Kritik der reinen Verleugnung. Volker Kulessa

Kritik der reinen Verleugnung - Volker Kulessa


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1.2.2.1 Bultmann

       „Die mythische Eschatologie ist im Grunde durch die einfache Tatsache erledigt, daß Christi Parusie nicht, wie das Neue Testament erwartet, alsbald stattgefunden hat, sondern die Weltgeschichte weiterlief und wie jeder Zurechnungsfähige überzeugt ist, -- weiterlaufen wird.“ 226

      „Dem mythischen Weltbild entspricht“ 1 Thess. 4,15227 und hat sich damit erledigt:

       „Erledigt ist die Erwartung des mit den Wolken des Himmels kommenden >Menschensohns< und des Entrafftwerdens der Gläubigen in die Luft, ihm entgegen.

       (1 Thess 4,15ff)228

      „die korrelative Vorstellung von der eigenen Versetzung in eine himmlische Lichtwelt, in der das Selbst himmlische Gewänder, einen pneumatischen Leib erhalten soll, ist für ihn [den modernen Menschen] nichtssagend, -- nicht nur rational unvorstellbar. “229

       „Eschatologische Existenz ist entweltlichte Existenz innerhalb der Welt. “ 230

      „Die Eschatologie […] fragt überhaupt nicht nach dem Sinn und Ziel der Weltgeschichte, […] sondern sie fragt nach dem Sinn und Ziel je meiner Geschichte. […] Und sieht den Sinn erfüllt und das Ziel erreicht, […] jeweils, wo das Wort des Kerygmas begegnet. “231

       „Damit Jesus als eschatologische Phänomen verstanden werde […] bedarf es nur dessen, daß das Daß seines Gekommenseins verkündigt werde.“ 232

       „Auch Bultmann hat seine präsentisch-existentielle Eschatologie schon frühzeitig entwickelt. Bereits in seinem Jesusbuch (1926) sieht er den Sinn der Reich-Gottesverkündigung Jesu allein darin, „daß der Mensch dies als sein eigentliches Wesen erfasse, in der Entscheidung zu stehen. Er vollzieht dort auch bereits die Umkehrung dieses Satzes, daß das Stehen in der Entscheidung das Eschatologische sei. “233

       1.2.2.2 Das verleugnete Wort des NT

      „Denn er selbst, der Herr, wird, wenn der Befehl ertönt, wenn die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes erschallen, herabkommen vom Himmel, und zuerst werden die Toten, die in Christus gestorben sind, auferstehen. Danach werden wir, die wir leben und übrigbleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden auf den Wolken in die Luft, dem Herrn entgegen; und so werden wir bei dem Herrn sein allezeit. “ (1 Thess 4,16ff) „Denn das sagen wir euch mit einem Wort des Herrn, dass wir, die wir leben und übrig bleiben bis zur Ankunft des Herrn, denen nicht zuvorkommen werden, die entschlafen sind.“ (Mt 16,28; 24,30-31; 1.Kor 15,51-52; Joh 17,24)

       1.2.2.3 Gegen die Verleugnung der Parusie

      Bultmann behauptet, hier erneut völlig unbegründet und gegen das unübersehbare Zeugnis des gesamten Neuen Testaments, -- dort wird fast 300 Mal von der Wiederkunft des Herrn Jesus gesprochen --234 zentrale neutestamentliche Substanz, nämlich die Eschatologie und Parusie, ohne die Christentum gar nicht denkbar ist, sei erledigt.235

      „Die Wiederkunft Jesu Christi ist das Herzstück christlichen Glaubens. […] Es geht […] im Glauben an die Wiederkunft um die Vollendung, um das Ziel des Glaubens. […] Es gilt dagegen zu bedenken, daß das gesamte Denken Jesu von Parusievorstellungen durchtränkt ist. (Verweis auf Oepke ThWNT V, 863.: […] Die Lehre von der Wiederkunft Christi hängt […] mit den fundamentalen Artikeln des christlichen Glaubens unauflöslich zusammen. Sie ist somit ein notwendiger Bestandteil christlicher Verkündigung.“236

      Wie zurechnungsfähig man hier, und an anderen Stellen, Bultmann nehmen muss, sei einmal dahingestellt, und soll hier nicht weiter behandelt werden, obwohl seine unerhörten Einlassungen in diesem Aufsatz reichlich Anlass dazu bieten würden, sich näher damit auseinanderzusetzen.

      Hengel nennt das: Die scheinbar wissenschaftliche, in Wirklichkeit oft nur primitive >entmythologisierende< Abqualifikation derartiger Aussagen [der Substanz der christlichen Heilsbotschaft über Jesus Christus und die Liebe Gottes] könnte zuweilen auch ein Zeichen von geistiger Simplizität und Bequemlichkeit sein. “237

      Karl Barth fragt sich: „ob man im gegebenen Fall bereit sein will, sich in seiner Borniertheit wenigstens ein bisschen erschüttern und ihre Grenzen gelegentlich erweitern zu lassen. […] Ich denke: ohne jene Bereitschaft kann ich irgendeinen anderen, irgendeinen Text, nicht nur nicht ganz, sondern gar nicht echt und recht, und also überhaupt nicht verstehen. [….] Ist die Lehre vom n o r m a t i v e n, gerade mit dem Heiligen Geist konkurrierenden, gerade ihm Schranken setzenden >Vorverständnis<,die der Hermeneutik Bultmanns zugrunde liegt, [vgl. Kapitel 6.2 und 6.5] nicht der Tod >a l l e s< echten und rechten Verstehens?“238

      Nur da wo der Heilige Geist ist, ist die ganze Wahrheit. Und es ist immer wieder in Erinnerung zu rufen: Das Zeugnis hat sein Fundament im Wort Gottes, nirgends anders, nicht in mir, nicht in der Philosophie.

      Und Konrad Hammann schreibt: „Ähnlich wie Asmussen lehnte Hans Joachim Iwand den Vortrag [Neues Testament und Mythologie] Bultmanns rundweg als <Erscheinung von Senilität> ab.“239

       „Die Krise der Rationalität sind nicht die technischen Produkte, die sie auch hervorbringt, ihre Krise ist vielmehr die Zerstörung des Stoffs, der ihr den Raum der Nachdenklichkeit auftut. Ihre Krise ist die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen im Wahn, sie reproduzieren zu können. Ihre Krise ist die Kultur der Kritik, die sie an die Stelle der Kultur der Rezeption setzt.“ 240

      Felix Flückiger schreibt, dass bei Bultmann sich „das Heilsgeschehen reduziert auf den je und je sich ereignenden Akt der Gottesbegegnung in der Existenz. Indem in der Predigt das neue Seinsverständnis der Existenz „zur Sprache kommt“, d.h. offenbar wird, wird auch in andern Menschen dieses Seinsverständnis wachgerufen. Das ALLEIN ist [bei Bultmann] das wirkliche Heilsergeignis, bzw. das was Bultmann das „eschatologisches Ereignis nennt. “241

      „Die mit der Parusie Jesu Christi verbundene Heilsvorstellung bedeutet für die Glaubenden, daß sie die mit der „Gerechtigkeit“ [im Original in Griechisch] verbürgte „Umkehr“ [im Original in Griechisch] empfangen und in bleibender Gemeinschaft mit Christus des ewigen Lebens bei Gott teilhaftig werden. “242

       „Für den christlichen Glauben ist die Wiederkunft Christi der Kern aller eschatologischen Erwartung. Wie die Eschatologie insgesamt, so kann auch die Wiederkunft Jesu als eine durchgehende Dimension des Neuen Testaments bezeichnet werden.“ 243

      „Die Erwartung der baldigen, persönlichen und sichtbaren Ankunft […] von Jesus Christus, dem auferstandenen und erhöhten Herrn der Kirche, durchzieht das gesamte Neue Testament.“ […] Diese Zukunftserwartung hat ihre Wurzeln in Leben und Lehre Jesu; sie ist keine nachträgliche Konstruktion der Gemeinde. Jesus selbst sprach wiederholt vom Kommen des Menschensohns und vom Ende der Welt(zeit);“244 (Anmerkung bei Pöhler)245

       „Der Übergang aus dem irdischen Dasein in die Ewigkeit ist ein Vorgang, der für alle, die davon betroffen werden, ein Sterben bedeutet. Darum bedeutet die Parusie Christi die Aufhebung der Bedingungen unserer menschlichen Existenz und die Offenbarung einer neuen Ordnung der Dinge, die das Ende der irdischen Zeit und Geschichte bedeutet. Dieser >Weltuntergang<, d.h. der Übergang in die neue Ordnung der Dinge, tritt für den Einzelnen im Moment des Sterbens ein. […] die Auferstehung bedeutet das Wiedererwecktwerden in einer anderen Welt. Die Parusie Christi aber bedeutet den Untergang der irdischen Welt als Ganzes, und dieser Untergang ist die Voraussetzung für das Wirklichwerden einer neuen Welt, „eines neuen Himmels und einer neuen Erde, in welcher Gerechtigkeit wohnet (2 Petrus 3,13).“ 246

       „Weit über das Vorkommen der Vokabel hinaus ist das gesamte Denken Jesu von Parusievorstellungen durchtränkt, und zwar gleichmäßig in allen Schichten der synoptischen Überlieferung…. Der Parusiegedanke gehört nach allem, was wir


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