Der lange Weg in die Freiheit! Deckname "Walpurgis". Dr. Helmut Bode
Familie Bode lebte seit 1807 im ca. drei Kilometer von Nordhausen entferntem Sundhausen. Der Großvater meines Vaters, Karl Albert Wilhelm Bischof, war 25 Jahre in diesem Ort Hauptlehre und Kantor. Noch einen Tag vor seinem Tod begleitete er den Weihnachtsgottesdienst auf der Orgel. Für meinen Vater war als Enkel die Einsichtnahme in die Bücher der Evangelischen St. Laurentius Kirche von Sundhausen sicher kein Problem, sodass er die Daten der Bodes über den Zeitraum von mehr als einhundert Jahren relativ einfach zusammentragen konnte.
Die nächsten Daten waren sicher nicht mehr so einfach zu erlangen, denn um an die Orte zu gelangen, wo einst unsere Vorfahren lebten, musste er das Fahrrad und die Eisenbahn nutzen! Auch so manche freie Stunde wurde in dieses Hobby investiert, später wohl auch zum Leidwesen meiner Mutter. Denn der 1807 nach Sundhausen zugezogene Bode kam aus Quedlinburg und war der Sohn aus der Ehe des katholischen Matthias Bode mit der evangelischen Catharina Hermes. Von Quedlinburg führt der Weg zurück zum Kloster Hamersleben, denn laut Taufbuch der Stiftskirche St. Pankratius, eine Basilika aus dem 12. Jahrhundert, des Augustiner-Chorherrenstifts, wurde obiger Matthias am 2. Mai 1748 getauft. Seine Eltern waren Matthias und Anna Elisabeth Bode, geb. Buermeister. Dieser Matthias Bode ist im Kirchenbuch als »Trituratoris - habitantis in immunitate Monasterii« verzeichnet, d.h. vermutlich jemanden der etwas mit dem Dreschen von Getreide zu schaffen hatte und als Bewohner in der Klosterfreiheit und damit frei von öffentlichen Diensten war. Ein Kirchenhistoriker äußerte mir gegenüber, dass es sich vermutlich um den Verantwortlichen für das „Korn bzw. Getreide“, d.h. den „Kornmeister“, gehandelt haben könnte! Aber weiter kam mein Vater nicht in der Ahnenreihe der Bodes, denn es gelang ihm nicht zu ermitteln, woher Matthias und Elisabeth Bode, kamen und wohin sie vom Kloster Hamersleben aus gegangen sind!
Dies war für mich Anlass, in der näheren und weiteren Umgebung von Hamersleben zu suchen, es musste mir doch gelingen, wenigstens die Lebensdaten einer weiteren Generation, deren Namen ja schon bekannt sind, zu finden. Die nächstgelegene katholische Kirchengemeinde lag in Egeln-Marienstuhl. So fuhr ich an einem Sonnabend, wesentlich einfacher mit dem Auto, als es meinem Vater möglich war, zum dortigen Pfarrer. Welcher mich sehr freundlich empfing und mir breitwillig Einsicht in die Kirchenbücher gewährte. Ich fand so einige Bodes, musste aber letztlich feststellen, dass sie leider in keiner Beziehung zu meinen Vorfahren stehen. Es sollten noch viele ergebnislose Versuche folgen.
Am darauffolgenden Sonntag begaben wir vier uns nun auf die Suche der Vorfahren von Rosemaries Vater. Die erste Station war Wolmirstedt. Hier gelang es uns in einer schon recht gefüllten Gaststätte einen Tisch zu ergattern und auch ein Mittagessen zu bekommen. Danach führte uns unser Weg auf die Friedhöfe von Farsleben, Zielitz und Loitsche. Auf dem Letzteren waren die negativen Einflüsse von Salz bzw. Kali, als Folge des benachbarten Kaliwerkes, spürbar. In Zielitz hatten wir das große Glück, mit dem dortigen Pfarrer ins Gespräch zu kommen und dabei etwas über die Vorfahren von Rosemaries Vater, die über mehrere Generationen dort lebten, zu erfahren. Der erste nachweisbare Vorfahr, der Häusler und Zimmergeselle Johann Weihe, heiratete mit etwa 23 Jahren im November 1767 die »Tochter Catharina Maria, des gewesenen Schäfers Röder« aus Zielitz.
Der 1859 in Zielitz geborene Urgroßvater von Rosemarie verließ dieses und ist erstmalig 1886 in Magdeburg-Neustadt nachweisbar. Er schaffte es, sich vom Wagenschieber, wie es auf der Geburtsurkunde seines am 1. Mai 1868 geborenen Sohnes vermerkt wurde, bis zum Rangiermeister auf dem Bahnhof Magdeburg-Neustadt heraufzuarbeiten! Bei meinen Recherchen in den »Adress- und Geschäfts-Handbüchern von Magdeburg« stellte ich fest, dass Rosemaries Urgroßvater in der Zeit von 1886 bis 1915 fünfzehn verschiedene Wohnungsanschriften hatte. In den ersten Jahren wechselten die Anschriften jährlich, was mich sehr verwunderte, bis ich aufgeklärt wurde. Der Urgroßvater mit seiner Familie gehörte zu den sogenannten „Trockenwohnern“. Dazu können wir im Duden folgenden Eintrag lesen, »jemand der in einem Neubau feuchte Räume solange bewohnt, bis sie trocken und für zahlende Mieter bewohnbar sind.«83. Das war sicherlich „Der Not gehorchend!“ finanziell eine Alternative, aber gesundheitlich eine arge Belastung.
In meinem Tagebuch fand ich unter dem 19. Oktober ein Kalenderblatt, mit einem äußerst interessanten Beitrag zum
»Tag der Werktätigen der Leicht-, Lebensmittel- und Nahrungsgüterindustrie. 1985 wird der jährliche Warenverbrauch eines vierköpfigen Haushalts in der DDR durchschnittlich bei 17.700 Mark liegen, und mehr als die Hälfte davon werden Industriewaren sein. … Ein weites Betätigungsfeld für die Entwicklung neuer, qualitativ hochwertiger Erzeugnisse haben die Textil- und Bekleidungsindustrie sowie die Möbelproduktion und die Glas- und Keramikindustrie. Hier haben die schöne Form und die modische Aktualität besonders großen Einfluß darauf, ob die Waren gefragt sind und den Menschen Freude machen. Aus dem Bericht an den X. Parteitag der SED.«
Das 12. Gesuch auf Übersiedlung schickten wir am 18. November an die Abt. Innere Angelegenheiten des Rates der Stadt Magdeburg.
Unsere Tochter hatte herausgefunden, dass es in Harbke einen Töpfer gibt, bei dem sie eine Lehre als Töpferin machen könnte. Zuständig für diesen Töpfer war das Braunkohlenwerk Harbke. Wir richteten also eine Bewerbung für eine Ausbildung unserer Tochter zur Töpferin an die Kaderabteilung des Braunkohlenwerkes. Mit Schreiben vom 18. November teilt uns der »VEB Braunkohlenwerk „Gustav Sobottka“« mit, dass unsere Tochter für die Ausbildung zum Töpfer ausgewählt wurde:
»Die Bewerbungsunterlagen Ihrer Tochter Constance Bode wurden der Bewerberkommission unseres Betriebes vorgelegt und für die Ausbildung als Töpfer bestätigt. Wir beglückwünschen Ihre Tochter zur Wahl des Berufes. Die Unterzeichnung und Ausgabe der Lehrverträge sowie Klärung eventuell auftretender Fragen erfolgt
am | 03.12.1985 |
im | BKW84 Harbke Kaderabteilung |
um | 09.30 Uhr |
Zu dieser Veranstaltung laden wir Sie und Ihre Tochter herzlich ein. … «
Unsere Freude über die Lehrstelle währte nicht lange, denn am 26. November erhielt Rosemarie die telefonische Information vom VEB Braunkohlenwerk „Gustav Sobottka“, dass die Volkspolizei für unsere Tochter keine Einreise in das Sperrgebiet erteilt und damit der bereits zugesagte Lehrvertrag nicht abgeschlossen werden kann. Eine schriftliche Bestätigung der Absage würde folgen.
Am selben Tag schrieb ich folgenden Brief:
»Vorsitzender des Staatsrates der DDR
Herr Erich Honecker
1020 Berlin
Marx-Engels-Platz
Magdeburg, den 26.11.1985
Sehr geehrter Herr Vorsitzender des Staatsrates!
Vor den Herbstferien im Oktober dieses Jahres hat sich unsere Tochter, wie gesetzlich festgelegt, um eine Lehrstelle beworben.
Ende Oktober erhielten wir eine mündliche und mit Schreiben vom 18.11.1985 die schriftliche Zusage, daß unsere Tochter Constance ab September 1986 die Lehre als Töpfer im VEB Braunkohlenwerk 'Gustav Sobottka' Betriebsteil Harbke aufnehmen kann.
Von der Bewerberkommission des Betriebes wurde Constance auf Grund ihrer Vorleistungen – mehrjährige Mitgliedschaft im Volkskunstzirkel (Malerei, Keramik usw.) des MAW85 Magdeburg, Bestehen der Voreignungsprüfung und somit Besuch des Förderzirkels der Hochschule Burg Giebichenstein sowie einem Notendurchschnitt von 1,7 auf dem letzten Zeugnis – für die Lehrstelle als Töpfer ausgewählt.
Mit dem heutigen Tage wurden wir nun telefonisch von der zuständigen Bearbeiterin des o. a. Betriebes darüber informiert, daß Constance die Lehrstelle nicht antreten kann, da ihr die Deutsche Volkspolizei die Einreise in das Sperrgebiet, in dem der Lehrbetrieb liegt, nicht erteilt.
Gründe wurden nicht mitgeteilt.
Wir sind aber davon überzeugt, daß diese Ablehnung mit unserem Gesuch zusammenhängt, welches wir am 6.6.1984 bei der Abt. Innere Angelegenheiten des Rates der Stadt Magdeburg