9 Spannungsromane für den Urlaub: Ferien Sammelband 9017. Frank Rehfeld
nicht zur Katastrophe geworden. Ihr Job als Redakteurin einer Tageszeitung hatte ihr sehr geholfen, ihre Selbständigkeit zu bewahren. Eines Tages hatte ihr Chefredakteur sie beauftragt, eine Reportage über das Trucking-Business zu schreiben. Dabei hatte sie Barry Deegan kennengelernt.
Und Barry war der Grund für Sheilas Ausstieg gewesen. Sie hatte dem bürgerlichen Leben und dem Beruf den Rücken gekehrt, war Barrys Partnerin geworden.
„Ich weiß nicht, wie ich euch danken soll“, sagte Sheila. „Ohne euch...“ Sie unterbrach sich, rieb sich das Kinn. „Also, ihr könnt mir glauben, dass ich das nicht nur so daherrede.“
„Wir wissen es, Sheila“, entgegnete Jim. „Vergiss das mit dem Dank. Was ist mit Barry passiert? Darum geht es doch, oder?“
Sheila nickte, presste die Lippen zusammen. Ihre Miene spiegelte Bestürzung. Sie schob die Visitenkarte über den Tisch. In knappen Worten schilderte sie, was geschehen war.
Jim und Bob wechselten einen Blick. Sie wussten nur wenig über Barry Deegans Vergangenheit. Doch sie ahnten beide, dass das, was da draußen auf dem Parkplatz gelaufen war, irgendetwas mit eben dieser Vergangenheit zu tun haben musste.
„Alright“, sagte Jim. „Es gibt zwei Sachen, die zu aller erst erledigt werden müssen. Erstens…“ Er tippte auf die Karte mit dem Wappen der State Police. „…diese Nummer anrufen. Zweitens...Barrys Fracht an den Bestimmungsort schaffen.“
„Am besten, du rufst jetzt gleich an, Sheila“, riet Bob besorgt.
Sheila schüttelte den Kopf. „Ich fürchte, ich kann nicht“, antwortete sie matt. „Ich glaube, ich würde denjenigen, der sich da meldet, nur anschreien...oder zumindest kein klares Wort rauskriegen.“
Die beiden Männer nickten verständnisvoll.
„Bist du einverstanden, wenn ich anrufe?“, fragte Jim.
„Einverstanden?“, entgegnete Sheila. „Mein Gott, ich wäre dir dankbar!“ Jim stand auf. „Okay, ich bin gleich zurück.“ Er steckte die namenlose Visitenkarte ein.
Bob beugte sich vor und musterte Barry Deegans blonde Freundin mitfühlend. „Kann ich irgendwas für dich tun, Sheila? Soll ich dir einen Kaffee holen? Einen doppelten Whisky? Oder beides? Oder...brauchst du erst mal eine ordentliche Grundlage?“
„Danke, Bob“, sagte Sheila gerührt. „Aber ich fürchte, im Augenblick würde ich nichts runterkriegen. Ich denke, ich werde einfach versuchen, mich zu beruhigen. Und dann sehen wir weiter.“
„Nichts dagegen einzuwenden“, brummte Bob und nahm sein Besteck wieder zur Hand. Das Steak war noch nicht mal kalt geworden.
Barrys Vergangenheit. Bob musste wieder daran denken.
Es war ein Stück amerikanischer Vergangenheit.
Barry Deegan war als junger Soldat, mit 18, freiwillig nach Vietnam gegangen. Ein Jahr lang hatte er einer Nachschub-Einheit angehört. Dann, für die letzten beiden Jahre, war er zum aktiven Dienst an die Front versetzt worden. 1975, nach Kriegsende, war Barry nach Hause gekommen. Seither grübelte er darüber nach, wie er überlebt hatte. Dabei ging es nicht nur um Vietnam. Auch die anschließenden Jahre in seiner amerikanischen Heimat waren ein Kampf ums Überleben gewesen.
Und noch heute, 38 Jahre alt, litt Barry unter den vielen unbeantworteten Fragen seines Lebens - seines Überlebens.
Jim kehrte von den Telefonboxen zurück. Er setzte sich achselzuckend.
„Das war eine schlechte Idee“, gab er zu. „Da hat sich zwar einer gemeldet. Aber erstens hat er seinen Namen nicht genannt, und zweitens behauptete er, von einer Festnahme Barrys nichts zu wissen.“
„Könnte das bedeuten, dass es doch keine richtigen Polizisten waren?“, rief Sheila erschrocken. „Ich habe die Auto Kennzeichen. Könnte man dadurch vielleicht herauskriegen ...?“ Sie hielt inne, mochte nicht weitersprechen.
„Wir finden Barry“, knurrte Bob „Darauf kannst du dich verlassen.“
Jim nickte bekräftigend. „Was ist mit seiner Fracht?“, fragte er Sheila.
„Kupplungsscheiben für Little Rock, Arkansas“, antwortete sie. „Die Ladung stammt von einem Hersteller aus Oklahoma City.“
„Termingebunden?“
Sheila nickte.
„Also hat Barry seinen guten Ruf als selbständiger Trucker zu verlieren“, folgerte Jim.
„Ich übernehme seinen Truck“, entschied Bob, ohne nachzudenken.
„Aber was ist dann mit eurer Fracht?“ rief Sheila.
„Die geht nur bis Tulsa“, antwortete Jim. „Das schaffe ich allein. Und wenn ich dann schon mal da bin, werde ich ein bisschen bei der State Police herumschnüffeln.“
6
Es war weniger das Alleinsein.
Verdammt, damit wäre er fertiggeworden.
Nein, das Schlimme war die Wut im Bauch. Die würde ihn an den Rand des Wahnsinns bringen, wenn es so weiterging. Nicht über sich selbst bestimmen zu können. Keine eigenen Entscheidungen treffen zu dürfen. Der Befehlsgewalt anderer ausgeliefert zu sein. Wie bei der Army, damals. Das war es, was ihn bis ins Mark traf. Und der Hurensohn, der ihn hierher gebracht hatte, wusste es.
Barry Deegan hockte auf der Bettkante und starrte die gegenüberliegende Zellenwand an. Eine weißgetünchte Wand. Kein vorläufig Festgenommener hatte es gewagt, das Weiß zu bekritzeln. In diesem Bau herrschte Ordnung.
Barry grinste bitter. Recht und Ordnung war ihr wichtigster Grundsatz. Und Sauberkeit, yeah, Sauberkeit. Jeder einzelne von diesen Burschen lief herum wie aus dem Ei gepellt. In ihren feinen dunkelblauen Anzügen sahen sie aus wie Haie der Hochfinanz, wie die Supertypen von der Wall Street. Besser noch.
Ob jemals auch nur einer von denen im Dreck gelegen hatte?
Mit der Nase im Dreck?
Zum Beispiel in Vietnam?
Okay, vielleicht hatte der eine oder andere den Golfkrieg mitgemacht. Diesen Spaziergang zum Töten. Manche von den Typen, die aus der arabischen Wüste zurückgekehrt waren, hielten die Nase nur noch höher. Was die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten da unten geleistet hatten, war vor allem eine Leistung überragender Technologie gewesen. Der Kampf Mann gegen Mann hatte kaum stattgefunden. Kein Dschungelkampf, kein Grauen.
Vietnam-Veteranen konnten über diese gelackten Golfkrieger nur lächeln.
Vielleicht lächelten Korea-Veteranen über Vietnam-Veteranen.
Weltkrieg II-Veteranen über Korea Veteranen.
Und die Handvoll Weltkrieg I-Veteranen, die noch am Leben war, lachte womöglich über den ganzen verdammten Rest der Veteranen.
Warum, zum Teufel, brüsteten sich Menschen mit ihren Gräueltaten? Weil sie die Erinnerung sonst nicht verkraften konnten? Oder einfach nur, weil in jedem Menschen ein verkappter Angeber steckte? Der Teufel mochte es wissen. Barry schüttelte sich. Er musste diese verfluchten Gedanken loswerden. Er war in der Stimmung, über Gott und die Welt nachzudenken. Und das lag ganz einfach an der Situation, in der er steckte.
Eine Scheiß-Situation.
Einzelzelle.
Dieser Bastard hatte ihn in eine Einzelzelle stecken lassen.
Das war natürlich volle Absicht. Festgenommene, hier, im State Police Gebäude von Tulsa, Oklahoma, wurden normalerweise gesammelt aufbewahrt. Da gab’s keine Sonderbehandlung für einzelne Figuren. Barry wusste das. Er hatte oft genug mit Leuten geredet, die von den Staats-Cops in die Mangel genommen worden waren. Wenn jemand dann doch isoliert wurde, hatte das handfeste Gründe. Zwangsläufig.
Aber was für Gründe?