Kritik der reinen Verleugnung. Volker Kulessa

Kritik der reinen Verleugnung - Volker Kulessa


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ganz und gar und restlos nichts zu tun. “265

       „Beachtet man die Eigenart […] äonischen Denkens, dann ist es ein Irrtum, mit Rudolf Bultmann zu behaupten, die

       Naherwartung sei Bestandteil der mythischen Eschatologie der Bibel. “ 266

      „Der Augenblick der Verkündigung und das Gläubigwerden des Hörers sei das einzige Eschaton, das wir kennen, das eschatologische „Jetzt“ [nach Bultmann]. Diese Gedanken bedeuten wiederum eine Entleerung und Verkürzung des Neuen Testaments an entscheidender Stelle. In allen biblischen Büchern und in allen Ausprägungen des Kerygmas entspricht dem eschatologischen Jetzt im Leben Jesu, in der Gegenwart des Geistes, in der Tatsache der Verkündigung ein eschatologisches Ziel, das noch aussteht.“267

       „Es gibt k e i n e Eschatologie, die nicht ihrem Wesen nach „Mythologisch“ wäre. Eine „entmythologisierte“ Verkündigung wird eschatologielos sein. Eine Theologie, welche die Eschatologie ernst nimmt, wird das „Mythologische“ anders differenzieren und demgemäß differenzierter beurteilen müssen als es bei Bultmann geschieht. “268

      Rudolf Schnackenburg unmißverständlich gegen Bultmanns „mythische Eschatologie“ und gegen so viel Unwissenschaftlichkeit auf Seiten Bultmanns: „Hier hat wohl schon der Confessor eines eigenen Glaubensbekenntnisses den wissenschaftlichen Professor überwältigt; aber wir danken ihm wenigstens das eine, den ganzen Umfang des angeblich >mythischen Weltbildes< deutlich zu überblicken: Alle Artikel des christlichen Glaubensbekenntnisses sind nach Bultmann >mythologi- siert<. “269

      Gegen Bultmanns „Eschatologie“, siehe auch Kapitel 2, auch Kapitel 3 und Kapitel 13.

       „Nur wo es keine Hoffnung auf Erfüllung mehr gibt, gibt es Erinnerung an Verheißung als ein bloßes Märchen oder als an die historischen Umstände seiner Entstehung.“ 270

      „Die in Gott beschlossene Hoffnung kann nicht ärmer sein als die hier und jetzt in der Begegnung mit Gott geschenkte Gemeinschaft. Die Paradoxie des simul iustus et peccator muß aufgehoben werden zum iustus in re. Der Glaube muß zum Schauen werden. Wäre es anders, dann wäre Gott nicht Gott, seine Gnade wäre nicht Gnade, seine hier sich offenbarende Liebe wäre nicht Liebe. Das folgt nicht aus dem unersättlichen Begehren des Menschen nach „Mehr“, sondern aus der Größe der Gnade Gottes. Der Verzicht der Hoffnung auf dieses „Mehr“ rührt an diese Gnade, genauso wie ein Anspruch an Gott diese Gnade antastet. Eine Theologie, [wie die Bultmanns] die an der Grenze des Todes haltmacht und sich verbietet, etwas zu sagen über das, was jenseits dieser Grenze sein wird, hört da auf, wo Gott nicht haltmachen kann, nicht primär um unsertwillen, sondern um seinetwillen nicht. “271

      Auch Mundle nimmt ebenso unmissverständlich Stellung gegen Bultmann und schreibt dazu: „Eine Schriftauslegung, die in Christus den Mittelpunkt des neutestamentlichen Zeugnisses erblickt und von diesem Mittelpunkt aus alle Aussagen des neuen Testaments zu verstehen sucht, kann sich die Auseinandersetzung mit der neutestamentlichen Eschatologie nicht ganz so leicht machen wie R. Bultmann, für den die >mythische Eschatologie< durch die Tatsache erledigt ist, daß die Weltgeschichte weitergelaufen und die Parusie Christi nicht eingetroffen ist. “272

      „ Wir sind Gottes Kinder, aber es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden (Joh 3,1f). Dieses „simul“ macht die geheimnisvolle Spannung der neutestamentlichen Eschatologie aus. Was wird aus diesem „simul“, wenn Eschatologie auf die Möglichkeit eines neuen Existenzverständnisses reduziert […] wird. [wie das bei Bultmann geschieht] Ist hier das Selbstverständnis nicht auf dem Wege, zum entscheidenden hermeneutischen Prinzip erhoben zu werden?“273

      „Er selbst, er ganz persönlich, er, der uns ganz persönlich in seine uns bergende Gemeinschaft aufnimmt und uns persönlich begegnet. Können wir uns diese Gewißheit der ganz persönlichen Gemeinschaft Christi mit uns und unsere persönliche Verbundenheit mit ihm, in der Bultmann ein „pietistisches Mißverständnis des Offenbarers“ (Anmerkung bei Ellwein: Bultmann: „Das Johannesevangelium“, S 43) sieht, aus dem Zeugnis des Neuen Testaments wegdenken?“274

      „Wo Eschatologie nur noch „Entweltlichung“ im Sinne der Existenztheologie ist [wie bei Bultmann] haben wir es überhaupt nicht mehr mit Eschatologie zu tun, und der Ausdruck selbst ist dann sinnlos geworden. Dann handelt es sich wirklich um eine „Eschatologie ohne Hoffnung“ (Verweis auf H. Grass, Das eschatologische Problem der Gegenwart (Dank an P. Althaus, 1958, S. 64)“275

      „So ist es in der Tat: wo immer im Neue Testament vom Ende aller Dinge geredet wird, da sehen wir das „heilige Volk“ (1 Petr 2,9) an Schrecknissen, Leiden und Abgründen vorbeischreiten, als ob dies alles sie nicht aufhalten noch vom Wege abbringen könnte, dem Ziel entgegen, wo „der Seelen Seligkeit“ (1 Petr 1,9) als Preis dem Überwinder winkt. […] denn unter ihnen ist das Wort vom Anfang aller Dinge Gegenwart geworden. […] Damit sind sie selbst in den Lichtkreis der Offenbarung, in deren hellen Schein getreten. Offenbarung ist Ereignis „vom Himmel her (1 Petr 1,12), es nicht nur Mitte der geschichtlichen Zeit, sondern hier bricht etwas auf, das selbst den Engeln vorenthalten ist. Wenn darum die Christen vom „Ende aller Dinge“ reden, dann nicht, weil das Nichts seinen Abgrund öffnet, und der Kosmos im Feuer des Gerichts zu vergehen droht, sondern weil ein Ereignis von Gott her geschehen ist, in dem uns ein ewiges Erbe (1 Petr 1,4) gesetzt wurde, die „Auferstehung Jesu von den Toten“, die eben damit zugleich für alle, die an ihn glauben, zur „lebendigen Hoffnung“ (1 Petr 1,3) geworden ist. Ende aller Zeiten bedeutet also, daß wir in der Fülle der Zeit leben: die Geschichte der Propheten sind gerechtfertigt, Gott hat sein Wort eingelöst, die Vergebung der Sünden ist an uns zur Realität geworden (1 Petr 1,18; 2,24; 3,18) und die Lebenden und die Toten vernehmen das richtende und rettende Evangelium.276

       „Unauflöslich ist im Evangelium das Jenseitige mit dem Diesseitigen verbunden, das Eschatologische mit dem Historischen, die Vergebung der Sünden mit dem kommenden, ewigen Reich Gottes. […] Gott schafft sich selbst, durch Vergebung der Sünden, ein heiliges Volk für sein Reich. Für den Menschen bedeutet die Gnade und das Reich eines, nämlich Heil. Und das Heil steht und fällt mit dem Auferstehungswunder. “ 277

       „Aus der Fundamentalbedeutung der Auferstehung Jesu muss auch die eschatologische Folgerung gezogen werden. Nun wird deutlich, daß die wesenhafte Eschatologie des urchristlichen Kerygmas in der Auferstehung Jesu ihre Begründung findet und nicht von der Naherwartung der Parusie abhängt und auch nicht durch die

       Parusieverzögerung „erledigt“ wird. […] Der von den Toten aufweckte und zum Herrn erhöhte Jesus von Nazareth ist identisch mit dem Anfang der Endzeit, ist die radikale Welten- und Zeitenwende, der Umbruch der Äonen, also selbst schlechthin eschatologisches Ereignis. “ 278

       „In ihm ist etwas im Werden, das noch nicht ist, aber kommt, das unmittelbar vor der Tür steht, ein Heute das morgen kein Gestern sein wird. […] Es ist kein anderer Christus, den wir in dem Auferstandenen vor uns haben, als wie er mitten unter uns wandelte. Der Erhöhte reicht noch immer bis in diese Tiefe und diese Tiefe hat an jedem Punkt ihres Weges die identität mit dem, der den Tod hinter sich gelassen hat. “279

       Eschatologie heißt nun: in Jesus Christus, und zwar dem Auferstandenen, ist der >letzte Mensch< (vgl. 1 Kor 15, 45) erschienen. Zwischen dem ersten und dem letzten Menschen schwingt die Menschheitsgeschichte, zwischen diesen beiden Polen liegt unser aller Existenz. “280

       „Naherwartung ist die Erwartung des Endes dieses zeitlichen und in seiner Zeitlichkeit vergänglichen >Äon<, also die Erwartung des Zeitendes im Anbruch des neuen Äon, der in Ewigkeit bleibt. […] Naherwartung ist, […] auf die Geburt der neuen Welt ausgerichtet. “281

      Otto Weber, den ich nun in einer längeren Passage zitieren möchte, beschreibt in seiner Dogmatik eindrucksvoll die Unverzichtbarkeit eschatologischer Vorstellungen für das Christsein und den christlichen


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