Gemordet wird in langen Sommernächten: Krimi-Lesefutter Thriller Paket. A. F. Morland

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höllisch weite Reise... Durch die Whiskygardine hindurch, die immer schwerer vor seinen Augen hing, erschien wieder das Bild seiner Mutter. Rette die Frau, sagte sie.

      Wieder erzitterte die Kneipe vom Gebrüll der Männer: Die Chicago Bulls hatten den Ausgleich geschafft.

      Barry registrierte es beiläufig. Er bestellte den achten Whisky und holte sich eine neue Schachtel Zigaretten aus dem Automaten im Durchgang zu den Toiletten.

      Als er wieder an die Theke kam, brüllte schon wieder die ganze Kneipe: Die Führung für die Bulls.

      Bald darauf war das Spiel gelaufen. In den Nachrichten danach eine Menge Zeug, das Barry nicht die Bohne interessierte. Berlin - wo lag das denn? Wohl irgendein Freizeitpark in Kanada oder so.

      Er pellte die Zigarettenschachtel aus dem Zellophan. Und Tony Blair - wer, zum Teufel, war das?

      Barry kannte nur Jelzin, diesen Looser, und Bill Clinton. Allenfalls noch diesen Saddam. Saß irgendwo in der Nähe von Israel und spielte Schwarzer Peter mit dem Weißen Haus.

      Barry steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen.

      »Wie erst heute bekannt wurde, ist es dem FBI gelungen, eine Geldfälscherbande...« Barry horchte auf. FBI - das sagte ihm etwas.

      Er sah auf den Fernsehschirm. Die Bullen hatten den Geldfälschern eine Falle im Central Park gestellt. Es hatte Verletzte gegeben und einen Toten.

      FBI das wär’s, dachte Barry. FBI oder Los Angeles entscheide dich, du Schlappschwanz!

      Über den Bildschirm erschien das Gesicht eines Joggers.

      Sympathischer Bursche, dachte Barry.

      Der Kommentator schwallte merkwürdiges Zeug. Der Jogger wäre FBI-Beamter.

      Kein Problem, dachte Barry, du bist Pfleger und bist nebenbei Kidnapper. Nein, umgekehrt...

      Er sah sich den Kerl in der Glotze genauer an. Ein stahlharter Kerl. Aber nicht verkehrt.

      »... FBI-Mitarbeiter Jesse Trevellian wollte keinen Kommentar abgeben«, sagte der Kommentator, »er verwies auf die Staatsanwaltschaft...«

      Hat Recht, der Bursche, dachte Barry. Viel Gequatsche hat noch niemandem genützt.

      Durch den Whiskyvorhang hindurch sah er den Jogger-G-man mit einer Frau und einem Mann in einen Wagen steigen.

      Trevellian, flüsterte eine Stimme hinter der Nebelwand in Barries Hirn. Trevellian oder Los Angeles...

      Er zahlte und torkelte aus der Kneipe. Unschlüssig blieb er auf der Straße stehen. In knapp drei Stunden würde sein Flug gehen. Eigentlich müsste er jetzt zu seinem Hotel in Soho fahren und seine Sachen packen.

      Er ging in die entgegengesetzte Richtung, verschwand irgendwo in einer U-Bahn-Station und nahm den nächstbesten Zug. Er wusste nicht mal, wo er hinfuhr. Er wusste nur, dass Los Angeles verdammt weit war. Und dass diese blonde Frau im Bad einen noch viel weiteren Weg vor sich haben würde, wenn er nach L.A. flog.

      Am Central Park stieg er aus. Es dämmerte bereits. Oben an der Treppe hing ein Papierkorb.

      Barry holte das Flugticket heraus. Über dem Papierkorb zerriss er es. In ganz kleine Schnipsel.

      Dann überquerte er die Straße und ging auf die nächstbeste Telefonzelle zu. Die beiden Schatten, nicht weit hinter ihm, bemerkte er nicht.

      In der Zelle schlug er das Telefonbuch auf. Die Nummer des FBI. Er fand sie und tippte sie ein. Er verlangte Trevellian, doch der befand sich nicht im FBI-Gebäude.

      Nur ihn wollte er sprechen. Nur diesen Trevellian.

      Und so leitete man seinen Anruf weiter an Trevellians Handy.

      22

      Stundenlang hatte niemand nach ihr gesehen. Sie hatte zwar Schritte gehört, draußen vor der Badezimmertür, doch die Tür selbst blieb zu.

      Theresa fragte sich, ob sie zu weit gegangen war. Hatte Barry einen Rückzieher gemacht? Hielt er sich nun von ihr fern, weil er gemerkt hatte, dass sie ihn auf ihre Seite ziehen wollte?

      Die Dunkelheit im Bad ängstigte sie. Ob es draußen noch Tag war? Es gab ja kein Fenster in ihrem Gefängnis.

      Die Stricke, gegen die Barry ihre Handschellen eingetauscht hatte, gaben ihr immerhin Bewegungsfreiheit genug, selbstständig auf die Toilette zu gehen. Aber sie hatte Hunger. Bohrenden Hunger. Und Durst.

      Irgendwann hörte sie draußen wieder die Tür gehen.

      »Barry?«, rief sie zaghaft. »Bany, kommen Sie bitte mal?«

      Die Glühbirne flammte auf, und die Tür wurde geöffnet. Eine junge Frau stand im Türrahmen. Schwarzhaarig und schlank. »Was gibt’s?«

      »Wo... wo ist Barry?«

      »Weg.«

      Theresas Verstand weigerte sich zu begreifen, was sie da eben gehört hatte. »Aber er wollte doch wiederkommen.«

      Sie hatte es kaum ausgesprochen, als sie merkte, wie naiv sie sich anstellte. Barry war weg. Weil er ihr einen Mantel gebracht hatte. Weil er sie von den Handschellen befreit hatte. Weil er ihr Haferbrei gekocht hatte. Weil er eine Gefahr für die Kidnapper geworden war.

      Eiskalte Klarheit zog plötzlich durch Theresas Gehirn. Barry war weg. Also auch das winzige Loch in die Freiheit, das sie in ihm gesehen hatte. Sie wusste genau, was das bedeutete. Sehr genau. Trotzdem fragte sie: »Wann lassen Sie mich frei?«

      »Bald«, sagte die Frau.

      In ihren Augen las Theresa etwas anderes.

      »Haben Sie etwas zu essen für mich?«, bat Theresa.

      Die Frau schloss die Tür, ließ aber das Licht an. Eine Viertelstunde später brachte sie ihr einen Teller. Ein Stück Brot und einige Scheiben Käse lagen darauf.

      Wortlos stellte sie den Teller vor Theresa hin. Wortlos verließ sie das Bad. Wenigstens ließ sie das Licht an.

      Heißhungrig schlang Theresa Brot und Käse hinunter. Die Stricke waren zu kurz, um das Waschbecken oder den Hahn über der Badewanne zu erreichen. Der Durst quälte sie.

      Warum hatte sie die Frau nicht um Wasser gebeten? Barry hatte ihr immer Wasser oder Tee hingestellt, ohne dass sie darum hatte bitten müssen.

      Sie rief, aber niemand reagierte. Offenbar war die Frau fortgegangen.

      Die Stunden krochen dahin. Irgendwann wurde der Durst so quälend, dass es Theresa nicht mehr aushielt. Sie kroch zum Klobecken und drückte die Spüle. Mit der Hand schöpfte sie das Wasser in den Mund. Sie hörte erst auf zu trinken, als der Durst endlich kleiner war als der immer mehr aufsteigende Ekel.

      Wieder an der Heizung, hüllte sie sich in den Mantel, zog die stinkende Decke über den Kopf und weinte. So lange, bis keine Tränen mehr kamen.

      Sie spürte mit einer Klarheit, die jeden Widerspruch ausschloss, dass ihre Zeit vorbei war. Mit aller Gewalt wehrte sie sich gegen die auf brandende Panik.

      »Nimm dich nicht so wichtig, Theresa«, murmelte sie, »jeder muss einmal gehen, und es können nicht alle erst mit 70 oder 80 sterben.«

      Sie kramte ein paar Psalmen aus ihrem Gedächtnis hervor und sagte sie laut auf. Das beruhigte sie.

      Dann ließ sie ihr Leben an sich vorüberziehen. Jahr für Jahr, von Anfang an. Sie schürfte Bilder aus ihrem Gedächtnis, die sie schon lange vergessen geglaubt hatte.

      Irgendwann kam sie zu dem Schluss, dass es ein schönes Leben gewesen war. Kurz, aber schön. Und unverschämt leicht. Wenigstens bis zum Tod ihrer Tochter.

      Ihr Traum fiel ihr ein, und sie musste lächeln. Sie hatte schon davon gehört, dass viele Menschen ihren Tod vorausahnen. Und dass manche vorher davon träumten.


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