9 Spannungsromane für den Urlaub: Ferien Sammelband 9017. Frank Rehfeld
warf seiner hübschen blonden Beifahrerin einen Blick zu. Sheila trug die Kopfhörer ihres Walkmans über dem Seidenhaar. Wenn sie ihren Mozart hörte, hatte sie kein Ohr für die Welt der Gegenwart. Der Schilderwald des Truck-Stopps musste ihr allerdings klarmachen, dass jetzt erst mal die Geschmacksnerven an der Reihe waren. Ohne das Dieseldröhnen und ohne Mozart in den Ohren hätte Sheila das Rudel hungriger Wölfe knurren gehört — genau da, wo sich Barrys Magen befand.
An den Reklametafeln für Hamburger, Bier und Zigaretten vorbei lenkte Barry den dunkelgrünen Mack Conventional auf den Parkplatz und rangierte ihn auf die freie Stellfläche neben einem weißen Freightliner Cabover.
Sheila nahm alles mit zufriedener Miene zur Kenntnis, kostete aber ihr Kammerkonzert bis zur letzten Minute aus.
Als Barry den Zündschlüssel abzog, schlenderten die beiden Gents vor die Motorhaube. Von links. Smarte Typen in dunkelblauen Anzügen.
Weiße Hemden, Schlipse, Sonnenbrillen. Die reinsten Schreibtischtäter. So sahen sie jedenfalls aus. Wo sie gelauert hatten, woher sie kamen - der Teufel mochte es wissen. Nur über eines war Barry Deegan sich im Klaren: Sie wollten was von ihm. In der Adresse hatten sie sich nicht geirrt. Garantiert nicht.
Niemand wusste das besser als er selbst.
Barry verharrte in der Seitwärtsbewegung, noch hinter dem Lenkrad. Den Zündschlüssel hatte er in der Hand. Aus einem Impuls heraus wandte er sich Sheila zu. Erstaunt nahm sie den Schlüssel, hielt ihn in der Linken und starrte ihn an wie einen Fremdkörper.
Mit der rechten Hand zog sie die Kopfhörer herunter. Ihr Blick wanderte zu Barry und dann zu den beiden Männern vorn links, vor der Motorhaube.
Sheila konnte nur ihre Oberkörper sehen.
Sie hatten Metallschilder auf die Brusttaschen ihrer Jacketts geklemmt.
„Das haben wir gleich“, sagte Barry grimmig. Ohne eine Antwort abzuwarten, stieß er die Tür auf, schwang sich vom Sitz und stieg abwärts.
„Barry!“, rief Sheila verstört. „Was hat das zu bedeuten? Was in aller Welt...“
Er lachte nur.
Es war ein raues Lachen.
Und Sheila ahnte nicht, dass es das letzte war, was sie für lange Zeit von ihm hören würde. Voller Besorgnis beobachtete sie ihn, wie er auf die Polizeibeamten zuging. Sollte sie aussteigen und sich einmischen? Alles in ihr drängte danach. Doch ebenso stark war ihr Respekt vor Barry. Was er da zu erledigen hatte, war seine Sache. Männersache. Wenn er das Wort Männersache benutzte, dann wertete er damit niemanden ab. Am allerwenigsten eine Frau und erst recht nicht sie, Sheila North.
Barry Deegan gehörte sozusagen zur alten Schule. Er war ein Mann, der seinen Vater und seinen Großvater verehrte.
Und Barry selbst war mit seinen 38 Jahren fit wie ein junger Grizzly.
Dabei hatte er die Hölle hinter sich. Die Hölle namens Vietnam. 17 Jahre war das her, und doch waren diese 17 Jahre für Barry weniger als ein Tag. Niemand wusste das besser als Sheila. Sie konnte die Nächte nicht mehr zählen, in denen sie von seinen Schreien geweckt worden war. Das waren die Nächte, in denen sie ihn in ihre Arme schließen, ihn festhalten musste.
In jenen Nächten des Grauens trieben ihm die Alpträume den Schweiß aus allen Poren. Dann zitterte und weinte er wie ein Kind.
Und nun, verdammt, bescherte ihm die Wirklichkeit einen neuen Alptraum.
Sheila ballte die Hände zu Fäusten. Sie presste die Zähne aufeinander und empfand nichts als Ohnmacht und Verzweiflung.
2
Barry schob beide Hände in die Taschen seiner Jeans. Langsam und steifbeinig ging er auf die Gentlemen zu. Er fühlte sich alles andere als schlecht oder minderwertig, weil er nur halb so gut angezogen war wie diese Burschen. Er trug seine gewohnten hochhackigen Westernstiefel mit den Jeans über den Schäften, ein hellblaues Baumwollhemd und die dunkelblaue Strickmütze, von der er sich niemals trennen konnte.
Möglich, dass diese Typen schon mal ein Foto von ihm gesehen hatten. Es war sogar anzunehmen. Der, der sie schickte, hatte ihnen bestimmt die Akte gezeigt. Sie enthielt ein zehn Jahre altes Polaroidfoto, auf dem er, Barry, ziemlich genauso aussah wie jetzt. Den Drei-Tage-Bart konnte er sich nach wie vor nicht abgewöhnen. Es lag daran, dass er sich nicht entschließen konnte, sich endlich einen Vollbart wachsen zu lassen.
Die beiden Beamten sahen aus wie Zwillinge. Sie trugen das maßgeschneiderte Dunkelblau wie eine Uniform. Schlips und Kragen und die Sonnenbrille waren feste Bestandteile dieser Uniform.
Barry hatte sie oft genug erlebt, diese Gentlemen-Cops. Sie hielten sich für was Besseres.
„Barry Deegan?“, fragte der eine. Er mochte ein paar Jahre älter sein als der andere, denn sein schwarzes Haar war an den Schläfen silbergrau.
„Sind Sie sicher?“, Barry grinste hart. Er dachte nicht daran, es ihnen leicht zu machen.
Der Schwarzhaarige zog die Mundwinkel nach unten.
Der jüngere Beamte blaffte los. „Kommen Sie uns nicht mit dämlichen Witzen, Deegan! Sie wissen genau, dass das keinen Sinn hat. Sie werden uns begleiten.“
Das war es also.
Barry nickte, mehr zu sich selbst. Er hatte es kaum anders erwartet. Seine Lippen bildeten einen Strich. Nach all den Jahren hatte er geglaubt, in Ruhe gelassen zu werden.
Und nun dies!
„Euch begleiten?“, konterte er grob.
„Sehe ich so aus? Ich weiß ja nicht mal, in welchem Spielzeugladen ihr eure goldenen Plastikplaketten gekauft habt!“ Er lachte bissig.
„Deegan!“, zischte der ältere Beamte. „Ich warne Sie! Kommen Sie uns nicht so!“
Der Jüngere stieß seinen aufgeklappten Dienstausweis in Barrys Richtung. „Oklahoma State Police, Bureau of Investigation. Detective Sergeant John Nichols. Dies ist mein Kollege...“ Er deutete mit einer Kopfbewegung auf den Schwarzhaarigen. „... Detective Lieutenant Alistair MacMurtagh.“
„Yeah, in Oklahoma haben sie sich ganz schön breit gemacht, die Schotten.“ Barry feixte. „Aber wie auch immer, Jungs, ihr könnt mir viel erzählen. Ich glaub euch einfach nicht, dass ihr Bullen seid. Wenn ihr ’nen Haftbefehl hättet, wäre das ’ne andere Sache. Aber so...“
„Deegan!“, fauchte der Lieutenant. „Es reicht jetzt! Sie haben uns zu begleiten und Sie haben keine Fragen zu stellen. Das wissen Sie verdammt genau.“
„Nichts weiß ich.“ Barry schüttelte den Kopf. „Ich gehe mal davon aus, dass ihr Fälschungen seid. Also haut ab, Freunde, bevor ihr ernsthaften Ärger kriegt.“
MacMurtagh und Nichols waren sprachlos. Sekundenlang kriegten sie den Mund nicht wieder zu.
Der Trucker stieß sich von der Stoßstange ab, wollte einfach an ihnen Vorbeigehen. Er wusste, dass Sheila warten würde, bis die Lage geklärt war. So hatte er es ihr für alle ungereimten Situationen eingeschärft. Immer erst aussteigen, wenn Sicherheit herrschte. Gegebenenfalls über CB-Funk Hilfe rufen. Sonst nichts. Gar nichts.
Die beiden Beamten von der Staatspolizei überwanden ihre Verblüffung.
Nichols holte ein Walkie-Talkie aus der Gesäßtasche.
MacMurtagh stellte sich Barry Deegan in den Weg.
3
Sheila schlug entsetzt die Hände vor das Gesicht.
„Barry!“, rief sie, obwohl er sie nicht hören konnte - und mit Sicherheit nicht hören wollte. „Um Himmels willen! Warum bringst du dich in Schwierigkeiten?“
Barry tat genau das, was die Kriminalbeamten vermutlich erwarteten.
Er