Kritik der reinen Verleugnung. Volker Kulessa
eng begrenzten Vorverständnis, - vgl. Kapiteln 6.2 und 6.5 - ist das allerdings nur etwas für Unzurechnungsfähige.282
Otto Weber: „Jede Interpretation des >Werkes< Jesu Christi führt uns notwendig in eschatologische Dimensionen […] „Die Tatsache, daß uns, gewiss in verschiedener Form und Dichtigkeit, die gesamte neutestamentliche Botschaft als von der Eschatologie entgegentritt, ist unverkennbar“ […] Gottes Entscheidung über uns und die Welt, nämlich die Verkündigung des anbrechenden Reiches Gottes zu uns zu bringen […] >Gegen< jede nicht-eschatologische Dogmatik spricht laut, vernehmlich und im Duktus einhellig das >gesamte< neutestamentliche Zeugnis, das doch primär zu interpretieren ist […] Der Mensch, dem das Eschaton fremd bleibt, dessen Dasein verliert den Horizont. Verschlossen ist ihm die Zukunft. Er geht auf ein nichts zu, sein Dasein ist daher ohne Richtung. So lebt er schließlich einzig in der Gegenwart, in jenem dimensionslosen Durchgangspunkt, der Zeit von Zeit scheidet. Und daher lebt er ohne Verantwortung. Der rein auf seine Gegenwart gestellte Mensch hat keine Instanz, mit der er sich auseinanderzusetzen hätte. Von daher ist u.a, die Tatsache zu verstehen, daß auch die Meinungsbildung der Kontinuität und damit der das Gestern, das Morgen und darin das Heute übergreifende Kontrolle entzogen wird. Die Meinung [wird so] manipulierbar, kann gleichsam fabrikmäßig hergestellt, durch Propaganda oder >Sprachregelung< erzeugt und ausgelöscht werden; […] Der nichteschatologische Mensch verliert sein Menschsein als bewußt ihm widerfahrende Macht. Er wird bis in sein Personzentrum hinein der Fremdleitung ausgesetzt“ (Verweis auf Davis Riesmann, Die einsame Masse, dtsch. 1956) […] Der Verlust des Horizonts führt zur Unbegrenztheit der Macht, die
Gesellschaft oder Staat oder öffentliche Meinung auf den Menschen ausüben. “283
Otto Weber beschreibt hier nicht nur die negativen Folgen des nicht-eschatologischen Menschen, wie ihn Bultmann in seinem Aufsatz sieht, sondern liefert hier zugleich schon 1961 eine, wie mir scheint, zutreffende Ursachenanalyse für manche untragbaren gesellschaftlichen Verhältnisse von heute.
„Gott selbst ist gegenwärtig – nicht nur ewig, wie er aller Zeit gegenwärtig ist, sondern in seiner Ewigkeit zeitlich im Akte der Epiphanie des Messias Jesus, aber auch in jedem Akte des Glaubens an diesen.“284
Künneth zu den größeren Zusammenhängen: „Solange der Angelpunkt und Wendepunkt aller christlichen Eschatologie, das Auferstehungsereignis, ausgeklammert bleibt [wie bei Bultmann], muss alles in Verwirrung geraten und das Ergebnis ist das Schlachtfeld der im Streit miteinander liegenden ungezählten Hypothesen. Steht jedoch die Auferstehungsmitte fest, dann wird einmal verständlich, daß sich das zentrale Interesse der Rückschau auf das schon eingetretene Osterereignis konzentriert, du sodann, daß der Akzent in gar keiner Weise mehr auf der Naherwartung der Parusie liegen kann, deren Zeitpunkt irrelevant geworden ist, da die elementare Entscheidung schon in der Auferweckung Jesu gefallen ist. Das, was noch kommt und erwartet werden muss, bringt jedoch keine neue Entscheidung, sondern stellt gleichsam ein Nachspiel des Ostergeschehens dar, in dem das sich in Vollkommenheit enthüllt, was sich in der Auferstehung prinzipiell und in Verborgenheit ereignet hat.
Wiederum erfährt hier nochmals die Schöpfungsrelation des „Sohnes“ ihr ausschlaggebendes Gewicht. Stellt die geschaffene Welt in der ursprünglichen Intention des Schöpfungsplanes Gottes einen christozentrischen Entwurf dar, das Angelegtsein der gesamten Kreatur im geheimen durch Christus auf Christus hin. (Kol 1,16f), dann ist das Geschick der Schöpfung abhängig vom Geschick des Sohnes. Dann reicht eine rein harmartiozentrische Deutung der Christologie (nur von Sünde und Urfall aus zu verstehen) nicht aus; denn die Schöpfungswelt ante lapsum (vor dem Fall) noch nicht an das Ziel gelangt, sondern ist auf den Kyrios hin ausgerichtet. Die Kreatur wartet schon in ihrer Grundstruktur nach auf die Auferstehung Jesus Christus, des Sohnes als dem Urmodell alles Seienden. So strebt die kreatürliche Welt post lapsum nicht nur nach der Aufhebung der Folgen des Unfalles, sondern auch nach der eschatologischen Sinnerfüllung der Schöpfungsanlage in der kommenden Christusherrschaft (Römer 8, 21ff). […] Die Parusie des Auferstandenen als eines unbestrittenen Triumphators ist die christologisch-eschatologisch notwendige Konsequenz der in der Auferstehung in Verborgenheit anhebenden Christokratie. “285
„Die Naherwartung ist […] im Neuen Testament eine Folge der Gewißheit, daß das kommende Reich in Christus schon da ist. “ 286
„Das Christentum steht und fällt mit der Überzeugung, daß Gottes Selbsterschließung in Christus in dem Sinne letztgültig ist, daß ihre Bedeutung für das Heil der Welt nicht durch irgendwelche anderen Ereignisse übertroffen werden wird. Das bedeutet nicht, daß es nach Christus nichts mehr zu hoffen gibt, sondern, daß alles, was es zu hoffen gibt, in Christus begründet ist. In diesem Sinne ist christliche Eschatologie christologisch bestimmt. […]
Wenn wir fragen, warum das Christusereignis letztgültig ist, muss die Antwort lauten, daß das Christusereignis die Erschließung und Erfüllung des uranfänglichen Willens des Schöpfers ist. Christus ist nicht ein absoluter Neubeginn in Gottes Geschichte mit seiner Schöpfung, sondern der entscheidende Schritt zur Erfüllung von Gottes ursprünglichem Willen, in Gemeinschaft mit der Schöpfung zu sein. […] Wenn das Eschaton die Vollendung des Willens Gottes des Schöpfers ist, in Gemeinschaft mit seiner versöhnten Schöpfung zu sein, dann kann der Ansatz zur Erfassung der Bedeutung des Eschaton nicht die Zeit, sondern nur Gott sein. Wie Gott der Grund alles geschaffenen Seienden ist, so ist Gott auch der Grund der Zeit der Welt und jedes Geschöpfs, indem er sie in ihrer Zeit sein lässt und sie zu Gottes eigener Zeit in die Gemeinschaft aufnimmt. “ 287
1.2.3 Die Verleugnung der Sündenvergebung
1.2.3.1 Bultmann
„Er ist das Opfer, dessen Blut unsere Sünde sühnt; er trägt stellvertretend die Sünde der Welt, und indem er die Strafe der Sünde, den Tod, übernimmt, befreit er uns vom Tod. Diese mythologische Interpretation, in der sich Opfervorstellungen und eine juristische Satisfaktionstheorie mischen, ist für uns nicht nachvollziehbar.“ 288
„Wie kann meine Schuld durch den Tod eines Schuldlosen (wenn man von einem solchen überhaupt sprechen darf) gesühnt werden? Welche primitiven Begriffe von Schuld und von Gerechtigkeit liegen solcher Vorstellung zugrunde? Welch primitiver Gottesbegriff? […] welch
primitive Mythologie, daß ein Mensch gewordenes Gotteswesen durch sein Blut die Sünden der Menschen sühnt!“289
Bultmann weiter:290 „Dem mythischen Weltbild entspricht:“ Sein Tod am Kreuz, den er wie ein Sünder erleidet, (2.Kor. 5,21; Röm. 8, 3) schafft Sühne für die Sünden der Menschen (Röm.3, 23-26; 4,25; 8,3; 2.Kor. 5,14 und 19; Joh. 1,29; 1.Joh. 2,2; usw.)
„Dem Mythischen Weltbild entspricht die Darstellung des Heilsgeschehens, das den eigentlichen Inhalt der neutestamentlichen Verkündigung bildet. “291
„Es ist nun keine Frage, daß das Neue Testament das Christusgeschehen als ein mythisches Geschehen vorstellt. “292
Bultmann darüber hinaus: „Eben deshalb (weil der Mensch Bultmanns Sünde nicht verstehen kann) kann er auch >die Lehre von der stellvertretenden Genugtuung durch den Tod Christi< nicht verstehen.
Bultmann in völliger Verkennung des Kreuzesgeschehens weiter: „Nicht weil es das Kreuz Christi ist, ist es das Heilsgeschehen, sondern weil es das Heilsereignis ist, ist es das Kreuz Christi. Abgesehen davon ist es das tragische Ende eines edlen Menschen“293
Bultmann: „Daß ein präexistentes Gotteswesen durch seinen Tod am Kreuz Erlösung schafft, ist aus diesem Grunde [weil gemäß Bultmann Gott nicht als Ursache gedacht werden kann] undenkbar und ist Mythologie. (vgl. km, I, s 15f).“294
[Nur] „Im Erklingen des Wortes werden Kreuz und Auferstehung Gegenwart, ereignet sich das eschatologische Jetzt.“295
1.2.3.2 Die