Die Bad Religion Story. Jim Ruland
Die Session dauerte nicht allzu lange. Sie nahmen nur eine Handvoll Songs auf, aber es war auch das erste Mal, dass sie halbwegs professionell aufnahmen, was eine aufregende Erfahrung war. Als sie beim Abmischen saßen und sich das Tonband anhörten, sprang Brett vor Begeisterung aus seinem Sessel. Sein Fuß traf dabei auf die gläserne Tischplatte des Kaffeetisches, die dabei zu Bruch ging. „Sorry“, sagte Jay. „Wir werden auf jeden Fall dafür aufkommen.“
So aufregend die Session auch war, so brachte sie für Jay auch eine bittere Erkenntnis: „Au Backe! Ich bin ja schrecklich! Ich ließ überall Noten aus und kam mit dem Tempo nicht mit. Das war das erste Mal, dass ich hörte, wie mies ich war.“
Dennoch hielten sie nun ein fertiges Demo-Tape in Händen.
Später am Abend erhielt Brett einen Anruf vom Manager des Studios.
MANAGER: Hey, ihr habt überall Graffiti hingesprayt, nicht wahr?
BRETT: Yeah.
MANAGER: Nun, so geht das aber nicht. Das ist Vandalismus. Ihr müsst nochmal herkommen und alles wieder saubermachen.
BRETT: Echt jetzt? Weil, na ja, da waren doch schon überall Graffiti.
MANAGER: Wir wissen nicht, wer das war, aber euer Bandname stand noch nirgends, bevor ihr hier einmarschiert seid.
„Ich bin mir sicher, dass wir das nicht hätten tun müssen“, sagt Brett heute, „aber da wir nun einmal dumme Jungs waren, kehrten wir nach Hollywood zurück und übermalten unser Graffiti.“
Die Erfahrung motivierte die Band, sich erneut im Hell Hole einzufinden, um neues Material zu schreiben. Nachdem sie eine erste Erfahrung mit dem Aufnahmeprozess gemacht hatten, wollten sie eine richtige Platte aufnehmen – nur nicht im Studio 9. Sie hatten ein Punk-Tape in einem Punk-Studio eingespielt, aber jetzt wollten sie etwas produzieren, das auch tatsächlich gut klang. Dieses Verlangen, Musik zu kreieren, die nicht nur hart und schnell, sondern wohlklingend war, unterschied Bad Religion von ihren Zeitgenossen. Im Verlauf ihrer Karriere sollte ihr Streben nach einer perfekt tönenden Platte zwischen einem ästhetischen Grundsatz und blanker Obsession hin und her pendeln.
Mithilfe des Schlagzeuglehrers von Ziskrout fanden sie ein bescheidenes Studio, das sich in der Garage neben dem Haus eines Produzenten in Thousand Oaks befand, um dort die sechs Songs ihrer ersten EP aufzunehmen. Dieses Erlebnis versetzte Brett mitunter in Staunen. „Wir hatten keine Ahnung, was wir da machten“, gesteht er. „Wir hatten keine Vorstellung davon, wie man eine Platte aufnahm. Wir hatten bloß unsere Songs und wollten sie konservieren. Andere Bands produzierten Seven-Inch-Schallplatten. Wir wussten, dass das im Bereich des Möglichen war. Uns wäre nie in den Sinn gekommen, zuerst einmal Material für 30 Minuten zu schreiben und dann eine Show zu spielen.“
Jay lernte immer noch, wie er mit seiner Ausrüstung umgehen, beziehungsweise, was er lieber bleiben lassen sollte. „Mein kleiner Kurzhals-Jazz-Bass war im Sunburst-Design lackiert. Schwarz, orange, gelb. Ich wollte ihn aber ganz schwarz haben, weil das viel cooler ist. So begab ich mich in die Garage und fand eine Dose mit pechschwarzer Farbe. Ich besprühte zunächst die Rückseite der Bassgitarre, und es sah wie Gummi aus. Total cool eben. Also besprühte ich auch noch die Vorderseite sowie das Griffbrett, die Saiten und den Kopf. Ich hatte ja keine Ahnung, was ich da tat!“
„Das war unmittelbar, bevor wir ins Studio gingen“, fügt Greg hinzu. „So erhielten wir unseren einzigartigen Sound auf unserer ersten EP.“
In den Gold Star Studios in Hollywood, einem legendären unabhängigen Studio an der Ecke Santa Monica Boulevard und Vine Street, wurden ihre Aufnahmen gemastert. Das war ein Quantensprung im Vergleich zu Studio 9. Im Gold Star hatte einst Phil Spector sein Handwerk gelernt und die einmalige Akustik des Studios genutzt, um seine legendäre Wall of Sound hochzuziehen. Und die Ramones hatten ihr Album End of the Century, das im selben Jahr erschien, mithilfe von Spector im Gold Star aufgenommen.
Als Bad Religion nun mit ihren Aufnahmen im Studio eintrudelten, wurden sie von Johnette Napolitano begrüßt, die am Empfang arbeitete. Johnette war hilfsbereit und geizte nicht mit Ratschlägen. Da schadete es natürlich auch nicht, dass sie violett gefärbte Haare hatte und sich durch eine Affinität für Punk auszeichnete.
Als sie die Platte hörte, berichtet Jay, wurde sie sogar noch zuvorkommender: „Wenn ihr Jungs mal eine LP machen wollt, solltet ihr statt dem Tontechniker vom Studio meinen Freund als Produzenten anheuern.“ Johnettes Freund war ihr Bandkollege Jim Mankey, der zusammen mit seinem Bruder Earle zu den Gründungsmitgliedern der Sparks gehört hatte. Johnette und Jim spielten nun gemeinsam in einer Band namens Dream 6 und sollten später Concrete Blonde gründen.
Napolitanos Enthusiasmus verlieh der Band Auftrieb, doch für Brett stellte vor allem der Umstand, sich in einem professionellen Studio aufzuhalten, eine erleuchtende Erfahrung dar. „Als ich zum ersten Mal ein echtes Studio sah, verliebte ich mich. Nicht jeder reagiert so, aber als ich die Reihen von Knöpfen und Lichtern sah, drehte ich durch. Ich liebte es. Ich wusste, dass das genau das Richtige für mich war. Ich musste lernen, damit umzugehen!“
Er war bestrebt, von erfahreneren Musikern zu lernen, vor allem von jenen, die nicht gleich über Punk die Nase rümpften.
Sobald die Songs gemastert waren, musste die EP gepresst werden. Brett nahm das Telefonbuch zur Hand und fand ein Presswerk. Mithilfe eines Kredits seines Vaters ließ er die Platte pressen, doch sollte das ein wenig Zeit in Anspruch nehmen. Es war Herbst 1980 und die EP erschien erst Anfang des nächsten Jahres.
Da sie nun eine Platte herausbrachten, brauchten sie noch einen Namen für ihr Label. Greg und Brett entschieden sich für den Namen Epitaph, nach einem Song von King Crimson. Der Refrain dieses Songs – „Confusion will be our epitaph“ – legt nahe, dass der Name des Labels zum Ausdruck bringen sollte, wie wenig sie davon verstanden, was sie da taten. Trotzdem hatten sie innerhalb kurzer Zeit bereits große Schritte mit ihrer Band gemacht. Sie hatten ein paar Songs geschrieben, eine EP aufgenommen und ein Demo produziert. Sie hatten diese Möglichkeiten nicht angeboten bekommen, sondern selbst realisiert. Abgesehen von den Proben im Hell Hole hatten Bad Religion bis dahin nur noch nicht live vor Publikum gespielt. Es war an der Zeit, endlich auch ein paar Konzerte zu geben.
Eine markante Eigenschaft des San Fernando Valleys war seine erdrückende Gleichförmigkeit. Die langen, schnurgeraden Straßen und Boulevards waren im Schachbrettmuster angeordnet und erstreckten sich kilometerweit in alle Richtungen. Das Valley war ringsum von Gebirgsketten eingerahmt und die schlechte Luftqualität und der dicke Smog erschwerten es, sich zurechtzufinden. Für Außenstehende unterschieden sich die Ortschaften dort kaum voneinander.
Einheimische kannten die Unterschiede natürlich und konnten stolz die Geschichte jeder größeren Straßenkreuzung herunterleiern: Zuerst wurde das Ackerland in Obstgärten und dann in gewerbliche Bauflächen umgewidmet, was seinerzeit einzigartig für diesen Ort war. Doch die Homogenität dieser vorstädtischen Landschaften erschwerte es Außenseitern, sich anzupassen. Die Mitglieder von Bad Religion waren sich absolut bewusst, dass sie nicht dazugehörten. Eine Punk-Band zu gründen, verschlimmerte die Situation nur noch. So wie sonst Außenseiter, wurden auch sie geächtet, weil sie aus der Reihe tanzten.
Zum Glück und dank ihrer Liebe zur Musik fanden diese schlauen Jugendlichen mit ihrem sozialen Gewissen zueinander. Punkrock half ihnen dabei, etwas zu erschaffen, das nicht nur ihr eigenes Leben verändern, sondern auch das Musikgenre, das sie so liebten, nachhaltig beeinflussen sollte. Trotz ihres gemeinsamen Vorgehens beschritt jedes einzelne Bandmitglied eine ureigene Route auf dem Weg zu Bad Religion.
Gregs Wurzeln lagen in Wisconsin und Indiana, der jeweiligen Heimat seines Vaters und seiner Mutter. In gewisser Hinsicht begann alles aber schon viel, viel früher, mit seinem Urgroßvater mütterlicherseits, Edward M. Zerr, einem Prediger und Lehrer, der das Land bereiste und Bibelkurse leitete. Während seiner 60 Jahre dauernden Mission hielt er über 8.000 Predigten. „Er war der erste Act in unserer Familie“, so Greg, „der auf Tournee ging.“
Zerr