Achterbahn des Daseins. Julian Mores

Achterbahn des Daseins - Julian Mores


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Dieses einschlägige Erlebnis verfolgte mich bis in die Pubertät.

      Durch meine beginnende Leidenschaft für den Fußball ergaben sich dann meine ersten guten Freundschaften, die teilweise Jahrzehnte hielten. Aber nicht nur dort und in der Schule verbrachte ich Zeit mit anderen, auch mit den Nachbarskindern verstand ich mich gut. Den direkten Nachbarn machte ich damals wohl eher Ärger, denn meine Fuß- und Tennisbälle ruinierten den Zaun und mussten ständig aus dem Garten und vom Flachdach geholt werden. Auch der Rasen litt.

      Mit einem meiner besten Freunde aus diesen Tagen kam es durch den Boris-Becker-Hype zu immer mehr Tennismatches. Zusammen mit anderen Kindern bildete sich dann eine kleine Clique, mit der wir auf dem beheimateten Bolzplatz auch Fußball in sämtlichen Formen spielen. Eine der Spielformen war beispielsweise englisch, bei der man den Ball volley, also aus der Luft ins Tor schießen oder köpfen musste. Einer von uns hielt sich stets für den Besten und wollte immer um eine Cola spielen, das waren sozusagen meine ersten Sportwetten.

      Damals gab es die ersten Spielkonsolen. Ein weiterer Kamerad aus dieser Clique war Tom. In den späteren Jahren übernachtete ich oft bei ihm und wir zockten meist am Wochenende die ganze Nacht Spiele wie Mariokart oder Fußball auf dem Supernintendo.

      An diesem Punkt könnte man sich sicher die Frage stellen, wie es mit der Schule war. Kurzum: Ein gänzlich schlechter Schüler war ich nicht, aber auch nicht allzu strebsam, was zwangsläufig zu Problemen führte. In dieser Zeit, in der ich nach der Schule lieber den Fußball gegen die Mauer warf und hinterherhechtete, statt mich den schulischen Belangen zu widmen, war es eher der Standard, dass ich allein zu Hause und auf mich allein gestellt war. Das beflügelte mich natürlich in meinem Tun. Des Öfteren aß ich auch mittags bei unseren Nachbarn, wenn meine Mutter anderweitig beschäftigt war.

      Mein Vater, ein Beamter des höheren Dienstes, war arbeiten, während meine Mutter damals teilweise wohl etwas Besseres zu tun hatte, als sich um mich zu kümmern. Gewiss nicht jeden Tag, dennoch oft genug, dass es wohl auffällig wurde, da sich meine Eltern bei meinen Grundschullehrern erklären mussten. Beim Recherchieren dieses Buches bestätigten sich diese Erinnerungen auch durch ehemalige Nachbarn, die ich danach fragte. Da ich aber wie gesagt nicht der schlechteste Schüler war und mich durchaus auch um Hausarbeit kümmerte, stellte sich meine Mutter gegenüber den Lehrern auf meine Seite.

      Ich fing im Laufe der Zeit an, Zimmertüren zu zerstören, es flogen auch mal Sachen durch die Gegend. Meiner Oma missfiel das. Sie war sehr konservativ und oft bei uns im Haus. Oft zahlte sie die Zeche meiner Zerstörungen, denn das Geld spielte mehr oder weniger keine Rolle. Aber erst in meinem späteren Leben, als sie eine bedeutendere Rolle darin einnahm, erkannte ich die Tragweite ihrer Religiosität und Zuwendungen. Meinen Eltern, meiner drei Jahre jüngeren Schwester und mir fehlte es jedenfalls an nichts. Wir bekamen fast immer, was wir wollten. Es gab selten ein Nein.

      Meine Eltern, die selbstverständlich keine Lust auf meine Zerstörungswut hatten, fanden eine Lösung und schickten mich in eine Kur nach Bad Wörishofen in Bayern. Doch was erlebte ich da für einen Scheiß: keine Freunde, kein Fußball und vor allem Heimweh. Die erste Kinderkur dauerte allerdings nur drei Wochen, die ich tapfer durchhielt.

      Vielleicht war ich in dieser Zeit der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, denn damals fingen meine Eltern an zu streiten. Immer häufiger erledigte ich Hausarbeiten meiner Mutter, um eben nicht die Oma im Haus zu haben, und mähte – zugegebenermaßen für Geld – den Rasen, das alles allerdings noch nicht auf täglicher Basis.

      Im Jahre 1990 passierte jedoch etwas Folgenschweres, was erhebliche Auswirkungen nach sich ziehen sollte: Ich kam aus meinem Kinderzimmer und sah meine Mutter heftig zitternd auf dem Küchenboden liegen. Ich schrie, heulte und rannte zu unseren Nachbarn, um Hilfe zu holen. Diese riefen sofort den Notarzt. Es stellte sich heraus, dass meine Mutter einem epileptischen Schock erlitten hatte.

      Durch diese Erkrankung veränderte sich im Laufe der Jahre vieles rund um die Familie. Meine Mutter, die seit dieser Zeit Tabletten einnehmen musste, vernachlässigte ihre Hausarbeiten immer häufiger, sodass ich neben meinen Hobbys mehr putzte, als Hausaufgaben zu machen. Fortan tauchte in immer kürzeren Abständen meine Oma in unserem Haus auf. Dies führte dazu, dass sie meine Schwester und mich immer öfter zu sehen bekam, das ausnutzte und uns mit Geldgeschenken in die Kirche lockte. Meinem Vater missfiel das, denn er war zu diesem Zeitpunkt bereits aus der Kirche ausgetreten.

      In diesen Jahren benötigte dann auch noch meine Großmutter väterlicherseits durch ihr hohes Alter immer mehr Hilfe. Und da ich ja auch von ihr Geld erhielt, fing ich an, für sie einzukaufen und ihren Rasen zu mähen. Eine Vorstufe von dem, was ich in späteren Jahren erleben sollte.

      Trotz dieser Widrigkeiten planten meine Eltern indes eine Art Umfunktionierung unseres Hauses. Der Plan war ein Anbau, der zunächst dazu dienen sollte, meine altersschwache Oma bei uns unterzubringen, danach sollten ich oder meine Schwester diesen Anbau als Wohnung nutzen. Tatsächlich war dieser Plan schon sehr weit fortgeschritten, doch es verging Zeit und die Krankheit meiner Mutter wurde schlimmer.

      Durch die extreme finanzielle Ruhe, die es meinen Eltern erlaubte, mit uns Kindern mehrfach im Jahr in Urlaub zu fahren, und die noch nicht allzu weit fortgeschrittene Epilepsieerkrankung meiner Mutter, hielt der Burgfrieden in unserem Haus jedoch noch. Des Öfteren ging es bei unseren Reisen sogar so weit, dass mich mein Vater aus der Schule nahm, um unseren Urlaub zu verlängern. Dies kaschierte alles und alle schwerer werdenden Umstände.

      Im vierten Schuljahr stand nun meine Versetzung auf die weiterführende Schule an.

      Meine Eltern, wahrscheinlich eher meine Mutter als mein Vater, erwarteten die Empfehlung für das Gymnasium. Ich war trotz allem immer noch nicht ganz miserabel in der Schule, dennoch bekam ich nur die Empfehlung für die Realschule. Im Gegensatz zu meinen Eltern freute ich mich darüber, weil ich so mit meiner Fußballclique auf eine Schule gehen konnte. Meiner Mutter missfiel das zwar, aber sie konnte in diesem Fall nichts tun, zumal sie sich immer häufiger in Kuren befand und mein Vater sich mehr und mehr um diese Versetzungsangelegenheiten kümmerte.

      So landete ich im Prinzip wunschgemäß auf der Realschule. Eigentlich war fast alles perfekt. Ich konnte weiter Fußball spielen, und all meinen Hobbys nachgehen. Dabei bemerkte ich jedoch nicht beziehungsweise ignorierte, wie es eigentlich bergab ging. Was im weiteren Verlauf meines Lebens im schulischen Bereich passieren sollte, war mehr als ein Albtraum. Nun hatte ich aber zunächst erst mal ein Etappenziel meiner Achterbahnfahrt erreicht und ging auf die weiterführende Realschule. Ich war absolut und rundum zufrieden – genau das, was man jedem Kind wünscht.

      Nicht nur die Freunde, die ich über den Fußball und die Grundschule kennengelernt hatte, sondern auch die Möglichkeit, weiter meinen zahlreichen Hobbys nachzugehen, führten zunächst also in die Glückseligkeit. Übliche Dinge, wie das erste Mal verliebt zu sein beziehungsweise einen Schwarm zu haben, waren da noch eher nebensächlich. Ich wurde in der Schule jedenfalls ein immer faulerer Sack, nun stimmten auch die Noten nicht mehr. Dies führte letztlich zu Problemen bei meiner Versetzung.

      Zu Hause häuften sich die Streitereien meiner Eltern. Je mehr sie sich stritten, desto mehr arbeitete ich im Haushalt. Ich wurde mehr und mehr auch der Greenkeeper unseres Rasens beziehungsweise des ganzen Gartens. Für den war eigentlich mein Vater zuständig, aber er als Vorzeigebeamter hatte keinen Spaß daran, sich um den Garten zu kümmern. Was er am liebsten machte war, neue Bäume zu kaufen und sich um sein relativ großes Aquarium zu kümmern. So kam es ihm sehr recht, dass ich durch Rasenmähen mein erstes Taschengeld verdiente. – Leider fast immer auf Kosten meiner Hausaufgaben.

      In dieser Zeit kam ich auch das erste Mal mit Alkohol in Berührung, allerdings nur in der Form, dass ich die Gäste meiner Eltern bei deren Geburtstagspartys oder Skat-Abenden mit Bier zu versorgen hatte.

      Gegen Ende des Schuljahres wurden meine Eltern darauf hingewiesen, dass es wahrscheinlich nicht für eine Versetzung reichen würde. Da solche Sachen meistens immer noch meine Mutter regelte, kümmerte sie sich in gewohnter Manier um diese Belange und legte sich einmal mehr mit den Lehrern an. Mama macht das schon, dachte ich wahrscheinlich. Jedoch waren meine Noten so schlecht geworden, dass da nichts mehr zu machen war.


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