Der lange Weg in die Freiheit! Deckname "Walpurgis". Dr. Helmut Bode
Angelegenheiten des Rates der Stadt Magdeburg. Auf meinen Brief, den ich etwa einen Monat zuvor an den Rechtsanwalt Vogel in Berlin gerichtet hatte, erhielt ich keine Antwort.
Am 19. Februar nahm unsere Tochter von 9 bis 16 Uhr in den Räumen der Wilhelm-Pieck-Schule in der Weitlingstraße an einer Voreignungsprüfung, durchgeführt von der „Hochschule für Industrielle Formgestaltung“ Halle Burg Giebichenstein, teil. Es waren etwa 80 Mädchen und Jungen, die sich dieser Prüfung unterzogen. Ich brachte sie zu dieser Veranstaltung und holte sie auch wieder ab. Nach diesen sieben Stunden war sie doch recht abgekämpft. Ziel der Voreignungsprüfung war es, künstlerisch talentierte Schüler zu finden und Maßnahmen zu ihrer Förderung einzuleiten.
Anfang März schrieb Rosemarie an den Rechtsanwalt Vogel in Berlin. Auch dieser Brief wurde nicht beantwortet.
Wir hatten uns einige Zeit zuvor für den 5. März einen Termin für ein Gespräch in der Abt. Innere Angelegenheiten des Rates der Stadt Magdeburg geben lassen. Das Gespräch war für 11 Uhr angesetzt. Kurz vor diesem Zeitpunkt traf ich mich mit Rosemarie vor der Hauptwache. Hier am Alten Markt befand sich die Abt. Innere Angelegenheiten. In den wenigen Minuten, die wir noch bis zu unserem Termin hatten, berichtete Rosemarie mir von einem Gespräch mit ihrem Abtteilungsleiter, welches sie kurz nach Dienstbeginn mit ihm hatte. In diesem Gespräch informiert er Rosemarie darüber, dass sie ab dem 11. März als Mitarbeiterin in die Labordiagnostik umgesetzt werde! Diese Maßnahme entsprach einer Strafversetzung.
Wenige Sekunden vor 11 Uhr betraten wir das Zimmer 18. Hier erwarteten uns als „Gesprächspartner“ der Abt. Innere Angelegenheiten eine jüngere Genossin und ein Genosse, nicht mehr ganz so jung. Sie, die Genossin, erklärt gleich zu Beginn des Gespräches: „Mein Mann ist auch Doktor! Ihm käme so ein Ansinnen, die DDR verlassen zu wollen, nie in den Sinn!“
Wir ließen diese Aussage unbeantwortet im Raum stehen und konfrontierten sie mit der vom Versorgungszentrum geplante Strafversetzung Rosemaries. Unsere „Gesprächspartner“ nahmen im Gegenzug diese Information ebenfalls ungerührt zu Kenntnis! Der Schlagabtausch dauerte ca. eine Stunde, auf beiden Seiten wieder die gleichen, aber entgegengesetzten Meinungen, Argumente und Standpunkte.
„Sie haben zu diesem Schritt keinerlei Recht! Geben Sie sich damit zufrieden und achten Sie in Zukunft darauf, dass Sie nicht strafrechtlich belangt werden“, ließen sich die Genossen vernehmen. „Was verstehen Sie unter strafrechtlich belangen?“ war meine Frage, worauf sie antwortete: „Der Staat hat für seine Bürger eine Sorgepflicht und wir können nicht zulassen, dass Sie sich ins Unglück stürzen!“ „Wenn wir in die Bundesrepublik übersiedeln, dann stürzen wir uns doch nicht ins Unglück“, erwiderte Rosemarie. „Sie, Frau Bode, hätten ja als Apothekerin eine Chance. Dagegen Sie, Herr Bode, haben überhaupt keine Möglichkeit eine Arbeit in ihrem Beruf zu finden. Sie werden froh sein, wenn Sie die Straße fegen dürfen. Nehmen Sie also ihr Gesuch zurück!“
Auf unsere Frage, woher sie denn das mit unseren Berufen so genau weiß, antwortete sie: „Das müssen Sie uns schon zutrauen, dass wir dazu unsere Informationen haben!“
„Das ist ja schön, dass meine Frau nach Ihrer Ansicht eine Tätigkeit als Apothekerin erhalten würde, aber mein Beruf ist Ingenieur und diese Berufsgruppe wird bis jetzt immer noch gesucht, also machen Sie sich darüber keine Gedanken!“ war meine Antwort.
Sie versuchten dann noch einmal zu kontern: „Bei hartnäckigen Antragstellern sind auch schon, wegen Behinderung der Arbeit der Behörden, Gerichtsverfahren mit der Verurteilung zu zwei bis drei Jahren Gefängnis ausgesprochen worden!“ Ende dieser Drohung.
Es war für uns wichtig, dass wir nie ein solches Gespräch beendeten, ohne unseren festen Willen zur Ausreise aus der DDR nochmals bekundet zu haben.
Ich äußerte mich also zum Schluss nochmals mit folgenden Worten: „Wir werden das Gesuch auf Ausreise nicht zurückziehen und es so lange stellen, bis unserem Ausreiseersuchen stattgegeben wird!“ „Für die Folgen haben Sie dann selber aufzukommen“, versuchten die Genossen uns zum wiederholten Male einzuschüchtern. Damit war das „Gespräch“ beendet.
Rosemarie hat das Gespräch so erregt, dass sie zum Schluss sehr starke Magenkrämpfe bekam und wir die Sanitätsstelle des Rates der Stadt aufsuchten, wo ihr ein Beruhigungsmittel gegeben wurde.
Die Aufregungen waren damit für diesen Tag aber noch nicht zu ende, denn Rosemaries Chef sagte ihr kurz vor Feierabend, dass er bis morgen wissen möchte, ob sie der angekündigten Umbesetzung zustimmt! Zu Hause haben wir das Für und Wider aller möglichen Antworten abgewogen und uns entschlossen, dass Rosemarie am nächsten Vormittag ihrem Chef sagt, sie werde sich erst mit dem Vorsitzenden der Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL) besprechen. Was sie dann auch tat.
Nach Dienstschluss rief Rosemarie von zu Hause den BGL-Vorsitzenden an. Er war empört und meinte: „Sie können Einspruch erheben. Ich werde mich belesen, auch über die Bezahlung. Von einem Änderungsvertrag ist mir nichts bekannt!“
Am nächsten Tag, während ihres erneuten Telefonats mit ihm, erhielt Rosemarie folgende Antwort: „Die Frist von drei Monaten lt. §49(2) des Arbeitsgesetzbuches (AGB) gilt nicht, da mit Ihnen vor Weihnachten gesprochen und die Strukturveränderung und Umbesetzung angekündigt wurde. Sie bekommen da kein Recht. Bitten sie noch einmal über ihren Chef um ein Gespräch beim Direktor. Ich kann Ihnen nicht helfen!“ Ende des Telefonats. Der Herr BGL-Vorsitzende war zurückgepfiffen worden!
Nachdem wir uns beraten hatten, kamen wir zu dem Entschluss, dass Rosemarie vor ihrer Zustimmung erst einmal den Änderungsvertrag sehen will.
Einen Tag später, es war der in der DDR stets mit viel Blumen, Konfekt und zum Teil auch Alkohol, begangene „Internationale Frauentag“, informierte Rosemarie ihren Chef wie folgt: „Ehe ich meine Zustimmung gebe, möchte ich erst einmal den Änderungsvertrag sehen!“ Daraufhin wurde sie zum 12. März zu einem Gespräch mit dem Direktor des Versorgungszentrums bestellt. Hier erfuhr sie vom Direktor folgendes: „Durch Änderung der Struktur und des Stellenplanes der Abt. AMH ist für sie eine betriebliche Umbesetzung zum 12. Juni dieses Jahres notwendig!“
Nun war es plötzlich nicht mehr der 11. März, sondern erst der 12. Juni. Die Begründung für die Umbesetzung sollte arbeitsrechtlich verschleiern, was in Wirklichkeit einer Bestrafung für das Stellen des Ausreiseantrags entsprach.
Mitte März war Rosemaries Tante aus Nürnberg zu Besuch bei ihrer Schwester, Rosemaries Mutter. Aus Anlass dieses Besuches machten wir drei am 17. März, es war ein Sonntag, mit der Tante einen Ausflug zum Wartberg. Der Wartberg, genauer der Große Wartberg, ist mit seinen 145,50 Meter die höchste Erhebung in der Magdeburger Börde und damit gut 100 Meter höher als die mittlere Höhe von Magdeburg.
Bei gutem Wetter hat man einen schönen Überblick auf das östlich bzw. südöstlich gelegene Magdeburg, dessen Dom mit seinen 99,25 Meter bzw. 104 Meter hohen Türmen in ca. elf Kilometer Entfernung als dominanter Punkt hervorsticht. Leider war das Wetter schlecht, sodass wir kaum etwas sahen und weiter zum Rasthof Börde fuhren. Hier besuchten wir kurz den Intershop und fuhren dann, zum Kaffeetrinken nach Hause. Weiter unten werden wir sehen, was dieser harmlose Ausflug für Aktionen der Sicherheitsorgane auslöste.
Am 6. März waren in der SED Tageszeitung „Neues Deutschland“ in großer Aufmachung Namen von ehemaligen DDR-Bürgern aufgeführt, die vor einiger Zeit in die Bundesrepublik übergesiedelt waren und nun wieder in der DDR leben wollten und entsprechende Anträge gestellt haben sollen.
Dieser Umstand veranlasste am 20. März den Direktor der Sektion 9 und am selben Tag, etwas später, den Leiter des Wissenschaftsbereiches 3 (WBL 3) mich zu sich zu rufen und meine Meinung darüber zu erfragen. Meine Äußerung dazu fiel recht kurz aus, denn ich sagte beiden Genossen: „Die Meinung dieser Leute muss man akzeptieren, was an unserem Ausreisewillen aber nichts ändert!“ Ende der Aussage!
Hierzu folgende Bemerkung [13.] 79
»1986 registrierte das MfS - bezogen auf den Zeitraum Januar 1984 bis Ende April 1985 - 543 "Rückkehrwünsche". Diese Zahl steht in einem eklatanten Widerspruch zur Propagandakampagne des Neuen Deutschland vom März 1985, das mit der Schlagzeile "Über 20.000