Whiskey-Ballett. Peter Faszbender

Whiskey-Ballett - Peter Faszbender


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den medizinischen Geräten zu. »Tja, bei den vorliegenden Fakten ist Personenschutz nicht drin für Sie. Es ist nicht auszuschließen, dass es nur ein Versehen war, ein Unfall. Es gibt so viele Möglichkeiten, das Leben ist zuweilen rätselhaft und am Schluss sowieso immer tödlich, für jeden. Schrecklich, wenn hier jemand an den Schläuchen und Kabeln herumspielen würde.«

      Timo Brenner vergräbt seinen Kopf in das Kissen.

      »Ich bin müde, gehen Sie, lassen Sie mich schlafen.«

      »Selbstverständlich. Dann wünsche ich Ihnen süße Träume und ein gutes Erwachen, hoffentlich.« Sarah klopft auf eine der Apparaturen. »Wie filigran und zerbrechlich das alles hier doch ist …« Sie verlässt das Zimmer.

      »Hallo, Sarah!«, schallt es im gleichen Moment über den Flur.

      Sie dreht sich um. »Moin, Doc!«

      »Wie laufen die Ermittlungen?«

      »Ihr Patient nervt. Wann ist er denn so weit, dass man ihn ordentlich in die Mangel nehmen kann?«

      »Oh, der wütende Blick steht Ihnen aber ausgezeichnet – wild und verwegen. Das verrät Rasse und Klasse.«

      »Ja, ist jetzt gut, Doc«, raunzt Sarah und verdreht die Augen.

      »Okay, okay, Brenner ist weiter auf unsere Gastfreundschaft angewiesen. Ohne die Gerätschaften, tja, ein paar Stunden, dann wär’s das für ihn. Game over – sozusagen.«

      »Danke, ich komme ein andermal wieder.«

      »Gerne, Sie sind mir immer willkommen!«

      »Tschüss, Doc.«

      »Auf Wiedersehen würde ich lieber von Ihnen hören, Sarah.«

      Sie setzt ein Lächeln auf, winkt ihm zu und marschiert über den Korridor Richtung Ausgang.

      Kapitel 20

      »Was ist das denn?« Sarah betrachtet eine kleine Flasche mit Kügelchen.

      »Thallium, danach haben Sie doch gesucht.« Die Apothekerin schaut in ihrem Computer nach. »Wir können Ihnen das in verschiedenen Packungsgrößen besorgen und in den Dosierungen D12, D15, D30, D60 und so weiter.« Sie schaut vom Monitor hoch.

      »Deh… was?«, fragt Sarah nach.

      »Die Dosierung der Globuli. Welche Verdünnung nimmt denn der Herr, für den Sie das, nehme ich doch mal an, besorgen? Oder ist das Haarproblem jetzt erst neu aufgetreten?« Die Apothekerin lächelt Sarah an. »Für Sie dürfte das Mittel ja nicht sein.« Sie deutet auf Sarahs rote Lockenpracht.

      Sarah schaut verwirrt auf ihr Gegenüber. »Was für Haarprobleme?«

      »Das Thalliumpräparat wird bei Haarausfall eingesetzt.«

      Sarah stutzt. »Was? Sie verkaufen Gift als Medizin gegen Haarausfall?«

      »Stark, sehr stark verdünntes Gift, in den eben genannten D-Potenzen. Die Dosis macht bekanntlich das Gift.«

      Sarah kramt ihr Notizbuch aus der Umhängetasche, schlägt es auf und zieht einen Stift aus der Innentasche der Jacke. »Okay. Wie viele Globuli würde man benötigen, um einen Menschen umzubringen?«

      »Wie bitte?«, schreit die Apothekerin entsetzt auf.

      »Wie viele davon sind tödlich, wenn man die Dinger auf einmal nimmt? Besteht die Möglichkeit, durch eine Überdosierung eine Thalliumvergiftung zu bekommen? Quasi ein ungewollter Suizid oder Unfall, wenn man mehr einnimmt als vorgesehen?« Sarah schüttelt an dem Fläschchen.

      Die Frau hinter der Theke nimmt ihr die Globuli weg und stellt sie außer Reichweite. Aus einer Schublade holt sie eine Tabelle und legt sie auf die Theke. »Das hier, das sind die Verdünnungen des homöopathischen Mittels. D6 entspricht demnach einem Tropfen der Urtinktur auf fünftausend Liter Wasser. D24 würde dann etwa einem Tropfen im hunderttausendfachen Volumen des Atlantischen Ozeans entsprechen.«

      Sarah macht sich einige Notizen. »Und welche Verdünnung und wie viel davon ist nötig, um einen normalen, kräftigen Mann umzubringen?«

      Die Frau zuckt zusammen und weicht einen Schritt zurück. »Ja, da muss ich nachschauen. Wenn Sie mich einen kleinen Moment entschuldigen, ich bin mal schnell hinten, dauert nicht lange.«

      Sarah zieht ihren Dienstausweis heraus. »Sie müssen die Kollegen nicht anrufen. Ich bin wegen der Ermittlungen in einem Vergiftungsfall hier, Molony ist mein Name.«

      Die Apothekerin mustert den Ausweis sehr gründlich, vergleicht das Bild mit Sarah. »Okay, Frau Molony, eine Thalliumvergiftung mit diesen Präparaten ist unmöglich.«

      »Gibt es Thallium auch pur zu kaufen?«, fragt Sarah.

      »Bei uns nicht, aber ich glaube, es findet Anwendung in der Glasherstellung.«

      »Wird solches Glas hier in der Nähe hergestellt?«

      »Keine Ahnung, da müssen Sie sich woanders erkundigen. Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«, fragt die Apothekerin.

      Sarah sieht sich um. »Haben Sie ein natürliches Schmerzmittel, das man direkt mit Alkohol, also mit Bier oder Whiskey, trinken kann? Damit es am nächsten Tag nicht so schlimm ist, so als Prophylaxe, wenn Sie verstehen, was ich meine.« Sarah streicht sich über das Kinn.

      Die Apothekerin lacht müde auf. »Sicher. Das beste Mittel ist, mit dem Saufen aufzuhören.« Sie zieht ein Infoblatt unter der Theke hervor. »Versuchen Sie es doch mal hiermit.«

      Sarah liest: »Informationsabend der Guttempler, Kampf gegen den Dämon Alkohol. Es spricht Richenza Ottilia Schmitzlein-Ithana.« Sie lässt das Blatt auf den Ladentisch gleiten.

      »Danke«, sagt Sarah, »ich schau dann mal woanders.«

      Kapitel 21

      In der Kleingartenanlage Abendfriede parkt Sarah Molony ihren Kombi vor ihrer Parzelle, lädt einen großen unhandlichen Pappkarton aus und schleppt ihn vorsichtig in die Hütte. In dem spärlich beleuchteten Häuschen sind die Fenster gegen die Neugier möglicher Passanten blickdicht verhängt. Sie räumt Gläser und Flaschen aus dem Karton in das Regal. Aus einer Ecke holt sie einen Bottich mit Maische hervor und wendet sich ihrem neuen Destilliergerät zu. Sarah befüllt die Brennblase langsam und sorgfältig mit dem vergorenen Getreidebrei, verschließt die Apparatur und zündet den wuchtigen Gasbrenner an. Die entfesselte Energie des Feuers lässt erahnen, welche Urkräfte in dem Kessel wirken. Die lodernde bläuliche Flamme illuminiert den Raum, das Spiel aus Licht und Schatten auf den groben Steinwänden wirkt mystisch. Aus der fermentierten Maische trennt sich der Alkohol heraus, der erkaltete Dampf rinnt als klare Flüssigkeit aus dem Kondensator.

      Flink und geschickt entnehmen Sarahs feingliedrige Hände Proben des Brandes. Sorgfältig prüft sie den Alkoholgehalt. Den stechend riechenden Vorlauf zieht sie ab, bis das Herzstück, der edle Brand, herausrinnt. Gewissenhaft passt sie den Übergang zum Nachlauf mit den Fuselölen ab. Das Glasgefäß voll klarer Flüssigkeit spiegelt ihre grünen Augen. Nach wiederholtem Brennen des Hauptlaufs hält sie das Endergebnis in den Händen, klar und rein.

      »Perfekt! Uisce beatha«, ruft sie aus. »Wasser des Lebens.« Sie füllt das Destillat in ihr neu erstandenes Bourbonfass und verschließt es sorgfältig. Aus dem Kühlschrank holt sie sich eine Flasche Kilkenny-Bier und eine Packung Landjägerwürste. Mit der Fernbedienung schaltet Sarah die Stereoanlage an und dreht sie auf, bis irische Folkmusik den Raum erfüllt. Stumm trinkt sie ihr Bier und verschlingt die Würste hintereinander weg. Bei dem Lied »Galway Bay« schaut sie gefühlsduselig auf die Poster mit den irischen Landschaften an der Wand. Nach einem kräftigen Schluck aus der Flasche singt sie schließlich lauthals mit:

      »In my dear land across the Irish sea. Ooh. In my dear land across the irish sea.«

      Sie kramt in ihrem Vorratsschrank und entdeckt neben den leeren Whiskeyflaschen eine einzige Flasche Poitín. Sarah füllt ein Wasserglas mit der Spirituose und trinkt den Gerstenschnaps in kräftigen Zügen aus. Leicht taumelnd strebt sie ihrem Bourbonfass entgegen. Sie setzt sich daneben


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