Kritik der reinen Verleugnung. Volker Kulessa

Kritik der reinen Verleugnung - Volker Kulessa


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diesen Menschen, dem das „heilige Ereignis“ „ausschließlich im Bewusstsein ereignet“, den „eingebildeten“ Erlösten nennen?

       „Nicht der Mensch selbst kann sich retten und befreien, nicht die Weltentwicklung, auch wenn sie auf den Gipfelpunkt der Technik und des Wohlstandes führt, ist in der Lage, die Erlösung, die Versöhnung, den Frieden des Herzens zu schenken. Vielmehr sagt der Gekreuzigte: Es ist durch mich am Kreuz schon alles, aber auch alles für dich geschehen. Und sonst: sola gratia – allein aus Gnaden, ohne unser Verdienst, du brauchst dir nur deine leeren Hände füllen lassen, dieses Versöhntsein anzunehmen, die Rettung dir gefallen zu lassen. “ 305

       „Nein, die Form, die Gott geschaffen hat, um diese seine Versöhnung fassbar zu machen, ist nicht der Mensch, nicht der Mensch in seinem Neu-Geworden-Sein, ist nicht die Gemeinde […] die Form, in der Gott selbst diese seine Offenbarung gefasst hat, ist der Logos = Jesus Christus.

       Das heißt Offenbarung und das bedeutet, daß im Logos nun die >großen Taten Gottes< ihren Weg machen durch die Welt.“ 306

       „Versöhnung ist Gottes >Grenzüberschreitung< zum Menschen hin – ein triumphaler Souveränitätsakt Gottes, der in der Existenz des Menschen Jesu stattgefunden hat.“ 307

      „Wir erschrecken … über die Selbstverständlichkeit, mit welcher sich Bultmann bei der Deutung des Kreuzes Christi über die kirchliche Versöhnungslehre (von Anselm bis Luther) hinwegsetzt und sich die flachen Gegenargumente (von den Sozinianern bis Ritschl) zu eigen macht … Seine positiven Aussagen über das Geschehen des Karfreitags sind … dürftig und unbestimmt“, und offenbar soll „die Entstehung des Osterglaubens der Jünger als ein Surrogat für das Faktum der Auferstehung Christi von den Toten fungieren.“308

       „Der Mensch der Moderne ist eine Art höchstes, allein sich selbst setzendes und wollendes, einsam selbstherrliches absolutes Wesen. Der aufgeklärte Mensch, der sich nach Gott und nach Kant seines Verstandes ohne der Leitung eines anderen bedient, macht von seiner Autonomie immer verbissener Gebrauch und gerät als absoluter Mensch schließlich zum Götzen seiner selbst. Auf diese Weise aber pervertiert er seine Gottesebenbildlichkeit. “309 „Bin >ich< dann nicht selber >das Heilige<, der allein Maßgebliche, die überlegene, unbezweifelbare Autorität? Menschlicher Anmaßung, Selbstgefälligkeit und Selbstherrlichkeit zum Opfer gefallen ist dann auch irgendeine

      Verbindlichkeit der Heiligen Schrift als der Bezeugung des Wortes Gottes, als der Hüterin dessen, was allein >Wahrheit des Evangeliums< (Gal 2,5) heißen darf, die Unhintergehbarkeit eines Textes, aus dem uns, wann und wie Gott es will, der Geist der Auferstehung Christi entgegen- und zuvorkommt. Der Bibel soll dann der Heilige Geist, der Geist Gottes, ausgetrieben werden. […] Übrig bleibt […] die Selbstvergottung und Anrufung des Menschen. […] [Genau diese aber] ist zum Schweigen zu bringen.“310

       „Kurz gesagt, im >pro me< ergreife ich meine praedestinatio salutis, aber eben die prae-destinatio.[…] Seit Ritschl aber wird daraus ein die Theologie unter die Wertwissenschaften einreihendes Methodenprinzip. Und >das< ist die tiefe Unfruchtbarkeit der heute unsere Fakultäten hier anfressenden methodisch exakten und geistig trostlosen Bultmannschen Schriftstellerei.“311

      P. Althaus kleidet sein Urteil in eine rhetorische Frage: „Will B. mit seinen paar Sätzen über die Unmöglichkeit der Lehre von der stellvertretenden Genugtuung durch den Tod Christ […] den Tiefsinn der biblischen Kreuzestheologie […]einfach abtun?“312

       „Es ist offenkundig, dass Bultmann dieses Urteil nicht durch Schriftauslegung gewonnen haben kann. Es ist vielmehr ein „dogmatisch“ vorgefasstes Urteil über Gottes Wort, aber ohne Gottes Wort und gegen Gottes Wort. Weder für die Tat am Kreuz noch für das Wort vom Kreuz gibt es eine Analogie. Daher fehlt jeder Maßstab und jedes Kriterium, das Kreuzesgeschehen von außen zu beurteilen. Bultmanns Urteil beruht auf vorgefasster Ablehnung.“ 313

      „Die soteriologische Deutung des Todes Jesu im urchristlichen Kerygma (vgl. z.B. 1 K o r 1 5, 3 b - 5; Röm 4,25) entspringt nicht erst dem Interpretationswillen der nachösterlichen Gemeinde, die sich von Jes 43,3-4; 52,13-53,12 und der alttestamentlichen Sühnetradition her zu verdeutlichen suchte, was am Kreuz auf Golgatha geschah, sondern sie entspricht dem messianischen Sendungs- und Opferwillen Jesu, den er seinen Jüngern schon vor Ostern kundgetan hat.“314

       „Und darum danken wir auch Gott ohne Unterlass dafür, dass ihr das Wort der göttlichen Predigt, das ihr von uns empfangen habt, nicht als Menschenwort aufgenommen habt, sondern als das, was es in Wahrheit ist, als Gottes Wort, das in euch wirkt, die ihr glaubt.“ (1 Thess 2,13)

      „Bei Bultmann entsteht das Problem, daß sich theologisch wohl eine formale Struktur des Wortes Gottes als individueller Anrede aufzeigen, jedoch kein konkreter Inhalt desselben angeben läßt. Auf der Ebene der theologischen Theoriebildung bleibt das behauptete Wort Gottes inhaltsleer. Bultmann bestimmt das Wort Gottes zwar näher als das Wort bzw. das Kerygma Christi. Da jedoch der historische Jesus und seine Verkündigung nicht der Inhalt, sondern die Voraussetzung des neutestamentlichen Kerygmas sind, reduziert sich dessen Inhalt auf das bloße Daß des Gekommenseins Christi. Sein Inhalt bleibt ebenso abstrakt wie derjenige der Verkündigung des johanneischen Christus. Diese offenbart nach Bultmanns Interpretation lediglich, daß er der Offenbarer ist. Was dies aber besagen soll, vermag nur der Einzelne je für sich zu sagen, wenn er sich im Ereignis der Verkündigung persönlich angeredet weiß. Insofern gilt - um mit Kierkegaard zu sprechen - für Bultmanns Theologie und ihren Begriff des Wortes Gottes, daß die Subjektivität die Wahrheit ist.“315 Was hat dieses Gerede Bultmanns nun noch mit dem Neuen Testament zu tun? Ich erkenne bei Bultmann nichts, aber wirklich gar nichts mehr vom Neuen Testament. Stattdessen Entleerung und Umdeutung neutestamentlicher Begriffe und Inhalte.

      „Die menschliche Daseinswirklichkeit ist nun einmal nach dem Zeugnis der Offenbarungsquellen nicht so geplant, daß ihre Tiefen in einem aktualistisch gesehenen Nacheinander von Akten der Selbstverwirklichung erschöpften. Sie existiert nicht dem Entwurf Gottes entsprechend, wenn sie als bloße Folge von bewussten Entscheidungen zu verstehen wäre.316 Dem Heilsplan als dessen Grundlegung einbeschlossenen Erlösungswerk, das die wahre Inkarnation des Gottessohnes, seine Passion, seine Auferstehung und die Geistmitteilung umfasst, ist ein höheres Ziel zugewiesen, als den Menschen nur zur Glaubensantwort und zu einer Kette von psychologisch daran anschließenden Willens- und Gemütsbewegungen zu veranlassen. […] Vielmehr strebt alles hin auf die Umschaffung des Menschen zur neuen Kreatur (2 Kor 5,17), zur Anteilnahme am Erbe der Heiligen im Licht (Kol 1,13), zur Teilhabe an der göttlichen Natur (2 Petr 1,4).“317

      „Nicht um seiner selbst, sondern um ihretwillen, um des Menschen an sich und als solchen willen ist er ja erwählt, nicht für sich, sondern für den Menschen an sich und als solchen verteidigt er ja die Güte der göttlichen Schöpfung und Bestimmung des Menschen. Die Abwehr und Besiegung des Satans, die Dieser, die der erwählte Mensch für alle «in ihm» Erwählten, die Kinder und Genossen Adams als die von Gott Geliebten, zu vollziehen bestimmt ist, muss darin bestehen, daß er die Gerechtigkeit Gottes an ihrer Stelle gegen sich selbst ihren Lauf nehmen lasse. Darum ist er «das geschlachtete Lamm» u. zw. von Anbeginn der Welt her. Darum ist der gekreuzigte Jesus das «Ebenbild des unsichtbaren Gottes.“318

       „Um der Heilswirksamkeit des Sühnetodes willen war die Inkarnation des Präexistenten notwendig. Präexistenz und Inkarnation sind von Anfang an auf den Sühnetod bezogen. Sie erhalten von diesem her ihre Heilsbedeutung. Umgekehrt besäße aber auch der Sühnetod keine Heilsbedeutung, wenn er nicht der Tod des menschgewordenen Gottessohnes wäre, den Gott zur Sühne in die von der Sünde und dem Tod beherrschte Welt gesandt hat, um sie in ihm mit sich selbst zu versöhnen (2. Kor 5,19). Um des Ziels der Versöhnung willen musste diese der Sünde wegen in ihrem Vollzug ein sühnendes Handeln sein. “319

       „Sämtliche Begriffe, wie Kerygma, Predigt, Jesus, Christus und vor allem auch >Geschichte< empfangen


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