Die Bad Religion Story. Jim Ruland
haben wir uns Bad Religion genannt, weil wir unsere Ideen zum Ausdruck bringen wollen. Wir haben uns nicht Good Religion genannt. Wir nennen uns Bad Religion, weil wir Religion für schlecht halten und im Grunde genommen sämtliche organisierte Denksysteme Religionen sind.
IVERS: Ihr präsentiert euch auf eine sehr primitive, fast schon animalische Art und Weise, doch das, wovon du da sprichst, ist sehr anspruchsvoll.
BRETT: Ich finde nicht, dass man Leute nach ihrem Verhalten bewerten sollte. Ich glaube nicht, dass das eine Auswirkung auf das hat, was sie im Kopf haben.
GREG: Genau, sieh dich doch mal an.
Obwohl sie sich auf der Bühne als rotzfreche Maulhelden gaben, enthüllte die Show, wie scheu sie abseits davon waren. Sie waren die letzte Generation von Kindern, denen nicht ständig eine Videokamera ins Gesicht gehalten wurde. Ihr Unbehagen ist gleichermaßen charmant und albern. Gregs kindische Stichelei – „Sieh dich doch mal an“ – war ein krasser Kontrast zu seinen nachdenklichen Texten und jener Art von Dialog, zu der er später als Akademiker anregen würde.
„Wir waren super-nervös“, kommentiert Jay die Show ganz unumwunden. „Wir waren ja so unfassbar schräg!“
Ein Auftritt in einer lokalen Kabelfernsehsendung war nun kaum der ganz große Wurf, doch markierte er zumindest einen vielversprechenden Abschluss eines eindrucksvollen Jahres. Sie hatten ein Demo produziert, das sehr gut ankam, ein paar Konzerte gespielt und eine EP aufgenommen. Damit hatten sie schon mehr geschafft als andere Bands in ihrer gesamten Karriere. Dass sie ein paar ihrer frühen Auftritte mit Social Distortion und den Circle Jerks absolvierten und diese von Leuten wie Darby Crash frequentiert wurden, legte nahe, dass sie gut vernetzt waren. Das traf aber nicht zu. Obwohl Punk in L.A. nun populärer als je zuvor war, gab es nach wie vor nur wenige Auftrittsmöglichkeiten. Deshalb reisten Punk-Fans aus der ganzen Gegend um Los Angeles an, um Auftritte auf Gartenpartys und in Lagerhallen zu erleben. Gleichzeitig waren Punk-Bands immer auf der Suche nach gleichgesinnten Bands, die darauf brannten, live zu spielen, und dann auch wirklich aufkreuzten – selbst wenn sie ihre Ausrüstung in irgendein Haus oder eine gemietete Lagerhalle in Oxnard, East L.A. oder San Pedro schleppen mussten. Diese Beschreibung traf auf Bad Religion zu.
„Die Szene war ziemlich klein“, so Jay. „Somit traf man ständig auf die immer gleichen Leute. Man besuchte ein Konzert und sah sich die Band an. Das nächste Mal spielte man dann wiederum selbst.“
In jenen Tagen konnte ein jugendlicher Punk, der noch nie in Hollywood gewesen war, ein Konzert besuchen und direkt neben seinen Helden stehen. Natürlich beruhte das Gefühl der Wertschätzung nicht immer auf Gegenseitigkeit. So etwa bei Jays erstem Treffen mit John Doe. „Zur Seite, Junge“, blaffte ihn der Bassist von X an. „Er war vielleicht 21“, berichtet Jay. „Ich war 15 und er dachte sich vermutlich, dass ich die Szene ruinieren würde. Womit er richtig lag.“
Den Bandmitgliedern fiel schon bei ihren ersten Konzerten auf, dass viele der jungen Konzertbesucher die Texte ihrer Songs kannten, obwohl die erste EP noch gar nicht erschienen war. Als die Leute bei ihren Shows mitsangen, begriffen Bad Religion, dass dieses schräge Projekt, das sie nach der Schule in der Garage von Gregs Mom betrieben, über ihren unmittelbaren Freundeskreis hinaus Anklang fand. Was sie da taten, bedeutete den Fans offenbar etwas und wurde von ihnen geschätzt. Langsam dämmerte es ihnen, dass diese Kids sich ihre Songtexte deshalb merkten, weil sie etwas Bedeutungsvolles zu sagen hatten.
Da sich das Publikum teilweise aus ihren Helden und Kollegen aus anderen Bands zusammensetzte, kam Jay nicht umhin, seine Darbietung überaus kritisch zu bewerten: „Ich weiß noch, dass ich immer dachte: Das war ein guter Song, der war auch gut. Aber der war jetzt wieder beschissen.“
Jay war aber nicht der Einzige, der mit seinen Nerven zu kämpfen hatte. Auch Brett gesteht, dass er sich auf der Bühne unsicher fühlte. Dass sie das Publikum für sich gewinnen konnten, begründet er mit Gregs Charisma. „Greg war von Anfang ein richtiger Performer. Das machte einen großen Teil des Erfolgs von Bad Religion aus. Ein charismatischer Sänger ist sehr wichtig für eine Punk-Band, und Greg war schon immer ein toller Performer gewesen, während ich das erst viele Jahre später von mir behaupten konnte.“
Greg mochte vielleicht selbstsicher gewirkt haben, doch innerlich war er nicht weniger nervös als die anderen. „Es war richtig nervenaufreibend, aber ich hatte großes Vertrauen in unsere Musik. Meiner Ansicht nach steckten wir alle zusammen in dieser Sache. Also erfüllte ich meine Rolle. Aber wenn ich allein dort oben gestanden hätte, hätte ich mir wahrscheinlich in die Hosen geschissen. Und so habe ich mich bislang noch bei jedem Konzert gefühlt. Ein großer Teil meines Selbstvertrauens beruht auf den Jungs hinter mir.“
Auch schadete es nicht, dass die drei Musiker, die vorne am Bühnenrand standen, alle weit über einen Meter achtzig groß waren. Mit seinen gefärbten Haaren, den Motorradstiefeln und seiner Lederjacke entsprach Greg der gängigen Vorstellung eines Punkrock-Frontmannes. Brett mied das Rampenlicht und strahlte eine Aura aus, die zu sagen schien: Mach mich bloß nicht an. Jay, mit 195 Zentimeter Gardemaß das größte Bandmitglied, fokussierte sich wiederum auf seine Bassgitarre. Seine versteinerte Miene brachte seine intensive Konzentration auch optisch zum Ausdruck.
Brett, der sich selbst stets als „Nerd“ beschrieb, war überrascht, dass Leute ihn nun in Ruhe ließen, bloß weil er in einer Band spielte. „Als wir langsam populär wurden, bedrohten mich oft irgendwelche Schläger-Punks. Dann fragte irgendjemand, ob ich nicht bei Bad Religion spielte.“ Sobald er das bejahte, war die Konfrontation zumeist schon wieder vorüber.
Innerhalb der Subkultur herrschte Misstrauen gegenüber Außenstehenden, während Gleichgesinnte beschützt wurden – selbst wenn es sich dabei um nerdige Punks wie Bad Religion handelte. Ein Konzert zu besuchen, konnte mitunter gefährlich sein, wenn man nicht jeden kannte und nicht jeder einen selbst kannte. Für Brett gehörten solche Begegnungen zum Aufnahmeritual. „Was mich zur Punk-Szene hinzog, war das Gefühl, es mit einem Stamm von Außenseitern zu tun zu haben. Ich fühlte mich wie ein Mensch, der einfach nirgendwo Anschluss fand. Mich der Punk-Szene anzuschließen, war eher eine bewusste Wahl und nichts, was mir aufgedrängt wurde.“
Jedes Bandmitglied hatte bei Punkrock-Konzerten Dinge erlebt, die sich nur schwer verstehen oder erklären ließen. So gelang es den Medien, Punk zu vereinnahmen und es als Gewaltorgie in Misskredit zu bringen. Gewalt war aber bedauerlicherweise tatsächlich ein Thema.
Bei Jays erster Punk-Show spielten Black Flag und die Circle Jerks im Hideaway, als jemand mit seinem Auto in die Lagerhalle raste, in der das Konzert stattfand. Brett wiederum erinnert sich an einen Gig, den auch Jack Grisham von T.S.O.L. besuchte, der einen Freund mitbrachte, den er an einer Hundeleine hielt. Jack stellte Fremden seinen Kumpel vor und verklickerte ihnen, dass sie jetzt mit seinem „Hund“ kämpfen müssten. Wenn sie abwinkten, mussten sie gegen Jack selbst, der fast zwei Meter groß war und Gewalt genoss, in den Ring steigen.
Jay beschrieb die frühen Konzerte mit Bad Religion als „aufregend, beängstigend und kathartisch“. Punk-Bands trieben ihr Publikum zur Ekstase, und wenn das Publikum diese Energie dann wiederum zurück auf die Bühne schickte, geschahen unvorhersehbare Dinge. Bad Religion zapften diese Energie an Orten an, die nicht genehmigt, unbeaufsichtigt und unsicher waren. Viele, wenn nicht sogar die meisten Punkrocker nahmen Drogen und tranken, um der Situation gewachsen zu sein oder um mit den Emotionen zurechtzukommen. Für manche Bands wie die Circle Jerks drehte sich alles ausschließlich um die Party. Bad Religion waren hingegen keine Party-Truppe. Auch hatten sie kein Interesse daran, streitlustige Songtexte zu schreiben, nur um damit anzuecken. Vielmehr schwebte ihnen ein höheres Ziel vor.
„Es gab einen Grund, warum wir uns Bad Religion nannten“, erklärt Brett. „Greg und ich versuchten, Intellektuelle zu sein. Für unsere erste EP schrieb ich einen Song mit dem Titel „Oligarchy“ und Greg kam mit einer Nummer namens „Politics“. Wir machten keinen Fun-Punk. Wir waren zwar noch Teenager, naiv und ziemlich unreif, aber wir gaben uns Mühe.“
Obwohl sie intelligent waren, ließ sich nicht leugnen, dass sie aus einem Vorort kamen und nicht wussten, was sie da taten oder auf was sie sich da einließen. Schon als sie nur Fans gewesen waren, galten sie als Außenseiter, doch dass sie nun