Achterbahn des Daseins. Julian Mores
das Erste, was wir machten, spontan in Urlaub zu fahren. Es war irgendeine kanarische Insel. Dass ich von der Schule flog, war nicht mehr zu ändern. So fand wahrscheinlich mein Vater eine Lösung, die auch für mich zunächst einmal in Ordnung zu sein schien: Sie schickten mich auf eine reine Privatschule.
Diese Privatschule war in Bonn. Da es sich um eine rein private Schule handelte, gab es pro Sekundarstufe maximal drei Schüler. Nicht nur der etwas nähere Standort, sondern auch die Prämisse, dass mich meine Mutter dort jeden Tag abholt, und es eine Halbtagsschule war, stimmten mich einigermaßen zufrieden, obwohl ich immer noch nicht richtig bei meinen Freunden war. Aber da ich zum einen selbst keinen anderen Weg für mich sah und ja sehr schnell zu Hause war, wurde es zunächst kurze Zeit ruhig um mich. Durch mein immer noch schlechtes Gewissen und der zunehmenden Krankheit meiner Mutter, die dadurch immer öfter zu Kuren fuhr, wurde ich mehr und mehr zum Hausmann der Familie.
Leider dauerte der Aufenthalt in dieser Schule nur ein bisschen länger als ein halbes Jahr. Diesmal war es jedoch nicht das Heimweh, das mich aus der Bahn warf, vielmehr war es der erste Kontakt zu Drogen. Da es sich ja um eine reine Privatschule handelte, die monatlich rund 1.000 Mark kostete, plus die Lehrmaterialien, wurde diese Schule von entsprechend gut betuchten Schülern besucht. Da es ja nur sehr wenige Schüler gab, kam ich in Kontakt mit den älteren Mitschülern und hing mit ihnen in der Pause ab. Rauchen war das eine, aber die kifften nicht nur, sondern unterhielten sich auch über Koks, Nutten und Knarren. Für mich als mittlerweile Dreizehnjähriger, der nur Fußball und das Dorf kannte, war das natürlich etwas beängstigend. Zwar waren die Mitschüler schon etwas älter, aber aufgrund der kleinen Größe der Schule wurde auch dies zu einem Problem, weil man ihnen ja nicht aus dem Weg gehen konnte. Nach und nach weigerte ich mich immer öfter, zur Schule zu gehen. Ich koppelte mich immer weiter ab, da dies für mich ein No-Go und nicht meine Welt war.
Das ging natürlich nicht lange gut. Im Grunde war es das alte Spiel: Ich lief weg, wurde zornig und flog am Ende von der Schule. – Anderer Grund, selbes Ergebnis.
Mein Weg war jedoch nun zu Ende, zumindest auf dieser Schule. Nun war ich als mittlerweile Dreizehnjähriger ein Teenager und kein kleines Kind mehr.
Analyse:
Der Beginn meines Lebens startete mit noch sehr jungen Eltern. Von Beginn an wuchs ich mit einem kleinen, aber goldenen Löffel auf. Auch die dörfliche Umgebung hätte eigentlich ein gutes Leben vorprogrammieren sollen. Durch die Reiselust meiner Eltern lernte ich früh andere Orte kennen. Nach einer normalen Zeit im Kindergarten und der Grundschule lernte ich ebenfalls früh eine Sozialgemeinschaft kennen. Durch mein traumatisches Ereignis bei meinem damaligen Kinderarzt entwickelten sich meine ersten bewussten Ängste. Sehr schnell begann sich der Fußball zu meiner Leidenschaft zu entwickeln. Schulisch lief es nicht so gut, und so ergaben sich die ersten Probleme, die über die Norm der gesunden Emotionen hinausgingen. Daran änderte auch der konservative Einfluss meiner Großmutter nichts.
Durch die Kur wurde es nicht besser, sehr viel veränderte sich indes durch den Schicksalsschlag bei meiner Mutter. Von Beginn an sah ich dabei zu, wie meine Mutter kränker wurde, Tabletten nahm und ich daher früh anfangen musste, sie bei der Hausarbeit zu unterstützen. Durch meine Oma lernte ich, mich kaufen zu lassen.
Den Beginn des Albtraumes war die Entscheidung meiner Eltern, mich auf eine weit entfernte Schule zu schicken. Ich lernte dadurch schnell, eine Maske aufzusetzen. Durch meine Käuflichkeit hielten meine Eltern, in erster Linie meine Mutter, mich zunächst bei der Stange, aber Vertrauen in die Liebe meiner Eltern war fortan verschwunden. So entwickelten sich schnell negative Emotionen, die sich durch meine Erfolge mithilfe von Aggression immer weiter verstärkten.
Durch den Fußball entwickelten sich aber auch neue Bezugspersonen, Halt und Geborgenheit. Der Fußball entwickelte sich zu meinem Zugpferd. Es war kurioserweise mein Vater, der mir, obwohl ich definitiv ein Mutterkind war, die erste liebevolle Anerkennung gab.
Kapitel 2
Turbulenzen, die Achterbahn ruckelt
Warum dieses Kapitel so wichtig ist:
In der Teenagerphase, um die es hier geht, ruckelte es gewaltig – rechts, links, hoch und runter. In dieser Phase meines Lebens ging es darum, zu ergründen, wieso ich zu keiner Zeit in eine innere Ruhe fand, die mir Sicherheit gegeben hätte und bei der ich mich selbst hätte finden können. Letztlich führte das aber dazu, dass ich diese Zusammenhänge und das Fehlen dieser inneren Ruhe und Sicherheit erkannte. In diesem Kapitel offenbart sich zudem, wie ich unterbewusst um die innere Ruhe kämpfte und früh Verantwortung übernehmen musste. Alles in allem war ich in dieser Situation nicht in der Lage, durch innere Ruhe oder Frieden mein Leben dahingehend zu entwickeln, wie ich sein wollte. Erst später sollte ich es schaffen, inneren Frieden zu finden, was im weiteren Verlauf des Buches genauer beleuchtet wird.
Background:
(13 bis 18 Jahre)
Nun war ich ein Teenager und der erste Fauxpas ließ nicht lange auf sich warten. Dieser Fauxpas hatte diesmal allerdings nichts mit meinen schulischen Belangen zu tun, es ging vielmehr um das Thema Fußball, denn es stand meine erste große Mannschaftstour an. Es ging nach Lloret del Mar in Spanien. Ich freute mich riesig auf diese Reise mit meinen Fußballjungs.
Ich kam aus einem Dorf, wo sich die ortsansässigen Vereine zu Festlichkeiten trafen und gegenseitig unterstützten, daher organisierten wir diese Tour zusammen mit unserem Karnevalsverein, dementsprechend auch mit dessen sogenannten Tanzmariechen. In ein, zwei davon war ich ziemlich verknallt. Sie mochten mich meiner Erinnerung nach zwar scheinbar ganz gern, jedoch wurde meine Liebe nicht unbedingt erwidert. Nun wusste ich ja um die Wirksamkeit der moralischen Erpressung und wollte mir in dieser Art und Weise nun auch bei der Damenwelt Liebe beziehungsweise Zuneigung erzwingen.
Ich stellte mich also während dieser Reise irgendwann provokant so auf ein Treppengeländer, dass es aussehen sollte, als würde ich mir etwas antun wollen. Da dies aber sehr viele Mitreisende mitbekamen, wurde das zu einer sehr peinlichen Geschichte, die mir bis heute anhängt. Soweit ich mich erinnere, wollte man mich sogar nach Hause schicken, tat es dann aber doch nicht, vermutlich, weil ich mich wieder beruhigt hatte und die erwachsenen Begleitpersonen wussten, dass ich ein bisschen am Rumpubertieren war.
Auf den weiteren Verlauf meines Fußballlebens nahm diese peinliche Geschichte aber glücklicherweise keinen Einfluss. Vielmehr zeigte sich, dass mich gerade mein Trainer nicht fallen ließ.
Was mein schulisches Fortkommen betraf, kam nun einmal mehr mein Kinderarzt ins Spiel. Dieser vermittelte mich an meine nächste Schule. – Nicht irgendeine Schule, das wäre in dieser Situation wahrscheinlich nicht mehr möglich gewesen. Man sah sich wohl gezwungen, mich an einer Schwererziehbaren- und Behindertenschule unterzubringen.
Das war für mich natürlich noch viel schlimmer als alles vorher Geschehene, denn die Schule war in Köln. Meine einzigen beiden Hoffnungsschimmer waren der Umstand, dass mein Vater ebenfalls in Köln arbeitete und ich notfalls zu ihm flüchten konnte, sowie die Behauptung, dass es sich nur um eine zeitlich begrenzte Zwischenlösung handeln sollte, bis man eine weitere Lösung gefunden hatte.
Die Entfernung das Beschissenste, was mir aus meiner damaligen Sicht passieren konnte, aber ich hatte keine andere Wahl. Meine Eltern drohten mir sogar mit stationärem Aufenthalt, was für ein entsetzlicher Gedanke!
So blieb mir nichts anderes übrig, als diese Schule tatsächlich zu besuchen, allerdings in gewohnter Manier, sodass es nicht allzu lange anhielt und ich mich bald wieder regelmäßig verdrückte. Allerdings ging ich diesmal zu meinem Vater ins Büro. Ich hatte keine Ahnung warum, aber meine Ausflüge gestalteten sich immer sehr ruhig. So ging er mit mir des Öfteren erst einmal zu einer Bäckerei, Kaffee und Kuchen essen. Er schaffte es so, mich zu beruhigen und es erträglich zu machen.
In dieser Zeit verheimlichte ich das erste Mal vor Freunden, in welche Schule ich ging, denn diese Blamage wollte ich mir einfach nicht antun.
Schnell merkte ich jedoch auch dort, dass diese Schule etwas Positives für mich hatte, denn