Fantasy Sammelband Riyala - Tochter der Edelsteinwelt Band 1 bis 5. Antje Ippensen
„Du, die du noch nicht einmal deinen eigenen Namen kennst ...“
Riyala unterbrach ihn und lachte verblüfft auf. „Was? Natürlich weiß ich, wie ich heiße!“
„ Riyala Falken“, fuhr der seltsame Alte fort. „Doch das ist nur ein Teil deines Namens. Der andere Teil ist dir noch verborgen.“
„ Mein Name ist Riyala!“, entgegnete das Mädchen scharf. „Wieso ‚Falken‘? Ich heiße einfach nur Riyala und bin die Tochter der Matriarchin und des Heros von Co-Lha!“ Noch während sie sprach, durchzuckte sie jedoch der Gedanke an ihren Falken wie ein schmerzhafter Stich. Er ist verschwunden ... und es stimmt, dass er zu mir gehört wie ein Teil meiner Seele – oder meines Namens.
Der Edelstein-Magister zog eine dunkle Augenbraue hoch.
„ Soll das heißen, deine Eltern haben dich nicht darüber unterrichtet? – Offensichtlich ist das so. Nun, vielleicht hielten sie dich noch für zu jung ...“
„ Ihr sprecht in Rätseln!“, rief Riyala aus, zwischen Zorn und Neugier schwankend.
„ Das mag dir so scheinen. In Wahrheit bist du nur noch nicht bereit – erst dann wird sich dir alles enthüllen. Das Licht der Erkenntnis leuchtet allein für jene, die reif dafür sind.“
Riyala reckte trotzig ihr Kinn.
„ Weshalb bin ich hier?“, stellte sie die nächste Frage. In Gedanken fügte sie argwöhnisch hinzu: Was genau sind deine Absichten, alter Mann?
„ Du bist einer inneren Stimme gefolgt“, sagte der Magister und lächelte wieder.
Sie schüttelte heftig den Kopf, so dass ihre kupferroten und silberblonden Haare flogen und die verschiedenfarbigen Strähnen sich miteinander vermischten.
„ Nein, nein! Ich habe genau gespürt, dass Magie im Spiel war!“
„ Gewiss“, erklärte er gelassen. „Deine eigene.“
„ Was?“ Riyala glaubte sich verhört zu haben.
„ Du bist mit besonderen magischen Fähigkeiten begabt.“ Wiederum klang seine Stimme so, als spräche er über etwas ganz und gar Natürliches, das Wetter beispielsweise.
Riyalas schlanke Hände flogen voller Abwehr in die Höhe, und es sprudelte aus ihr hervor, dass das nicht stimmen könne.
„ Ich bin doch keine Hexe! Ich kann nichts dergleichen, und Magie hat mich auch noch nie interessiert!“
Der Magister hörte hin, ohne zu widersprechen. Nur seine Augen sahen unverwandt in die ihren, so dass es ihr wiederum unbehaglich wurde. Sie schaute weg. Und noch während sie in beinahe feindseligem Ton redete und redete, merkte sie, dass ihr Blick abermals zu den vielen funkelnden Steinen in den Holzregalen und auf den Felskanten wanderte ...
Plötzlich verstummte sie mitten im Wort. Der Schweiß war ihr ausgebrochen, sie spürte die feinen Tröpfchen auf ihrer Stirn und wischte sie wütend weg. Wenn dieser grässliche alte Mann sie doch nicht mehr so durchdringend anschauen würde!
Endlich tat er ihr den Gefallen, beugte sich zur Seite und griff nach einem kleinen, eckigen Gegenstand, in dem Riyala eine Schatulle erkannte. Er öffnete das Kästchen und stellte es wie eine Friedensgabe zwischen sich und das Mädchen auf den Boden.
Die Schatulle war innen mit Samt ausgekleidet, und auf diesem kostbaren Tuch ruhten drei edle Steine – jeder war so groß, dass er von einer schmalen Hand gerade noch umschlossen werden konnte.
„ Diese sind vorbereitet – du darfst sie gern anfassen, wenn du das willst“, sagte der Magister sanft.
Was hat es mit all diesen Kristallen auf sich? wollte Riyala fragen, doch sie unterdrückte die Frage. Denn sie ahnte es längst. Oder wusste es sogar.
Zögernd streckte sie ihre linke Hand aus und nahm einen eirunden, honiggelben und halb durchsichtigen Stein – den aus der Mitte. Sie betrachtete ihn genau und entdeckte fasziniert, dass in seinem Innern reglos ein vollkommen erhaltenes Insekt schwebte – seit wie vielen Tausenden von Jahren mochte es darin gefangen sein?
Der Edelstein fühlte sich warm und lebendig an. Nach einer Weile spürte Riyala sogar ein leichtes Pochen und Klopfen, das von ihm ausging und sich ihrer Hand und ihrem ganzen Körper mitteilte.
„ Diese Steine besitzen große Kraft, doch sie brauchen jemanden, der diese Kraft erweckt und zu nutzen versteht“, sagte der Magister, und es war, als spräche er Riyalas Gedanken laut aus. „Sie tragen die Energie der Sonne und der Erde in sich. Sie können heilen und helfen, doch dürfen sie niemals missbraucht werden. Du musst klaren Geistes und reinen Herzens sein, wenn dich die Magie der Edelsteine leiten soll.“
Der zweite Stein in der Schatulle war ein schwerer blauschwarzer Würfel, der metallisch glänzte, und der dritte besaß eine annähernde Herzform und schimmerte rosenfarben.
„ Ihr wisst alles über Zaubersteine, nicht wahr?“, sagte Riyala. Während sie die drei Steine aus der Nähe betrachtete, war ihr eine Erinnerung gekommen. „Und Ihr habt ihre Macht selbstverständlich nie missbraucht! Vielleicht nennt man Euch deshalb in der Stadt den Kristallhexer! “
Riyalas letzte Worte klangen beinahe höhnisch, auf jeden Fall aber herausfordernd – ihre türkisfarbenen Augen blitzten dabei.
Doch es war offenbar völlig unmöglich, diesen schrecklichen alten Mann zu provozieren. Seine jetzt wieder hellgrünen Augen wichen ihrem Blick keineswegs aus, und er ließ ihre Worte einfach an sich abprallen und ins Leere laufen, so dass sie als ein nichtiges Echo zu ihr zurückkehrten. Es war peinlich, und sie errötete abermals.
Dann stand der Magister auf.
„ Komm mit, Riyala Falken. Ich werde dir etwas zeigen.“
Sie gehorchte und ging hinter ihm her zu dem abgeteilten Höhlenbereich. Er schlug die dunkelblauen Vorhänge zurück und Riyalas Blick fiel auf eine etwas erhöhte große Steinscheibe, die sie sofort an einen Operationstisch denken ließ. Es hätte auch ein Opferaltar sein können; doch dies schien nicht zu dem alten Mann zu passen.
Aber im nächsten Moment stieß das Mädchen einen entsetzten, schmerzerfüllten Schrei aus.
In der Mitte des Steines, sorgfältig in ein Leintuch gebettet, lag ihr Falke. Er war ohne jeden Zweifel schwer verletzt – rötliche Flecken hatten sich auf dem Tuch ausgebreitet, und einer der Flügel hing unnatürlich schlaff herunter. Sein silbriges Federkleid war blutbesprenkelt.
Wie eine Furie fuhr Riyala zu dem hinter ihr stehenden Magister herum und rief außer sich: „Ihr lasst meinen Falken hier einfach liegen und redet dummes Zeug mit mir, anstatt ihm zu helfen?!“
Er legte seine alte Hand auf ihren Arm. „Beruhige dich. Es ist noch genug Leben in ihm. Er hat auf dich gewartet, weißt du.“
„ Auf ... auf mich?“, stammelte Riyala.
„ Ja.“ Wieder reichte er ihr das Edelsteinkästchen.
„ Blutstein“, er zeigte auf den wie Eisen glänzenden Würfel, „Herz der Rose“, das war der rosafarbene, „und Bernstein. Es sind heilende Steine von großer Macht. Du weißt, was du tun kannst. Rette deinen Falken, dessen Seele mit der deinen verbunden ist.“
Verstört und von schmerzendem Mitgefühl erfüllt, starrte Riyala auf ihren geliebten Vogel. Und schon kniete sie neben dem kleinen Körper auf der Steinscheibe, wobei sie die Schatulle krampfhaft umklammerte.
Ich kann das nicht! Nein, ich weiß gar nichts darüber! – Oder ... kann ich es vielleicht doch?
Ihre Gedanken rasten, überstürzten sich – und dann wurden die ermutigenden Stimmen in ihrem Inneren allmählich lauter und überzeugender. Mit zitternder Hand nahm sie zuerst den Blutstein, um das Blut zu stillen. Unendlich sanft und vorsichtig drückte sie den Stein auf das Federkleid des Falken, und sie erkannte sofort