Gemordet wird in langen Sommernächten: Krimi-Lesefutter Thriller Paket. A. F. Morland
in Chelsea. Jedenfalls, wenn man die äußere Form vernachlässigte, was Cord allerdings nur selten tat, und er hätte auch über diesen Vergleich nur höhnisch gelacht.
Gelacht und an die fünfte Millionen gedacht, die er vor einem halben Jahr, zwei Wochen vor seinem 30sten Geburtstag, gemacht hatte.
Das kurze Stoppelhaar trug er weißgebleicht, in seinem rechten Ohr baumelte ein goldener Kreole mit einem kleinen Rubin, und er trug täglich einen anderen seiner 37 Maßanzüge. An den Wochenenden pflegte er in sein Ford Cabriolet, Baujahr 1937, zu steigen und zum Golfplatz oder zum Surfen zu fahren, und wenn er den Girls imponieren wollte, fuhr er mit der ein oder anderen auch schon mal in ein Spielkasino nach Atlantic City.
An diesem Mittwochmorgen kam Silvester Cord zum ersten Mal der Verdacht, dass sich die Welt vielleicht doch nicht nur um ihn dreht.
Er starrte ungläubig auf die überdimensionale Digitalanzeige an der Stirnseite der Börsenhalle. Eine Nachricht aus Japan flimmerte über das Display.
Das aufgeregte Stimmengewirr in dem gewaltigen Raum ebbte ab und verstummte für den Bruchteil einer Sekunde ganz das größte japanische Wertpapierhaus hatte pleite gemacht.
Bald setzte das allgemeine Geschrei wieder ein. Nur Silvester Cord blieb stumm. Will Baker, mit dem er zusammenarbeitete, ebenfalls. Beide waren leichenblass geworden.
Cord bekam keinen vernünftigen Gedanken auf die Reihe. Er wusste nur, dass seine fünf Millionen im Eimer waren.
Ein Broker Kollege schlug ihm im Vorüberhasten auf die Schulter. »Scheiße, was, Silvi? Die Kurse purzeln ganz schön. Da lässt einer auf der anderen Seite der Kugel einen Furz, und ganz Amerika hält sich die Nase zu!«
Jetzt erst holte Cord tief Luft. Ihm wurde schwindelig, und er musste sich auf den Monitor seines PCs stützen.
Nicht nur fünf Millionen, schoss es ihm durch den Kopf. Die Kunden, für die er in Japan angelegt hatte, würden mit Forderungen auf ihn zukommen, die sich auf die zehn Millionen zubewegten.
Aus den Augenwinkeln sah er, dass Will nach seinem Jackett griff, dann wankte er durch die Reihen der Rechnertische auf den Ausgang der Halle zu. Cord wusste, dass auch sein Kompagnon nun mit einigen Millionen in der Kreide stand.
Er schnappte sich seine Jacke und folgte Will. Der Arbeitstag war zu Ende.Wahrscheinlich für immer.
Sie schleppten sich in die nächstbeste Bar und tranken schweigend einen Whisky. »Geh mal eben telefonieren«, sagte Will plötzlich und verließ die Bar.
Zehn Minuten später hörte Cord die Sirenen der Ambulanz auf der Straße.
Er ging hinaus.
Auf der anderen Straßenseite drängte sich eine Menschentraube vor dem Eingang eines Hochhauses.
Er überquerte die Wallstreet.
Die Leute starrten auf irgendetwas, das zu ihren Füßen auf dem Bürgersteig liegen musste. Sie machten den Sanitätern Platz, und einige deuteten nach oben, zum Dach des Hochhauses.
Will lag mit merkwürdig verkrümmten Gliedern auf dem Asphalt. Aus einem Spalt, der sich von der Stirn bis zum Scheitel über seinen Schädel zog, quoll eine blutige, gallertartige Masse.
Er hatte schon immer einen Hang zu dramatischen Auftritten.
Für einen Augenblick spielte Cord mit dem Gedanken, dass Wills Idee vielleicht gar nicht so schlecht war. Er blickte nachdenklich an dem Hochhaus hinauf.
In diesem Moment behauptete der Spießer in ihm, dass er viel zu wichtig wäre, um vom Dach zu springen. Und dass es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit des Schicksals wäre, dem armen, Silvester seine Millionen, seine für nächste Woche gebuchte Segeltour in der Südsee und seinen Ford Cabriolet, Baujahr 1937, zu nehmen. Und dass diese Ungerechtigkeit unter allen Umständen ausgemerzt werden müsste.
Fluchend steuerte Cord die nächste Bar an.
Am frühen Nachmittag saß er in der vierten Bar bei seinem achten Whisky und dachte an sein Studium, das er mit Auszeichnung abgeschlossen hatte, und an seinen alten Herrn, der seine zahllosen Millionen mit einer zwanzig Jahre jüngeren Schlampe verprasste und seit zwei Jahren kein Wort mehr mit ihm sprach, seit Cord die Affäre mit der Schlampe, die zur Scheidung seiner Eltern geführt hatte, an die Presse lanciert hatte.
Der Teufel wollte es, dass der Mann auf dem Barhocker neben ihm seine Zeitung liegen ließ. Wie zufällig streifte Cords Blick die aufgeschlagene vierte Seite. Es war die mit den Nachrichten aus New York City.
Seine Augen blieben an einer Buchstabenkombination hängen, die plötzlich das Bild einer Frau aus den Tiefen seiner Hirnwindungen heraufbeschwor - Muriel Erikson. Er war im Frühsommer ein paar Mal mit ihr im Bett gewesen.
Cord zog die Zeitung heran, kniff die Augen zusammen, um die magische Buchstabenkombination durch den Whiskyschleier in seinem Kopf hindurch zu entschlüsseln - Dr. Robert Erikson. Der Teufel sollte ihn holen, wenn das nicht Muriels Mann war. Er las die Schlagzeile über dem kurzen Bericht: Generaldirektor der Aluminium Association beim Fallschirmspringen ums Leben gekommen.
Cord war wie vom Donner gerührt. Er las den Artikel zwei, dreimal, bis er es endlich glauben konnte - der gute Bob war über den Jordan gegangen! Beim Fallschirmspringen! Dabei war er ein Routinier gewesen, der sich kaum hatte retten können vor Schülern, die bei ihm das Springen hatten lernen wollen.
Das war Cords erster Gedanke. Sein zweiter lag nahe: Hatte Muriel, dieses Luder, nicht mehr als einmal geseufzt, wie zuwider ihr der 15 Jahre ältere, zur Schwermut neigende Mann war, der die Manieren eines verhinderten Army Generals hatte und mit seinem schweigsamen Wesen weiter nichts als schlechte Laune zu verbreiten pflegte?
Allerdings war er tolerant gewesen, der gute Bob, das musste man ihm lassen: Er wusste genau, dass Muriel mit anderen Männern vögelte, machte ihr aber deswegen keine nennenswerten Szenen. Er sah einfach weg. Und bestrafte sie allenfalls damit, dass er sie finanziell ziemlich kurz hielt.
Und hatte Muriel nicht mal gesagt, dass sie vor allem deswegen bei ihrem Mann bliebe, weil sie nach seinem Tod eine reiche Frau sein würde?
»Und jetzt springt der Bursche aus dem Flieger, und der Schirm öffnet sich nicht«, lallte Cord. »So ein Zufall.«
Seine Gedanken kehrten zu der himmelschreienden Ungerechtigkeit zurück, die ihm heute sämtliche Spielzeuge genommen hatte. Und zu seinem Vater. Und zu dessen langbeinigem, auf intellektuell gestyltem Spielzeug. Und zum Vermögen seines Vaters...
Ich könnte ja Muriel anrufen und ihr mein Beileid aussprechen...
Er grinste. Er leerte sein Glas, zahlte, und verließ die Bar. Eine Straße weiter öffnete er eine Telefonzelle.
Muriel war selbst am Apparat. »Meinen Glückwunsch«, sagte Cord.
11
»Ich bin zurück.« Marilyn stand bei einem der vielen öffentlichen Telefone in der Flughalle. Ein breitschultriger Mann in blauer Uniform mit PanAm Emblem wartete etwas abseits. Der Co-Pilot ihres Fluges.
Sie drehte sich zu ihm und zwinkerte ihm zu. Er winkte grinsend.
»Geh ins Lexington, Kind.« Die rauchige Stimme der Chefin klang so gelassen und zufrieden wie immer. »Ich werde dich in den nächsten Stunden anrufen.«
Das Lexington Hotel gehörte der Chefin. Marilyn hatte dort eine Stelle als stellvertretende Geschäftsführerin. Weiter nichts als ein Tarnjob. Sie machte so gut wie keinen Finger krumm in dem Laden.
»Ein Auftrag?« Marilyn versuchte ihre Enttäuschung zu verbergen. Die nächsten Stunden wollte sie eigentlich im Bett verbringen. Mit dem smarten Co-Piloten, der auf sie wartete.
»Nichts Besonderes, Kindchen«, erwiderte die Chefin. »Und wenn die Sache mit der Vanhouven über die Bühne ist, liegt vorläufig auch nichts mehr an. Dann kannst du dich für ein paar Wochen zurückziehen.