Corona - großer Irrtum, große Chance. Christian Knittl
Spanische Grippe ist ohne den Hintergrund des ersten Weltkriegs mit Hungersnöten an allen Ecken der Erde nicht denkbar. Die höchsten Opferzahlen fand die Pandemie in Asien, wobei Indien mit rund 20 Millionen Menschen die meisten Opfer verzeichnete. Indien war einerseits in die Kampfhandlungen des Ersten Weltkriegs involviert, zum anderen herrschte zur Zeit des Pandemieausbruchs gerade eine Hungersnot. Ebenfalls stark betroffen war China, dessen Bevölkerung unter den Bürgerkriegen von 1919 – 1926 litt. In Russland ging der Erste Weltkrieg direkt in einen Bürgerkrieg über. Nachdem erst die Zaren abgesetzt wurden, folgte 1917 – 1922 ein erbitterter Krieg zwischen den weißen Garden und den roten Garden um den Kommunisten Lenin. Deutschland war kurz davor, den Krieg zu verlieren, und in der Zivilbevölkerung herrschte zur Zeit des Ausbruchs der Spanischen Grippe infolge der Blockade der Mittelmächte eine massive Hungersnot; schätzungsweise eine halbe Million Deutsche starben an Hunger. Der Zusammenhang zwischen der um ein Vielfaches höheren Durchschlagskraft einer Pandemie und dem Hintergrund von Krieg und Hungersnöten zeigt sich deutlich in der unterschiedlichen Sterblichkeit:
• in hoch industrialisierten Ländern ohne Kriegsgeschehen: ca. 0,5 %,
• in wirtschaftlich weniger entwickelten Ländern: ca. 1 – 3 %,
• bei Krieg und Hungersnöten wie in Indien: ca. 5 %.
Der Weltkrieg verstreute die Erreger auch in die Heimatländer der Soldaten, die von den Kriegshandlungen eigentlich nicht unmittelbar betroffen waren. In den USA herrschten weder Krieg noch Nahrungsmittelknappheit und doch erwiesen sich die Infektionsraten und die Sterblichkeit an der Spanischen Grippe als außergewöhnlich hoch. Sehen Sie diesbezüglich einen interessanten Bericht, unter welchen Bedingungen Patienten in der USA damals behandelt wurden.
Hygienische Bedingungen bei der Behandlung in Lazaretten in den USA bei der zweiten Grippewelle im Herbst 1918
„Die Bedingungen, unter denen die Erkrankten gepflegt wurden, können als typisch für zahllose andere Lazarette und Krankenhäuser weltweit gelten, an denen die Spanische Grippe wütete. Obwohl die USA weniger unter den Folgen des Ersten Weltkrieges litten als die europäischen Staaten, fehlte es an Pflegepersonal. Man nutzte jeden verfügbaren Raum, um Krankenbetten aufzustellen. Frisches Bettzeug war Mangelware, sodass die Kranken in schmutzigen und blutbefleckten Laken lagen. Die Toten stapelten sich in den Gängen der Leichenhalle, und man kam mit ihrer Beerdigung kaum nach.“
Quelle: Wikipedia: Spanische Grippe
Wie bei Pest und Cholera erhöhte das Fehlen grundlegender Hygienestandards auch die Gefährlichkeit des Virus der Spanischen Grippe.
Das Virus war nur zusammen mit bakteriellen Infekten tödlich
Bei den Recherchen stieß ich darauf, dass es zu den meisten Todesfällen nicht direkt durch das Virus kam, sondern durch zusätzliche, bakterielle Infekte, die schließlich zu einer Lungenentzündung führten. Schon von anderen Viren, die alleine nicht tödlich sind, war mir dieser Zusammenhang bekannt:
Ein wichtiger Aspekt, den wir auch bei SARS-CoV-2 wiederfinden werden.
Fazit: ► Ohne Krieg, Hunger und Hygienemängel wäre die Spanische Grippe namenlos und unscheinbar geblieben. Der Grippevirus traf zu Zeiten der Weltkriege auf viele geschwächte, desillusionierte und unterernährte Menschen. Erneut zeigt sich: Der Erreger ist zweitrangig, erst die Rahmenbedingungen und die sich daraus ergebende Immunlage der Bevölkerung machen ihn gefährlich.
Interessant ist, dass der Virus selbst unter den für ihn günstigen Rahmenbedingungen der Weltkriege nicht alleine zum Tode führte, sondern weiterer Infekte mit Bakterien als Helfershelfer bedurfte. Damit relativiert sich der Schrecken der „Virusmutter der Pandemien“ der Nachkriegszeit, der bis heute als Hauptargument dient, um Ängste vor harmlos verlaufenden Pandemien unnötig hochzuhalten. ◄
Die Asiatische Grippe von 1957 bis 1958 – in Europa im Nachhinein relativ harmlos
Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Asiatische Grippe die erste nennenswerte, größere Pandemie. Wie der Name schon sagt, fand sie hauptsächlich in Asien statt. Die Grippe entwickelte sich vermutlich von China ausgehend und forderte geschätzt 1 bis 2 Millionen Opfer, vor allem in China, Asien, Afrika, Südamerika und dem Orient. In Europa – zum ersten Mal ohne Krieg, Nahrungsmittelknappheit, Hygieneprobleme, Wasser/Abwasser-Verunreinigung – traten nur vereinzelte Herde auf.
Mediale Berichterstattung mit kriegsähnlicher Rhetorik auf Basis belangloser Fallzahlen
Der Influenzavirus hieß A/H2N2 und war ein Verwandter der Spanischen Grippe. In Europa hatte man vermutlich noch die zahlreichen Toten aus der Spanischen Grippe im Kopf. So machte eher der Wirbel um vermeintliche Gefahren und eine weit über das Ziel hinausschießende Rhetorik in den Medien die Asiatische Grippe zu einer gefährlichen Pandemie als die tatsächlichen Fallzahlen. Ein Artikel im Spiegel aus der damaligen Zeit veranschaulicht dies und erinnert leider an manche Berichterstattung in Verbindung mit COVID-19.
Der Artikel im Spiegel vom 03.07.1957: „Viren aus Singapur“ beginnt mit dramatischer Rhetorik:
Die Zentrale der "Weltgesundheitsorganisation" (WHO) in Genf gleicht in diesen Tagen mehr denn je dem Hauptquartier einer kriegführenden Macht. Auf wandgroßen Weltkarten kennzeichnen farbige Fähnchen den Verlauf der Hauptkampflinie, und Fernschreiber übermitteln beinahe pausenlos Nachrichten von der Front. Der Genfer Gesundheits-Generalstab, in dem mehr als achtzig Staaten der westlichen und östlichen Welt vertreten sind, dirigiert einen weltweiten Abwehrkampf gegen einen neuen unsichtbaren Gegner: den Erreger der "Asiatischen Grippe"…
Kurz darauf finden sich im Artikel absolut harmlose Sterberaten:
In einem Monat erkrankten in der fernöstlichen britischen Kronkolonie mehr als eine halbe Million Menschen, 44 starben. [Sterberate 0,009 %] Im Mai rollte die Grippewelle mit voller Wucht weiter, verzweigte sich und überdeckte fast sämtliche Staaten Südostasiens:
¤ Auf Formosa infizierten sich rund zwei Millionen Menschen, 66 starben. [Sterberate 0,003 %]
¤ In Japan wurden etwa zweieinhalb Millionen Grippefälle registriert.
¤ Die Gesundheitsbehörden der Philippinen-Republik meldeten mehr als 1.600.000 Fälle und 1200 Tote. [Sterberate 0,08 %]
Die Sterberaten waren selbst in Asien mit < 0,1 % absolut harmlos. Weshalb der Reporter mit kriegsähnlicher Rhetorik um sich warf, ist nicht nachvollziehbar. Problematisch ist, wenn Medien nackte Zahlen in den Raum werfen, ohne sie in Bezug zu setzen, und sie gleichzeitig mit großer Dramatik aufladen. Der Gehalt an gesundem Menschenverstand in dieser Form der Berichterstattung ist vergleichbar mit: „Der Himmel öffnete seine Höllenschlunde, es folgte zehn Minuten lang ein leichter Nieselregen und wir mussten alle große Angst haben, jämmerlich zu ertrinken!“ Ähnliches finden wir bei COVID-19. Als das Corona-Gewitter aufzog, war anfangs noch nicht klar, wie schlimm es werden könnte. Doch selbst als die Fallzahlen zunehmend harmloser wurden, hat man sie einfach weiterhin mit der emotionalen Ladung einer weltumspannenden Gefahr transportiert – häufig gewürzt mit dem Schreckensszenario der Spanischen Grippe.
Im weiteren Verlauf des Spiegel-Artikels: Ein neuartiger Virus
Eine Erklärung für dieses Rätsel fanden schließlich die Grippeforscher, als es ihnen gelang, den Erreger der "Asiatischen Grippe" - ein Virus – zum ersten Mal zu isolieren. Sie stellten fest, dass der Erreger zwar einem der bis dahin erkannten und in drei Gruppen unterteilten Grippe-Erreger ähnelt: dem Grippe-Virus Typ A. Aber offensichtlich gehörte der Erreger der Asiatischen Grippe einer neuen, unbekannten Untergruppe