hiermit gefangengesetzt.“
Riyala konnte es nicht fassen, aber das war die offizielle, unpersönliche Formel, die einer jeden Verhaftung vorausging. Sie hatte sich nicht verhört.
„ Und wieso? W-wessen werde ich angeklagt?“, brachte sie stammelnd hervor.
„ Hochverrat“, sagte der Wächter knapp und schroff.
Alles brach zusammen, ihre Welt ging unter ... Riyala starrte in das Gesicht des Mannes, das wie eine steinerne Maske war.
Und schon traten auf einen Wink ihres Führers hin zwei seiner Leute vor, schwarze Eisenfesseln in den Händen. Unfähig zu protestieren, wie gelähmt ließ Riyala es einfach geschehen, dass man sie in Ketten legte, und das nicht gerade sanft. Sie musste die Zähne zusammenbeißen, denn die Fesseln schnitten in ihre zarten Gelenke. Es gelang ihr, keinen Laut von sich zu geben.
Ein ungeheurer Verdacht kam ihr, wuchs und wuchs, bis er ihr gesamtes Denken verschlang ...
ENDE
Band 2: Der dunkel glitzernde Weg
Fantasyroman
von Antje Ippensen
Nachdem sie fast alles verloren hat, findet sich Riyala Falken in einer fremden Welt wieder, in der harte Prüfungen auf sie warten. Sie begegnet neuen Freunden und neuen Feinden, übt sich in der Kunst der Edelsteinzauberei – bis sie eines Tages in den Bann einer Macht gerät, die sie zu überwältigen droht und durch die sie sich stärker verändern wird, als sie es je für möglich gehalten hat …
1. Kapitel: Schuld
Die Wächter führten ihre junge Gefangene alsdann treppauf und treppab und durch die langen ringförmigen Gänge der Mondburg – bis hin zum großen Weißen Saal, in dem das Regentenpaar Recht sprach.
Und dort erwartete man Riyala. Neben zahlreichen Würdenträgern des Hofes waren auch Zuschauer aus dem einfachen Volke zugegen; Bedienstete und Soldaten standen an den weiß gekalkten Wänden des oval geschnittenen Raumes.
Auf dem Richterpodest an der Nordseite jedoch saßen die Matriarchin, der Heros – und der Edelstein-Magister. Sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos.
Ein wilder, verzweifelter Schrei entstand in Riyalas Brust, stieg ihr in die Kehle ... und erstarb dort.
Man stellte sie in das Innere eines roten Kreidekreises, sieben Schritt vor dem Podest; das war der Platz für den Angeklagten, und dort stand sie nun. Allein.
Drohend ragte der Richtertisch über ihr auf. Eine ganze Weile lang konnte sie nur ihren alten Lehrmeister ansehen. Er, der sie ohne Zögern verraten hatte, saß zur Linken ihres Vaters. Alles, was zu ihrer Verhaftung geführt haben musste, stand ihr in grausamer Klarheit vor Augen, und sie hörte kaum, wie ihr Vater, der Heros von Co-Lha, die einleitenden Formeln sprach, die das Verfahren gegen seine einzige Tochter eröffneten. Seine Stimme drang nur als ein undeutliches Summen an Riyalas Ohr.
„ Riyala Falken!“, donnerte der Heros endlich, und das riss sie aus ihrer Lähmung. „Ihr lasst es an Aufmerksamkeit fehlen! Seht mich gefälligst an, wenn ich mit Euch spreche!“
Als sie das tat, fügte er mit erbarmungsloser Strenge hinzu: „Es geht um Euren Kopf, vergesst das nicht! Ihr seid des Hochverrats angeklagt, und die Strafe dafür ist der Tod! Das Gesetz gilt für jeden.“
Riyala wusste das; Co-Lhas Gesetze waren streng, aber gerecht – jedenfalls hatte sie bis zum heutigen Tag daran geglaubt. Auch dieser Glaube geriet ihr nun ins Wanken ... Wer in Co-Lha schlecht und ehrlos war, wer böse Absichten hegte und Übles tat, der wurde hart bestraft.
Aber ich bin doch nicht ... wird mein eigener Vater mich verurteilen? – Sie spürte deutlich seinen tiefen Schmerz; er fühlte sich von seinem Kind verraten, und daraus entsprang sein Zorn. Riyala kannte ihn gut trotz der Aura von Unnahbarkeit, die er auch ihr gegenüber beibehalten hatte. Der Heros von Co-Lha war immer ein Krieger gewesen, und jetzt, wo sich die Notlage des Landes derart verschärfte, floss mehr Macht zu ihm. Er würde die Verteidigung der Stadt gegen das Landvolk anführen. Riyala bemerkte trotz ihrer eigenen Qual und Verwirrung, dass er den silbernen Kriegshelm mit der scharlachroten Feder trug, und sie wusste auch genau, was das bedeutete. Aber sie wusste ebenfalls, dass er sich stets gewünscht hatte, nie mehr in den Krieg ziehen zu müssen ... erst recht nicht in einen solchen, der das grässliche Antlitz eines Bürgerkrieges trug …
Die Adern seiner Schläfen traten hervor und pochten bedrohlich. Mit seinen fünfzig Jahren war ihr Vater noch immer ein sehniger, kräftiger Mann, der ein Schwert ebensogut zu führen wusste wie der fähigste Soldat der Wache. Seine Augen besaßen die gleiche blaugrüne Färbung wie die seiner Tochter.
Nun erst wagte Riyala es, auch ihre Mutter anzusehen, die zur Rechten des Heros saß. Sie wirkte vollkommen gebrochen, wie eine uralte Frau – sie hatte das Gesicht in ihren Händen vergraben, und entsetzt erkannte Riyala, dass das silbergraue Haar der Matriarchin schlohweiß geworden war.
Als ob alle Lebenskraft sie verlassen hätte.
Flüchtig dachte das Mädchen an ihr letztes Gespräch mit der Mutter, als diese ihr die Regentschaft übergeben wollte ... und nun stand die Tochter des Herrscherpaares als Hochverräterin auf der entgegengesetzten Seite. Die Augen aller Zuschauer im Weißen Saal waren voller Anklage und Verachtung auf Riyala gerichtet; vergebens hielt sie nach jemandem Ausschau, der von ihrer Unschuld überzeugt war. Sie kannte jeden einzelnen hier. Das einzige vertraute Gesicht, nach dem sie vergebens suchte, war das Lanias.
Ich ertrage das nicht!, dachte Riyala wild. Ihr ganzes bisheriges Leben lang hatte sie nur Verehrung, Respekt und Liebe erfahren, und nun ...
Verstohlen tastete sich ihre gefesselte Hand in die Innentasche ihrer Jacke – der Spielraum, den ihr die Ketten ließen, reichte dafür gerade aus. Das Falkenauge würde ihr zur Flucht verhelfen ...
Doch da erklang die spöttische Stimme des Edelstein-Magisters: „Versuche es gar nicht erst, Riyala Falken. Die Zauberpriesterinnen von Co-Lha haben deine Ketten – unter meiner Anleitung – mit einem Bannspruch belegt, der dich daran hindern wird, dich davonzumachen.“
„ Ihr verdammter, auf ewig verfluchter ...“, keuchte Riyala und riss ihre Hand wieder zurück. Ihr war klar, dass er die Wahrheit sprach.
„ Still!“, brüllte nun wieder ihr Vater. Er, der mitsamt seiner Gemahlin dem Kristallhexer noch vor kurzem so misstrauisch begegnet war, wandte sich jetzt ratsuchend an denselben.
„ Soll ich ihr ihre Steine vorsichtshalber abnehmen lassen?“
Der Magister machte eine wegwerfende Geste und schüttelte den Kopf. „Nein, edler Herr, das ist nicht nötig. Sie kann nichts tun. Sie wird dies aushalten müssen.“
Flammende Wut und greller Hass durchrasten Riyala, als sie diese Worte hörte, und sie machte Anstalten, aus dem roten Kreis herauszustolpern. Kettenklirrend schüttelte sie ihre geballten kleinen Fäuste und schrie: „Ihn solltet Ihr anklagen, nicht mich! Er ist der Verderber unseres Volkes – ER hat uns alle verraten, dieser – Hexer!“
„