Die Bad Religion Story. Jim Ruland

Die Bad Religion Story - Jim Ruland


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Die Sex Pistols hatten ihren letzten Gig im Januar 1978 im Winterland in San Francisco absolviert. Die Ramones standen kurz davor, ihr bereits fünftes Studioalbum zu veröffentlichen. Englische Post-Punk-Bands wie Bauhaus, Siouxsie and the Banshees und The Cure fielen in New York ein.

      In Los Angeles galt Punkrock aber immer noch als vitales Genre. L.A.-Punk-Bands der ersten Stunde wie die Screamers, die Weirdos, die Bags und die Plugz hatten Hardcore-Newcomern wie Black Flag und den Adolescents weichen müssen. Da sie um die gewalttätigen Fans dieser Bands wussten, hatten viele Veranstalter und Clubs Hardcore-Punk-Bands aus dem Programm gestrichen und es gab nur wenige Auftrittsmöglichkeiten für junge Acts. Das hielt jedoch niemanden davon ab, neue Gruppen zu gründen. Die Surfer und Skater, die etwas weiter vom Epizentrum Hollywoods entfernt zuhause waren, steuerten als Fans ein neues Ausmaß an Athletik und Aggression zu den Shows bei.

      Der einzige Faktor, der Bad Religion von ihren südkalifornischen Altersgenossen zu unterscheiden schien, war der, dass sie aus Woodland Hills stammten, einer vorstädtischen Kommune tief in den westlichen Ausläufern des San Fernando Valleys, das wiederum aufgrund seiner Durchschnittlichkeit und Homogenität verachtet wurde. Während Hollywood als das Punk-El-Dorado von L.A. galt, stand das Valley für das strikte Gegenteil davon. Wie schafften es nun vier High-School-Schüler, von denen zwei die Schule vorzeitig abbrechen sollten, sich von der Masse abzuheben?

      Sie waren weder die ersten noch die letzten Punkrocker aus dem Valley. Die Musik, die sie im Glutofen ihrer Garage fabrizierten, war nicht ausgesprochen originell. Die Bandmitglieder ließen kein herausragendes musikalisches Talent erkennen, das auf eine brillante Karriere hingedeutete hätte. Tatsächlich machte der eine oder andere von ihnen sich erst gerade mit seinem Equipment vertraut. Doch sie verfügten über etwas, das ihnen von Anfang an als markantes Alleinstellungsmerkmal diente – Intelligenz.

      1980 war Punk immer noch in der Lage, Menschen zu provozieren – und die evokative Eröffnungssalve von Bad Religion legte nahe, dass Punk sich schon bald von einer kunstvollen Ausdrucksweise zu einer philosophischen Notwendigkeit wandeln würde. Obwohl „Sensory Overload“ wie ein großer Teil ihres frühen Materials eine Gratwanderung zum Nihilismus darstellte, verzichtete der Song auf Slogans wie „Smash the State“ oder „Fuck the Police!“, die nicht imstande waren, ein Argument zu untermauern, und dem kritischen Denken letztlich nur im Wege standen.

      Indem sie die Kreativität der ursprünglichen Punk-Bands aus L.A. wie der Germs und von X mit der ungestümen Energie von deren Nachfolgern aus dem Hardcore kombinierten, schrieben Bad Religion Songs, die ihre Hörer dazu aufforderten, sich Gedanken über die Welt und ihren Platz darin zu machen. Bad Religion waren eine Band mit einer einzigartigen Weltsicht und Aussage.

      Ihr Name und ihr kompromissloses Logo – ein Kreuz, das rot durchgestrichen war, heute weltweit als Crossbuster bekannt – verdeutlichte ihre Ablehnung des Status quo zu einer Zeit, als der der christliche Konservativismus gerade den amerikanischen Mainstream beeinflusste.

      Bad Religion traten genau zum richtigen Zeitpunkt auf den Plan, um zu verkünden: „Wir machen uns Gedanken darüber, was die Wahrheit und was Lüge ist.“ Diese Sichtweise weckte die Aufmerksamkeit von Millionen zorniger und zunehmend unzufriedener Jugendlicher – nicht nur im Valley oder in Los Angeles und Südkalifornien, sondern rund um den Globus. Ihr subversiver Geist und ihre nachdenklichen Songtexte ließen es akzeptabel erscheinen, sich rebellisch und gleichzeitig intellektuell zu geben. Die Musik war zwar Punk, aber die Botschaft universell – und die Texte im beeindruckenden Repertoire der Band sind heute relevanter als je zuvor. Darin besteht auch die Ironie ihres dreisten Auftaktsongs. Ihre erste Aufnahme war alles andere als ein „Suizid“, sondern vielmehr die Initialzündung einer 40 Jahre andauernden Karriere im Rock’n’Roll, die bis heute anhält.

      Es war keine unbeschwerte Reise. Über die Jahre hinweg lösten sie sich auf, drifteten auseinander und kamen stärker als je zuvor wieder zurück. Diese Geschichte handelt davon, wie eine Gruppe von Teenagern aus dem Valley Los Angeles im Sturm eroberte, dann alles wieder verlor und sich mit einer Reihe von einflussreichen Alben zurückmeldete, die Amerikas Vorstellung von Punkrock verändern sollten.

      Aber um begreifen zu können, wie der einmalige Sound von Bad Religion massentauglichen Punkrock-Bands den Weg ebnete, die in ihren Fußstapfen folgen sollten, muss man sich eben zurück in jene unvorstellbar heiße Garage tief im San Fernando Valley begeben.

      Die frühe Punk-Szene von Los Angeles spielte sich in Hollywood ab, doch viele der Protagonisten stammten aus dem San Fernando Valley. Eine der ersten L.A.-Bands, die sich Gehör verschaffen konnten, die Dickies, kam aus dem Valley. Als Lee Ving seine Band Fear gründete, lebte er gerade in Van Nuys. John und Dix Denney von den Weirdos – deren Image dazu beitrug, die Punk-Szene von L.A. zu etablieren – waren in North Hollywood und nur einen Katzensprung über die Hollywood Hills hinweg zuhause.

      L.A. hat in Bezug auf seine Geografie immer schon ein falsches Bild vorgetäuscht. Die vielen Film- und Fernsehstudios vermittelten den Eindruck, dass die Innenstadt von L.A. nur eine Autoverfolgungsjagd vom Strand entfernt läge, während der man rasch Zwischenstopps in Hollywood und Beverly Hills einlegen könnte. Doch die Realität gestaltete sich immer schon nuancierter. So wuchsen die Jungs von Black Flag etwa näher an Wellen und Sand auf als die Beach Boys. Auch wenn Frank Zappa 1982 in seinem Song „Valley Girl“ nahelegte, dass das Valley eine an Hollywood angrenzende Gemeinde sei, deren kultureller Mittelpunkt das Einkaufszentrum Sherman Oaks Galleria war, umfasst das Valley vielmehr eine Fläche von 650 Quadratkilometern und 1,77 Millionen Einwohnern.

      Jene Ecke des Valleys, aus der Bad Religion stammten, lag näher an der Pendlerbahn der Ventura County Line als an der Ortsgrenze zu Hollywood. Noch mehr Vorstadt ging fast nicht und die El Camino Real High School entsprach einer typisch suburbanen Schule. Sie verfügte über einen riesigen Campus, hatte ein renommiertes Football-Team samt Cheerleader-Truppe und entsandte reichlich Schüler aufs College, wo diese sich zu produktiven Mitgliedern der Gesellschaft entwickeln konnten. Außerdem war die Schule der Geburtsort einer der einflussreichsten amerikanischen Punk-Bands überhaupt.

      Im Herbst 1979 kreuzte Greg Graffin zu seinem zweiten Schuljahr an der High School mit schwarz gefärbten Haaren und einem Black-Flag-Shirt auf. Und Jay Bentley hatte nun einen Kurzhaarschnitt und erschien zum Unterricht in einem T-Shirt mit der Aufschrift „Virgin“.

      „Ich glaube, dass das bloß wir beide waren“, sagt Jay über die praktisch inexistente Punk-Szene an seiner Schule. Die beiden Zehntklässler hatten beide die Hale Junior High besucht, weshalb sie sich bereits kannten. Sie hatten eine Reihe gemeinsamer Freunde, doch es war ihre Vorliebe für Musik, die sie zusammenschweißte. Es gab keine anderen Punks an der El Camino Real, aber das sollte sich schon bald ändern.

      Brett Gurewitz und Jay Ziskrout besuchten die elfte Klasse und hatten schon in zwei Bands zusammengespielt. Die erste Gruppe namens Omega Band schaffte es nie über das elterliche Wohnzimmer der Ziskrouts hinaus. Ihr zweiter Versuch verlief ein wenig erfolgreicher: The Quarks waren eine an die Beatles angelehnte Band, angereichert mit einer Prise New Wave. Brett schrieb die Songs, spielte Gitarre und sang. Ziskrout saß hinterm Schlagzeug. Ihr einziger Gig fand bei einer nachmittäglichen Talentshow an der El Camino Real statt.

      Bretts bester Freund, Tom Clement, kannte Greg, der damit prahlte, ein richtig guter Sänger zu sein. Tom hatte sich inzwischen auf Punk eingelassen und ermutigte Brett, es ihm gleichzutun, indem er mit ihm eine Band gründete. „Tom war clever genug, um zu erkennen, dass seine beiden Freunde ein gutes Team abgeben würden, als er mich Brett vorstellte“, sagt Greg. „Wir waren beide intellektuell angehauchte Nerds. Obwohl wir noch so jung waren, trafen hier geistesverwandte Köpfe aufeinander.“

      Brett zeigte sich jedoch zunächst noch unwillig, sich voll und ganz dem Punkrock hinzugeben. „Ich hatte lange Haare wie Ric Ocasek oder Joey Ramone“, erklärt Brett. „Ich machte mich langsam startklar für Punk und Tom hatte sich schon vollends darauf eingelassen. Ich trug ein selbstgemachtes Shirt mit der Aufschrift ‚Fuck you, I’m a longhair Punk!‘ Ich hatte Angst davor, meine Haare zu schneiden. Das war damals eine große Sache.“


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