Die nächste Generation. Jule Beatsch

Die nächste Generation - Jule Beatsch


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was soll ich deiner Meinung nach jetzt machen? Ich kann doch jetzt nicht einfach wieder runter in die Küche gehen und so tun, als wäre das alles gerade eben nicht passiert?"

      Energisch schüttelte Tarik seinen Kopf, sodass seine dunklen Haare ihm wieder ins Gesicht fielen. In jedem andern Moment hätte es ihn gestört und er hätte sie einfach aus der Stirn gestrichen, aber jetzt war er so aufgewühlt, dass er es gar nicht merkte. Seine Mutter sah ihn mit einer Mischung aus Mitleid, Fürsorge, Sorge und Traurigkeit an. Sie schniefte niedergeschlagen und erhob sich so wacklig, dass Tarik befürchtete, dass sie gleich stürzen würde und ihr das hier alles zu viel wurde. Dabei war Tarik doch derjenige, der von alldem hier zum allerersten Mal hörte.

      „Ich wusste, dass dieser Tag kommen würde, aber ich wollte es einfach nicht wahrhaben… Ich wollte dich immer beschützen, Tarik, dass musst du mir glauben! Du solltest ein Leben führen können wie jeder andere normale Junge in deinem Alter. Aber ich konnte dich nicht vor allem bewahren", flüsterte sie nunmehr mit gebrochener Stimme und ihre dunklen Augen sahen voller Kummer in die Ecke des Zimmers. Tarik machte schnell einen Schritt auf seine Mutter zu und legte seinen Arm um sie.

      „Das hat auch niemand von dir verlangt, es ist nicht möglich, mich vor allen bösen Dingen, die in der Welt geschehen, zu retten. Das ist noch keinem gelungen und wird auch nie jemandem gelingen", versuchte der schwarzhaarige Junge seine weinende Mutter zu besänftigen. Diese schüttelte aber plötzlich seine Hand ab und sprang energisch von der Bettkante auf: „Genau das ist ja der Punkt! Du kannst das! Du bist derjenige, der alle Menschen hier in unserer Welt beschützen kann! Diese Fähigkeit ist dir in die Wiege gelegt worden. Mein Gott, dein Vater ist ein Erzengel! Hast du denn überhaupt eine Ahnung, wie mächtig du bist? Du kannst großes Glück aber ein noch größeres Unheil über uns alle bringen, Tarik! Es liegt nun mal an dir, wie du deine Gabe einsetzt und wofür die sie nutzt! Ich kann dir diese Entscheidung jetzt nicht mehr abnehmen. Jetzt ist es dafür nämlich zu spät…", rief Ms. North und wurde während sie das sagte, immer leiser, bis sie irgendwann nur noch dasaß und Tränen in den Augen hatte.

      Tarik starrte sie verwirrt an: „Was für eine Gabe? Was bitte nutzt es anderen, dass ich keine Wunden haben kann oder fast unverletzlich bin? Der einzige, dem das was bringt, bin ich!", meinte der 16-jährige überzeugt und ließ sich mit verschränkten Armen auf seinen Stuhl fallen.

      „Das stimmt nicht ganz", nuschelte Ms. North fast unhörbar, weil sie den Kopf in ihre Arme eingebettet hatte und ununterbrochen schluchzte. Tarik wurde hellhörig und setze sich kerzengerade hin: „Was hast du mir noch verschwiegen, was ich besser wissen sollte, Mum?", fragte er beunruhigt und begann mit seinen Fingernägeln auf die Lehne seines Stuhles zu trommeln, was einen unheilvollen Ton von sich gab.

      „Es ist nicht bloß das beschleunigte Verheilen deiner Wunden, sondern noch viel mehr dein Erbe, mein Junge. Du bist der Sohn eines ehemaligen Erzengels; Du kannst Gutes für die Welt tun! Was glaubst du, wie viele unschuldige Menschen du mit deiner Fähigkeit des Heilens retten könntest“, erklärte sie ihrem Sohn mit fast schon schriller Stimme und sah ihn ernst an. Tarik runzelte immer noch verwirrt die Stirn:

      „Könntest du mir dann bitte erklären, was genau daran schlecht ist? Ist das nicht die Lösung für alle Probleme? Ich kann die Menschen alle wieder gesundmachen! Ich kann ihnen eine neue Zukunft oder gar ein besseres Leben schaffen!", triumphierte Tarik und sprang wie elektrisiert vom wackeligen Holzstuhl auf und machte einen kleinen Sprung in die Luft. „Ich könnte die Welt zu einem besseren Ort machen!"

      „Nein."

      Tarik blinzelte seine Mutter bei diesen Worten verständnislos an und erwiderte: „Was, nein?"

      „Es geht nicht", murmelte die blonde Frau traurig und brachte ein freudloses Lachen über die Lippen.

      „Nenne mir dann doch mal einen Grund, nur einen einzigen Grund, weshalb dass nicht funktionieren soll. Das ist doch absolut genial!?", behauptete der Teenager und sah seiner Mutter trotzig in die blassblauen Augen, deren eigentliche Farbe vor Kummer und Tränen kaum mehr zu sehen waren.

      „Weißt du, wie viele Menschen es auf diesem Planeten gibt? Hast du überhaupt die leiseste Ahnung, wie du es bei fast acht Milliarden Menschen schaffen willst, alle zu heilen?", fragte sie stumm und blickte den Jungen ausdruckslos an.

      „Ja, dann kann ich halt nur ein paar helfen. Hauptsache, ich kann überhaupt jemandem helfen!", entgegnete Tarik daraufhin schnippisch und wandte ihr den Rücken zu.

      „Und das wäre dann gerecht? Würdest du das etwa fair finden? Du musst einsehen, dass es nicht im Bereich des Möglichen ist allen Menschen auf der Welt zu helfen."

      Tarik drehte sich wieder um und seine dunklen Augen wurden so groß wie Teller, als er das hörte.

      „Aber was nützt mir meine Gabe denn dann, wenn ich sie nicht anwenden darf? Dann kann ich das doch gleich komplett vergessen?"

      Tarik schnaubte enttäuscht und wollte gerade sein Zimmer verlassen, als seine Mutter wieder fast kaum hörbar sagte:

      „Aber da ist noch etwas, wofür deine Fähigkeit dir von großem Nutzen sein könnte. Aber es ist leider nicht ganz ungefährlich." Tarik trat mit einem Bein fest auf den alten Holzboden, sodass es donnerte und verschaffte sich somit die gesamte Aufmerksamkeit seiner Mutter, die erschrocken durch den Lärm ihren Kopf hob.

      „Es gibt da noch ein Mädchen, dass eine große Gefahr für dich darstellen könnte.", gab sie kleinlaut zu, doch wurde von ihrem Sohn unterbrochen, der nun sichtlich gereizt die Hände über dem Kopf zusammenschlug:

      „Ein Mädchen? Tatsächlich? Hältst du mich wohl für so einen Schwächling, dass ich nicht einmal mit einem Mädchen fertig werden kann? Vielen Dank aber auch, ich kann sehr gut selbst auf mich aufpassen", grollte er sauer, dachte aber insgeheim an die verlorene Prügelei in der Schule heute, von der er seiner Mutter noch nichts erzählt hatte. Eine gewisse Ironie war nun doch zu erkennen. Aber er verwarf diesen Gedanken sehr schnell wieder, denn seine Mutter sprach weiter, diesmal etwas energischer als zuvor:

      „Ich warne dich nicht, weil ich dich für schwach halte, Tarik, sondern, weil ich dich beschützen möchte! Dieses Mädchen hat eine Seele aus dem dunkelsten schwarz, dass du dir vorstellen kannst; sie ist durch und durch böse. Es gibt Geschichten, Sagen und Legenden, die alles vorhersagten, so wie es jetzt wirklich passiert ist! Die Rede war immer von einem Jungen und einem Mädchen, einer ist gut, der andere das pure Böse, aber nur, wenn sie zusammenarbeiten, können sie das Gleichgewicht in der Welt wiederherstellen. Ich habe nie darüber nachgedacht, was für Folgen das für dich haben könnte, da ich nicht daran glaubte, dass es stimmt. Aber jetzt wissen wir beide, dass es wahr ist. Es war vorherbestimmt. Du und das Mädchen seid der Schlüssel zu einer friedlichen Welt. Aber der Weg dahin, zu dem, was ihr alles erreichen könnt wird besonders beschwerlich und steinig werden, so viel ist schon mal sicher. Aber durch euch beide kann es neue Hoffnung geben."

      Ms. North beugte sich etwas näher zu ihrem einzigen Sohn und flüsterte ihm zu: „Du bist ein wundervoller Junge Tarik. Ich weiß, dass du das Zeug dazu hast, die Welt zu einem besseren Ort für uns alle zu machen. Du musst dich nur darauf einlassen."

      Keep The Streets Empty For Me

      (Karin Dreijer, 2009)

      „Folgen Sie dem Straßenverlauf auf der Oak Street noch 400 Meter, anschließend biegen sie rechts ab", schnarrte das moderne Navi in Mr. Mitchells Jeep und verkündete somit die baldige Ankunft des ungleichen Pärchens. Seufzend ließ Clementine sich zurück in den schwarzen Ledersitz fallen, der sie sanft auffing und sie noch müder machte als sie sowieso schon war. Seit beinahe fünf Stunden waren sie schon auf dem Weg zu dem mysteriösen Jungen, der ja der Sohn eines Erzengels sein sollte, doch so richtig sich etwas darunter vorstellen konnte Clementine nicht.

      „Dieser Verkehr macht einen ja richtig blöd im Kopf", murmelte Mr. Mitchell mit einem tiefen Atemzug, umklammerte das Lenkrad etwas fester und steckte seine ganze Ungeduld in seinen sowieso schon gewöhnungsbedürftigen Fahrstil. Clementine wurde prompt fest in den Sitz gedrückt und hatte das Gefühl, sich auf einer wilden Achterbahnfahrt durch eine Riesenstadt zu befinden.

      „Wieso


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