Die Bad Religion Story. Jim Ruland
werden. „Es kam durchaus vor, dass man in der frühen Punk-Szene auf Leute traf, die Hakenkreuze trugen“, sagt Brett. „Ich nahm an, dass die Kids es trugen, um zu schockieren, aber das fand ich nicht sehr ansprechend. Ich hätte das nie tun können. Das rot-weiß-schwarze Crossbuster-Logo ist ein starkes, schockierendes Symbol. Als jüdischer Junge war es etwas, das ich auch tragen konnte und ebenso schockierend war wie das Hakenkreuz.“
Innerhalb kürzester Zeit hatten sie sich nun auf einen Bandnamen und ein Logo geeinigt. Außerdem stand noch zur Debatte, wie sie ihre Ideen präsentieren und wahrgenommen werden wollten. Zwar war man übereingekommen, weiterhin zu proben, doch die Intensität dieser Zusammenkünfte erschwerte es ihnen, lange an einem Ort zu bleiben. So zogen sie von Ziskrouts Wohnzimmer in Bretts Garage, bis sich die Nachbarn beschwerten. Als sie in Jays Haus loslegten, rief jemand sofort die Polizei. „Letztlich landeten wir in Graffins Garage“, so Jay. „Das war der einzige Ort, von dem wir nicht vertrieben wurden.“
Das lag zu einem großen Teil an Gregs Mutter Marcella sowie den Nachbarn in Canoga Park. Marcella vertraute ihren Söhnen und stellte nicht viele Regeln für sie auf. „Ich spielte mich nicht als Richterin auf“, sagt sie. „Sie waren doch bloß Kinder. Als sie die Band gründeten, geschah das praktisch über Nacht. Ich musste meine Sachen auf eine Seite der Garage räumen. Ich stellte nicht zu viele Fragen. Mir war es lieber, dass sie sich hier als anderswo aufhielten.“
Obwohl Marcella in einer religiösen Familie aufgewachsen war, störte sie sich nicht am Namen der Band. „Ich liebte ihn“, sagt Marcella. „Das tat ich wirklich. Wenn die Jungs gefragt wurden, warum sie die Band Bad Religion genannt hatten, gaben sie unterschiedliche Antworten. Greg erklärte mir und anderen, dass alles eine ‚schlechte Religion‘ sein konnte. Zum Beispiel, wenn man sein unabhängiges Denken aufgab und nicht für sich selbst dachte. Natürlich sprach mich das an. Ich verband überhaupt nichts Negatives mit dem Namen.“
Abgesehen davon gab es aber einen Vorfall mit Jay Ziskrout, der ihr sauer aufgestoßen war. „Mir machte es nichts aus, sie im Haus zu haben. Im Wesentlichen waren sie ja nicht destruktiv. Doch einer von Gregs Freunden fühlte sich wohl etwas zu heimisch bei uns. Er nahm sich nicht nur Milch aus dem Kühlschrank, sondern trank sie auch noch aus der Packung!“
Auch gab es immer noch Beschwerden wegen des Lärms. Die Jungs versuchten die Nachbarn zu besänftigen, indem sie mithilfe von Eierkartons und Schaumstoff versuchten, den Krach einzudämmen. Aber mit wenig Erfolg. „Ich war immer beeindruckt von den Dingen, die sie unternahmen“, so Marcella. „Nicht unbedingt von ihrer Lautstärke, obwohl mich auch der Lärm nie wirklich störte.“
Brett sprühte „Welcome to the Hell Hole“ an die Innenwand der Garage. „Hell Hole war ein Name, der dazu passte“, so Jay. „Nicht, dass viel Bedeutung dahintersteckte. Es war das verdammte Valley. Es hatte eine Million Grad in der Garage, aber das war uns egal. Wir zogen unsere Shirts aus und schwitzten stundenlang vor uns hin, bis es dunkel wurde.“
Sie schrieben weiterhin Songs und experimentierten mit ihrem Sound. „Es floss einfach so dahin“, erinnert sich Brett. „Zu unserer nächsten Probe brachte Greg wieder einen neuen Song mit. Und ich ebenfalls. So machten wir das.“
Greg steuerte „World War III“ und „Slaves“ bei, und Brett schrieb „Drastic Actions“, eine Hommage an den Germs-Song „Shut Down“. Außerdem komponierte Brett noch den ikonischen Song „Bad Religion“, ihre Erkennungsmelodie. Doch damals diente der Song vor allem als Bandphilosophie, der ihre Kernprinzipien umschrieb und die Bedeutung der Band erklärte. Man nehme nur diese Zeilen aus der ersten Strophe:
Spiritual era is gone, it ain’t coming back
Bad Religion, a copout that is all that’s left
Ein direkter Kommentar, nicht so sehr bezüglich des Niedergangs der Spiritualität in Amerika, als vielmehr hinsichtlich des Aufstiegs von rechts-religiösen Organisationen wie Moral Majority und Fernsehpredigern wie Jimmy Swaggart, Jerry Falwell sowie Jim und Tammy Faye Bakker, die ihre Anhänger um Spendengelder anbettelten. Doch wenn die erste Strophe die Ablehnung der Band gegenüber der Rolle von Religion innerhalb der Gesellschaft auf den Punkt brachte, so verlagerte die zweite Strophe die Sache auf eine persönliche Ebene:
Don’t you know the place you live’s a piece of shit
Don’t you know blind faith through lies won’t conquer it
Don’t you know responsibility is yours I don’t care a thing about eternal fires
Listen this time it’s more than a rhyme
It’s your indecision
Your indecision is your
Bad Religion …
Die direkte Anrede am Ende der Strophe, bevor wieder der Refrain einsetzte, war nicht weniger als ein Aufruf, persönliche Verantwortung für seine Überzeugungen zu übernehmen. Es ist sowohl eine Aufforderung, für sich selbst zu denken, als auch eine Warnung vor den Abgründen blinden Glaubens. Die Zeile „Listen this time it’s more than a rhyme“ ist in seiner Selbstbewusstheit geradezu postmodern und verstärkt die Dringlichkeit der Botschaft: Nicht die „ewigen Feuer“ der Hölle oder die Lügen falscher Propheten bergen Gefahren für uns, sondern vielmehr unsere Denkfaulheit. Statt gegen organisierte Religionen zu wettern, fordert der Song die Hörer auf, sich Klarheit darüber zu verschaffen, an was sie glauben. Man sollte der Sache doch auf den Zahn fühlen, drängt der Song: „It’s not too late.“
Obwohl die Band mit ihrem Songwriting noch in den Kinderschuhen steckte und ihre Mitglieder damals alle noch Teenager waren, verfügt der Song über eine Kultiviertheit, die man nur selten bei den Hardcore-Bands dieser Ära antraf. Während die Musik darauf abzielt, den Hörer etwas spüren zu lassen, ermutigt der Songtext das Publikum, nicht einfach nur zu denken, sondern vor allem kritisch zu sein.
Während die Band musikalisch immer kompetenter wurde, entwickelte sich das Hell Hole zu einem Treffpunkt für die Punk-Freunde der Band aus dem Valley. Manchmal reisten sogar Kids aus Hollywood an, um den Proben der Band beizuwohnen. Die Kunde von Bad Religion verbreitete sich in den lokalen Punk-Zirkeln. Doch die Kids kamen nicht, um Party zu machen. Sie schneiten nach der Schule vorbei und blieben bis zur Essenszeit am Abend, wenn Gregs Mom von ihrem Job an der UCLA zurückkehrte.
Interessanterweise kam die Band nicht auf die Idee, sich nach einem Auftrittsort umzusehen, wo sie vor einem Live-Publikum auftreten konnte. Sie hatten bis jetzt gerade einmal sechs Songs im Repertoire. Da sie ihre Garagen-Sessions aufzeichneten, war ihnen bewusst, dass sie über ungefähr zehn Minuten Material verfügten. „Wir benutzten einen Ghettoblaster“, so Jay. „Mit dem nahmen wir alles auf. Das machte nicht viel her, aber ehrlich gesagt, so wussten wir zumindest, wie lange wir spielen konnten.“
Selbst mit Ansagen zwischen den Songs hätte ein Konzert nicht länger als 15 Minuten gedauert. Das reichte nicht aus. Stattdessen nahmen sie ein Demo auf.
Dafür begaben sie sich ins Studio 9, das sich im Hollywood & Western Building befand und auch schon einmal bessere Zeiten gesehen hatte. Während die Geschäfte im Erdgeschoss weiterhin geöffnet hatten, standen zahlreiche Büros im ersten, zweiten und dritten Stock leer. Viele Zimmer hatten keine Türen, Fenster keine Glasscheiben. Zahlreiche Hausbesetzer-Punks aus Hollywood fanden hier Unterschlupf und die Wände waren mit Graffiti übersät.
Inmitten dieses chaotischen Ambientes befand sich das Studio 9 – ein aus einem Zimmer bestehendes Aufnahmestudio mit einem primitiven Acht-Spur-Tonbandgerät. Dort aufzunehmen kostete 15 Dollar pro Stunde, inklusive Tontechniker. Greg erinnert sich an eine wüste Örtlichkeit. „Überall waren Graffiti“, so Greg. „Nicht nur im Studio, sondern einfach überall. Die Wände dieser leeren Räume waren vollständig besprüht.“
Namen unterschiedlicher Bands, die vorbeigekommen oder hier übernachtet hatten, zierten die Wände. Also beschlossen Bad Religion, es ihnen gleichzutun und auch ihre Spuren zu hinterlassen. „Wir sprayten überall Bad Religion hin“, erinnert sich Brett. „Das war schon einigermaßen dämlich.“
Auch Jay war mit von der Partie. „Wir gingen in einen der leerstehenden