Der lange Weg in die Freiheit! Deckname "Walpurgis". Dr. Helmut Bode
Nun wurde das Flugzeug voll. Menschen, Gepäck, Körbe voller Obst, Gemüse und z.T. wohl auch mit Kleintieren, quetschten sich in der Kabine zusammen. Wenn mir nicht bewusst gewesen wäre, dass wir in Lissabon wieder in das Flugzeug gestiegen sind, mit dem wir bereits aus Berlin gekommen waren, so hätte ich geglaubt, wir sitzen in einem afrikanischen Überlandbus! Zu allem Überfluss wollte nun auch noch eine Stewardess unserem Sohn den Platz wegnehmen. Einen solchen Fall wohl ahnend, hatte mich die Dame von Limex bei der Übergabe der Flugscheine extra darauf hingewiesen, dass sie uns für vier Personen die Tickets besorgt habe, damit der Junge seinen vollen Platz beanspruchen könne. Es war mein erstes Rededuell in Portugiesisch, was die Stewardess davon verstanden hat, weiß ich nicht. Wir gaben ihr aber zu verstehen, dass wir das Flugzeug verlassen, wenn sie diesen Platz anderweitig besetzt! Auf jedem Fall hat sie es nicht noch einmal versucht, unserem Sohn den Platz streitig zu machen. Vor uns saßen zwei Herren, die sich die Zeit mit Rauchen vertrieben und dass über zehn Stunden! Wie gut, dass heute bei den Flügen der meisten Airlines das Rauchen untersagt ist.
Bei zunächst guter Sicht konnten wir einiges von Portugal sehen, dann ging es etwas östlich quer über Spanien und das Mittelmeer, um schließlich die Küstenlinie des afrikanischen Kontinents zu überfliegen. Von hier flogen wir wohl direkt Richtung Maputo, immer einen südsüdöstlichen Kurs. Zunächst sahen wir noch Land, Felsen und Wüste, dann war es mit der Sicht vorbei. In der Maschine wurde es immer wärmer, bis wir erfuhren, dass die Klimaanlage ausgefallen sei und vor uns die Kettenraucher!
Nach ca. neuneinhalb Stunden wurden die Triebwerkgeräusche immer leiser, ging nun auch noch der Treibstoff zur Neige? Nein, wie ich später erfuhr, wurde rechtzeitig der Sinkflug eingeleitet, wozu nicht mehr die volle Triebwerksleistung notwendig war. Aber endlich setzte die Maschine zur Landung an und nach zehn Stunden und zehn Minuten hatten wir es geschafft, wir waren in Maputo.
So wie die Zusteiger in Lissabon in die Maschine gestürmt waren, verließen sie diese nun auch wieder, es war chaotisch. Nach unserer Zeit war es 19: 10, in Maputo bereits eine Stunde später. Der Flugplatz war unbeleuchtet und es herrschte eine drückende Schwüle bei ca. 28 °C. Nach dem es mir gelungen war, den Kinderwagen aus der Ladeluke gereicht zu bekommen, ging es zur Abfertigung. Bepackt und warm angezogen, lief uns das Wasser am ganzen Körper herunter. Unser Sohn war nervlich wieder am Ende und es war noch nicht abzusehen, wie alles weitergeht. Aber dann klappte es doch gut und schnell. Die Leute von der Universitätsgruppe waren zur Stelle und halfen uns bei der Abfertigung.
Im Gedränge vor dem Ankunftsschalter war es uns nicht mehr möglich auch den Reisepass unserer Tochter mit dem Einreisestempel versehen zulassen, was uns später noch Schwierigkeiten bereiten sollte. Man hatte uns einfach weitergeschoben.
Mit einem Bus der Uni ging es zunächst durch eine illegale Siedlung, bestehend aus Wellblech- und Strohhütten, die sich zwischen den Flughafen und die Stadt Maputo geschoben hatte, dann waren wir bald in der Rua D. Für uns und eine andere Familie, ebenfalls mit einer Tochter, so alt wie unsere Tochter und einem Sohn, ein Jahr und neun Monate alt, war ein Reihenhaus, die Nr. 35, reserviert.
»Wir waren erstmal heilfroh, kein Hotel, kein Internat, wo die meisten Leute untergebracht waren. Hauptsache für alle ein Bett!! Das Haus auf den 1. Blick sehr schön. Gebaut für 1 Familie mit Bediensteten, 3 Etagen.«
Ein Vorgarten mit einem großen Kaktus und einer breiten Einfahrt für ein Auto, welches in einer offenen Garage auf der rechten Seite des Erdgeschosses eingestellt werden konnte. Links war der Eingangsbereich mit einer Toilette sowie genügend Platz für eine Garderobe. Hinter diesem Eingangsbereich befand sich ein Raum, Zugang nur von der Gartenseite, mit WC und Dusche für den Doméstico, den wir natürlich nicht hatten, obwohl es genügend junge Leute gab, die gerne diesen Dienst als Hausgehilfe übernommen hätten! Dominierend im Eingangsbereich war aber die Treppe zum ersten Geschoss. Dieses bestand aus einem großen Raum, von dem nur die Küche mit der Speisekammer abgetrennt war. Es hätten drei Räume sein können. Zur Straßenseite hin, über der Unterstellmöglichkeit für ein Auto, befand sich ein Balkon.
Das zweite Geschoss hatte nach vorne zwei Schlafzimmer und nach hinten zwei Kinderzimmer, dazwischen lagen das Bad mit Dusche, Wanne, BD74 und Waschbecken; eine Toilette mit Waschbecken sowie eine Dusche mit Toilette und Waschbecken. Das dritte Geschoss bestand aus einem großen Raum, der zur Straße hin durch einen Balkon, welcher sich über die gesamte Hausbreite erstreckte, abgeschlossen war. Hinter dem Haus befand sich ein Gärtchen mit einem riesigen Gummibaum und verschiedenen, uns meist unbekannten Pflanzen, umgrenzt von einer relativ hohen Mauer. Das Gärtchen war entweder über eine Treppe von der Küche aus zu erreichen oder vom Vorgarten über den Durchgang, in dem ein Auto abgestellt werden konnte.
Im Haus gab es, bis auf die Schlafzimmer für die Erwachsenen mit den kleinen Jungen und die Zimmer für die beiden Mädchen, keinen Bereich, in dem die Familie ungestört bzw. unbeobachtet war. Komplikationen vorprogrammiert!
Wir lebten wie in einer Kommune, was für uns völlig unhaltbar war, auch dass es eine Raucherin gab, die wohl sehr unter dem Zwang, so wenig wie möglich zu rauchen, litt. Sicherlich hatten die Verantwortlichen die Vorstellung, dass sich die beiden vierköpfigen Familien untereinander helfen oder ergänzen könnten, was sich aber, mit ganz wenigen Ausnahmen, als falsch erwies. Wir lösen gerne unsere Probleme selbst und nicht im Kollektiv.
Es gibt eben Situationen, die jede Familie auf ihre Art und Weise regelt. Unser Sohn wurde z.B. im Laufe des Vormittags noch einmal zum Schlafen gelegt, sodass er mittags relativ erholt war und in Ruhe sein Essen mit uns einnehmen konnte. Der Sohn unserer Mitbewohner hatte sich gewöhnlich im Laufe des Vormittags müde gelaufen, sodass er häufig während des Essens einschlief oder sehr unleidlich war.
Hierzu nur eine Episode, wie fast jeden Tag in der Woche, saßen wir auch diesmal wieder, alle acht Personen, an dem großen Tisch vor der Küche beim Mittagbrot und unser kleiner Mitbewohner war nicht zu bewegen zu essen. Was er aber sehr gerne tat und auch diesmal, er sah zu uns herüber und wollte dabei seinen Kopf abstützen. Er traf hierbei mit dem Ellenbogen auf den Rand seines noch mit Suppe vollen Tellers. Was dann geschah, muss ich nicht weiter schildern, auf jedem Fall war die Ruhe am Mittagstisch empfindlich gestört.
Gerne wurde auch von der Mitbewohnerin in Rosemaries Töpfe gesehen, die sich in Vorbereitung des Mittagsessens auf dem Herd befanden! Dies hat sich aber ab dem Moment gelegt, wie die Seekisten angekommen waren und Rosemarie nun ihren Schnellkochtopf einsetzen konnte. Dieser Topf war mit einem Sicherheitsventil in der Mitte des Deckels versehen, welches wohl von der Topfguckerin irrtümlich als Deckelgriff angesehen wurde. Eines Tages kam es, wie es kommen musste, denn beim Anheben des vermutlichen Deckelgriffes entwich zischend der Dampf, gefolgt von einem Aufschrei und beendete fortan die Deckellüftaktion!
Jede der beiden Familien hatte mehr oder weniger Vorräte an Nahrungsmittel, Waschpulver usw. von zu Hause mitgebracht, die eben dann auch recht unterschiedlich schnell zur Neige gingen, auch dies führte zu Problemen. Rosemarie war wesentlich geduldiger als ich und musste wohl öfters schlichtend eingreifen, wenn ich gerade einmal im Hause war und meinen Unwillen lauter als im Flüsterton zum Ausdruck brachte.
Heute, wo ich diese Zeilen schreibe, lese ich in einem Brief von Rosemarie an ihre Freundin Anna vom November 1979, wie stark sie doch auch diese Wohnungssituation belastet hat, wie nachfolgen zu lesen ist:
»Nun zum Haus: Wir haben das Riesen-Zimmer in der 1. Etage in 3 Teile geteilt. 2 Wohnzimmer u. 1 Eßzimmer, natürlich ist nichts abgeschlossen und man hört jedes Wort der Nachbarn. Zum Frühstück, Mittag u. Abendbrot treffen sich immer 8 Personen, für die ja auch in 1 Küche gekocht wird, das zehrt alles furchtbar an unseren Nerven, nur wenn die kleinen Kinder mal gemeinsam schlafen ist etwas Ruhe. Ich kann mich wirklich zurückhalten, aber auf die Dauer mache ich nicht mit. Dazu ist man zu alt und sein eigenes Leben gewöhnt. Man kann sich nie mal gehenlassen u. ist immer unter „Aufsicht“! Da die (kleinen) Kinder um 1800 ins Bett müssen u. nur 1 Bad, muß immer einer hasten, der andere warten, also kein Dauerzustand.«
Zu der für Rosemarie im Haushalt belastenden Situation berichtet sie an ihre Schwester:
»Die Wäsche wäscht man nur, weil