Kritik der reinen Verleugnung. Volker Kulessa
und „Offenbarung“ und „Heilsgeschehen“ und „Glauben“ und „Sünde“ und „Christusereignis“ und „Christusgeschehen“ und „Jesus Christus“. Vgl. dazu Kapitel 3.
Bultmann entwirft auch auf diese Weise, so sieht es für mich aus, in Anlehnung an die Philosophie Heideggers -- in der er ganz gefangen zu sein scheint -- wie wir später noch sehen werden -- ein mit neutestamentlichem Verständnis nicht nur schwer, sondern gar nicht mehr in Übereinstimmung zu bringendes Verständnis von Gott und Mensch und Welt, von Erlösung, Versöhnung, Vollendung, in der Tat von allem, was den Kern und die Substanz, des Evangeliums, des gesamten Neuen Testaments ausmacht.
‘Dem’ Kreuz ist durch Bultmann das Wesentliche entzogen, nämlich alles, was seine Hoheit angeht; geleugnet wird die Gottheit des Gekreuzigten ebenso wie die Sühne für uns. Es soll auch vom Kreuz nicht die Rede sein, von der Erlösung, die für die Glaubenden schon Realität ist.’321
„Weil dem Menschen durch das gepredigte Wort zugeeignet wird, was ihm im Kreuzesgeschehen schon geschenkt ist, deshalb begreift Paulus die Heilszueignung als 'Offenbarung' des Heils und den Heilsempfang als 'Erkenntnis' des Heils. Mit beidem sind keineswegs bloß noetische Sachverhalte gemeint - als wäre das verkündigte Wort lediglich eine formale Information über Gottes Versöhnungstat […]. Die 'Offenbarung' der Versöhnungstat ist vielmehr als solche ein 'Erkenntnis' wirkendes Geschehen, und die 'Erkenntnis' selbst die das ganze Leben bestimmende Ausrichtung auf Gott, den Versöhner. In dem verkündigten Wort erschließt Gott selbst dem Menschen, was der 'in Christus' zu seinem Heil getan hat und wer er, der Mensch, aufgrund dieser Tat 'in Christus' ist […] In dieser Selbsterschließung Gottes im Wort vollzieht sich nicht erst die Versöhnung, sondern in ihr tritt sie zutage.“322
„Die christliche Lehre von der Versöhnung ist das Zentrum unseres Glaubens. […] wem diese Mitte fehlt, dem fehlt auch das Bewusstsein der Ganzheit, dem fehlt Anschaulichkeit und Einheitlichkeit des Glaubens. […] Es liegt nicht an uns, daß von Versöhnung die Rede ist, sondern an
Gott. […] es ist der Gott israels, der Gott Abrahams, isaks und Jakobs, der Gott des Alten und des Neuen Bundes. […] Da heißt es Jerusalem und Golgatha, da heißt es Jesus Christus der Herr. “323
„in der Bibel wird immer, auch im Alten Testament, von Gott im Blick und in Beziehung auf die Versöhnung geredet. Das ist anders bei der Philosophie, weithin auch anders bei unseren großen Dichtern, es ist anders überall da, wo man an ein immanentes Gottesbewußtsein anknüpft, das in der menschlichen Natur angelegt ist, und das man entfalten möchte.[…] Wer aber den wirklichen Gott findet, nicht einen erdachten oder erträumten, sondern den Gott, der uns mit sich versöhnte als wir noch Feinde waren, der uns rettet, wo wir verloren gehen, der frei und wunderbar auf dem Plan ist, um sich als Herr und Versöhner der Welt und der Menschen zu erweisen, eben der Welt, die von ihm her und auf ihn hin ist, der wird den Unterschied empfinden, der zwischen der Bibel und ihrem Reden von Gott auf der einen Seite und unserem Denken und Empfinden auf der anderen Seite besteht. […] Wer meint, der Versöhnung mit Gott entraten zu können, wer also den Gott sucht, mit dem er je schon eins ist, ehe denn Gott diese Einheit herstellt, dem wird darum immer wieder die Schrift leer erscheinen, er wird sich anderen, leichter eingänglichen Gedanken und Empfindungen über Gott und das Göttliche hingeben. Denn der Gott des Bundes, des Alten wie des Neuen, des Bundes von Sinai und des Bundes von Golgatha will als der erkannt und geglaubt sein, der als der Versöhner sich zu uns und uns zu sich ins Verhältnis setzt, der, wie es Karl Barth in seiner neuen groß angelegten Versöhnungslehre voranstellt: „Mit uns ist!“ […] Es geht aus 2 Kor 5,18-22 in Vers 17 hervor, daß es sich in der Versöhnung um eine neue Schöpfung handelt, nicht nur um eine Besserung und Restaurierung des alten Menschen. „Werin Christus ist, ist eine neue Kreatur. […] nun gelangen wir an das eigentliche Fundament der Versöhnungslehre: „Er hat den, der von keiner Sünde wußte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir würden die Gerechtigkeit Gottes in ihm. “ Das ist einer der Sätze, auf die man sterben kann, weil sie einen Trost bieten, der stärker ist als der Tod. […] Hier und so, in seinem Todesgang, wirklich in seinem Blute, hat Jesus Christus den Menschen auf die Seite der göttlichen Gerechtigkeit gezogen, hat ihn bekleidet mit dem Kleid eines neuen Seins. “324
„Dieser elementare Zusammenhang zwischen Jesu Gewährung der Sündenvergebung und seinem Kreuzestod kommt im Markusevangelium unübersehbar zum Ausdruck, wenn der in Mk 2,7 erhobene Vorwurf der Gotteslästerung in der Verhörszene Mk 14,55–64 erneut laut wird und dort das definitive Todesurteil über Jesus zur Folge hat (14,63f).(Verweis bei Hofius: Die Gotteslästerung liegt darin, daß Jesus mit den Worten von Mk 14,62 die eschatologische Richtermacht Gottes und eben damit eine gottgleiche Hoheit und Würde für sich in Anspruch nimmt.) Damit ist im Gesamtzusammenhang des Evangeliums narrativ gesagt: Die Sündenvergebung, die Jesus in eigener Macht gewährt, ist die in seinem Kreuzestod begründete Vergebung, und als solche ist sie zugleich die Gabe des kommenden Weltrichters, der denen das eschatologische Heil bringt, die seine Vergebung empfangen haben und sich in der Nachfolge zu ihm als dem Gekreuzigten bekennen.“ (Verweis bei Hofius: Mk 8,34- 38; 13,26f.) Nach dem Zeugnis des Markusevangeliums –
so kann abschließend gesagt werden – eignet Jesus in analogieloser Weise göttliche é&uoia, [eksu sia Macht] weil in ihm Gott selbst „auf Erden“ gegenwärtig und er mithin in Person „die einmalige Epiphanie Gottes“, die rettende praesentia Dei unter den Menschen, ist.“325
„Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist’s eine Gotteskraft. “ (1 Kor 1,18)
„Dass über die Kreuzespredigt gefällte Urteil des >Glaubens< gründet in gar keiner Weise in einer Qualität oder Disposition des glaubenden Menschen, sondern verdankt sich einzig und allein dem Schöpferwort Gottes. Es ist mithin im strengen Sinn >voraussetzungslos<.“326
„Der Versöhner hat die stürzende Welt ins Leben zurückgelenkt, zurückgeliebt als hätte er die Liebe neu erfunden. Er nimmt mit auf eine Reise zum Anfang der Zukunft. Gott und Mensch gehen in Ewigkeit0 einander nicht mehr verloren.“ 327
„ Wo immer heute bei der Rede vom gekreuzigten Christus verschwiegen wird, „all Sünd’ hast du getragen, sonst müssten wir verzagen“, da herrscht eine falsche, eine verderbliche Lehre.“328
„ Von der ganzen Motivierung der Hoheit und Erlösungskraft der Kreuzestat, die Paulus so sehr unterstreicht, […] bleibt bei Bultmann überhaupt nichts mehr übrig.“329
Die Leugnung der Sündenvergebung durch Bultmann ist die nicht zu übertreffende Verleugnung des Sinns der Schöpfung Gottes und seines Heilsplans mit den Menschen, ist die Verleugnung des Evangeliums schlechthin. Siehe dazu wegen des engen Zusammenhangs auch die vorherigen Ausführungen zur Eschatologie im Kapitel 1.2.2
„Und die Dinge liegen so, daß der Begriff der Erlösung der Anschauung der Existentialisten vollkommen fremd ist, er ist ihnen unangemessen. Darum kann Bultmann trotz aller Anstrengungen innerhalb seiner existentialen Interpretation keinen Platz für das Heilsereignis finden. Das Heil, von dem er spricht, ist nicht das wahre Heil, es einfach ein Bestandteil der existentiellen Entscheidung des Menschen.“ 330
„Das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde. “ Ja, sein Blut, ganz real, nicht das Strafereignis und nicht das Wortgeschehen, für das man auch sagen kann: „Jesus von Nazareth“. Nein, das redet nicht, sondern sein Blut. Das ist das Zentrum der frohen Botschaft, die nicht den geringsten Abstrich duldet. Gott hat ja gerade den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, Gott hat durch ihn, Christus, die Welt mit sich versöhnt. Das ist die große Heilsrealität. Das allein ist der Sinn und Inhalt der fundamentalen Tatsache des Kreuzes Jesu. Alles andere stellt – ich kann es nicht anders sagen – so etwas wie einen irreführenden Mißbrauch derselben Worte dar. “ 331
„Gottes Versöhnungstat ist einmal und ein für allemal geschehen: in dem Ereignis des Kreuzestodes