Die Bad Religion Story. Jim Ruland
er nachdachte, zu kombinieren und diese Ideen dann in seinen Songs zum Ausdruck zu bringen. Das hinterließ einen bleibenden Eindruck bei dem jungen Songwriter. „Er versuchte herauszufinden, was es mit dem Menschsein auf sich hatte“, so Brett. „Songs wie ,Lexicon Devil‘, ,Manimal‘ und ,What We Do Is Secret‘ sind kraftvoll und potent. Sie hatten großen Einfluss auf mich, als ich mich als Teenager für die Germs begeisterte.“
Zwar waren schon Darbys Songtexte einigermaßen mysteriös, doch sein Benehmen auf der Bühne erstaunte Brett noch mehr. Die Live-Shows der Germs waren berüchtigt für ihren, gelinde gesagt, Mangel an Struktur. So war Darby bei seinem Auftritt im Film The Decline of Western Civilization so zugedröhnt, dass er es versäumte, ins Mikrofon zu singen. Bei den Gigs, die Brett besuchte, versuchte Darby nicht einmal, die Texte zu singen. Er schrie und jaulte und gab Tierlaute von sich. „Er sang gar keine Texte. Ich liebte seine Texte. Ich kannte jedes Wort und jede Betonung seiner Phrasierung auswendig. Im Auto sang ich sie mit. Dann sah ich die Germs live und Darby sang kaum mal einen Text. Er machte einfach nur Krach!“
Mochte die Musik der Germs nicht sonderlich zugänglich gewesen sein, so war es zumindest ihr enigmatischer Sänger. Brett sah ihn im Publikum bei Konzerten und anschließend auf dem Parkplatz – eine Erfahrung, als wäre er in den Sechzigerjahren Jim Morrison im Whisky a Go Go auf dem Sunset Strip begegnet. „Er war ein Halbgott in meinen Augen“, erzählt Brett. „Er war nicht viel älter als ich. Vielleicht Anfang zwanzig, und ich war 17, was in diesem Alter ein unüberbrückbarer Unterschied ist.“
Am Abend der Verbindungsparty fasste sich Brett ein Herz und quatschte Darby an.
BRETT: Hey, Darby.
DARBY: Hey.
BRETT: Darf ich dich was fragen?
DARBY: Klar.
BRETT: Wenn du live auftrittst, warum singst du da nicht die Texte?
DARBY: Weil ich mich nicht an sie erinnern kann.
Dieses Treffen mag für Brett vielleicht eine kleine Enttäuschung gewesen sein, dass Darby zu ihrem Auftritt gekommen war, bedeutete dem Teenager aber eine Menge. Es verdeutlichte ihm, dass das, was sie da machten, Gewicht hatte – sogar auf einer lächerlichen Studentenparty. Leider verstarb Darby nur wenige Wochen später, nachdem er sich absichtlich eine Überdosis verabreicht hatte. Sein Tod wurde aber von der Ermordung John Lennons am Tag darauf überschattet.
Das Konzert war der Auftakt zu einer langjährigen Verbindung zwischen Bad Religion und den Circle Jerks. Keith Morris zählte Bad Religion zu den – wie er es ausdrückte – „kleinen Brüdern“.
Mit Bad Religion und den Circle Jerks verhielt es sich seiner Meinung nach so: „Wir schätzten die Musik der jeweils anderen Gruppe. Es gab in ihrer Band keine Arschlöcher. Keine Pissnelken. Alle waren cool. Wir wollten auf die Party gehen und die Punk-Rock-Piñata aufschlagen. Aufgrund unserer Freundschaft fingen Bad Religion an, zusammen mit uns aufzutreten.“
Noch am gleichen Abend erfuhren Bad Religion, dass die Circle Jerks live im Studio von KROQ in Rodney Bingenheimers Radioshow Rodney on the ROQ interviewt werden sollten. Rodney war eine lokale Szenegröße, die sowohl mit dem Musikbusiness in Verbindung stand, als auch die Bedeutung von Punkrock begriff. (Auf Greg Shaw von Bomp! Records traf das ebenfalls zu.) Er war ein Eklektiker, der in den frühen Siebzigerjahren mit Rodney Bingenheimer’s English Disco seinen eigenen Nachtclub betrieben hatte. Außerdem aß er jeden Tag in derselben Denny’s-Filiale in Hollywood zu Mittag. Leute aus der Musikindustrie brachten ihm Schallplatten vorbei und Musiker bemühten sich um eine Audienz beim „Mayor of Sunset Strip“.
In seiner Show spielte er oft Musik lokaler Punk-Bands. Für frühe Fans war dies die beste Möglichkeit, die neueste Klänge aus der Szene zu hören. Die Kids nahmen Rodneys Show auf und tauschten ihre Tapes mit anderen Punks in der Schule. So seltsam es heute im Zeitalter des Kommerz-Radios auch anmuten mag: 1980 konnte man Rodney on the ROQ aufdrehen und bekam dort die Adolescents, die Circle Jerks und die Germs zu hören. Der Adolescents-Song „Amoeba“ schaffte es auf diese Weise sogar ins reguläre Programm von KROQ und mauserte sich zum Underground-Hit.
Brett verstand Rodneys bedeutsame Rolle für die Szene. „Er war ein Typ, der stolz darauf war, genau zu wissen, wer die neuesten coolen Bands waren, weil er ihre Konzerte besuchte. Rodneys Radiosendung startete um Mitternacht und er spielte Importe aus England, an die wir nicht herankamen sowie lokale Gruppen, die man nur schwer fand. Aber die Bands steckten ihm ihre Tapes zu, damit er sie im Radio spielte.“
Rodneys Show ließ Gregs Traum vom Musikmachen ein wenig realistischer erscheinen. Die Musik, die Rodney im Radio spielte, umfasste nämlich auch krude Demos. Was zur Erkenntnis führte, dass man nicht bei einer großen Plattenfirma unter Vertrag stehen musste, um es ins Radio zu schaffen. Alles, was man dafür tun musste, war, es eben einfach zu versuchen.
Auch für Jay Ziskrout stellte Rodneys Radiosendung eine vitale Verbindung zur Punk-Szene in Hollywood dar. „Damals hatte KROQ ein echt schwaches Signal. Wir saßen draußen im westlichen San Fernando Valley und konnten KROQ bei uns zuhause nur selten empfangen. Ich besuchte dann Brett, weil er auf einem Hügel wohnte. Manchmal musste man dann die Antenne hochhalten, damit man einen klaren Empfang hatte.“
Die Circle Jerks nahmen das Demo von Bad Religion mit zum Radiosender. (Sowohl Hetson als auch Lucky reklamieren diese Ehre für sich.) Keith stellte die Band vor und Rodney schickte „Politics“ über den Äther. Obwohl Ziskrout wusste, dass es passieren könnte, war er nicht auf seine eigene Reaktion vorbereitet, als es tatsächlich soweit war. „Der Nervenkitzel, sich selbst zum ersten Mal im Radio zu hören, ist unbeschreiblich. Man kann das mit nichts vergleichen.“
Rodneys Hörer waren von der neuen Gruppe aus dem San Fernando Valley überaus angetan. Sie wollten mehr davon und Rodney entsprach diesem Wunsch. „Daraufhin verzeichneten wir einen Popularitätsanstieg in L.A.“, sagt Brett. „Rodney war ein echter Förderer. Er mochte den Song und fand uns gut. So machten wir uns einen Namen, da die Kids seine Show aufzeichneten. Auf diese Weise konnten die Leute unsere Songs hören, noch bevor sie überhaupt auf Platte erschienen waren.“
Bad Religion traten außerdem in New Wave Theatre auf, einer Show im Kabelfernsehen, in der man Live-Auftritte von Underground-Bands verfolgen konnte. In der der relativ kurzen Laufzeit der Sendung spielten Bad Religion dort gleich zwei Mal. Ihre Premiere feierten sie Ende 1980 mit drei Songs: „Bad Religion“, „Slaves“ und „Oligarchy“. Der Gastgeber Peter Ivers kleidete sich stets in topaktueller New-Wave-Manier, obwohl er schon ein bisschen älter war als die jungen Leute aus der Szene.
Der Anfang und das Ende der Show sorgten dafür, dass der Auftritt von Bad Religion unvergesslich blieb. Ivers, der gerne locker-flockig und spontan daher plauderte, stellte Bad Religion als „highspeed tough guys from Purgatory Beach“ vor – als Hochgeschwindigkeits-Schlägertypen vom Strand des Fegefeuers. Es muss ihm bewusst gewesen sein, dass er es mit ein paar Jugendlichen zu tun hatte, die noch nie im Fernsehen gewesen waren, aber indem er die Band als „Schläger“ ankündigte, vermittelte er dem Publikum den Eindruck, Punk wäre brutal und gewalttätig, mehr Sport als Kunst.
Nach ihrer Darbietung schlüpfte Ivers während eines kurzen Interviews erneut in die Rolle des Provokateurs. Es war ein faszinierender Austausch, der nicht nur die jugendliche Energie von Bad Religion und ihren Charme, sondern auch ihre intellektuelle Seite offenbarte. Greg wirkte ruhelos und unfähig, während des Interviews stillzustehen. Trotz Ivers’ konfrontativer Art lächelte er die ganze Zeit. In der Mitte des Interviews stieß Jay Greg versehentlich mit seiner Bassgitarre an, was Greg aus der Konzentration brachte. Ivers stellte Greg eine Frage zu „Slaves“, der darauf sagte, es handle sich um einen sehr „inspirativen“ Song.
Doch Ivers war noch nicht fertig mit Greg und drängte ihn, sich zu rechtfertigen. Unsicher, was er sagen sollte, antwortete Greg: „Ich schreibe bloß den Text.“ Einen Augenblick lang schien es, als wäre die Band in eine Falle getappt. Als ob er gespürt hätte, dass Ivers beabsichtigte, die Band als Narren zu entlarven, eilte Brett, der ein T-Shirt mit der Aufschrift „SMUT MONGER“ trug, seinem Sänger zu Hilfe.
BRETT: Zunächst einmal, jede