Alter Mann im Bus. Bernhard Weiland

Alter Mann im Bus - Bernhard Weiland


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Von wegen Waldluft schnuppern. Der Weg ist knochentrocken und mit weißem kalkartigem Staub bedeckt. Aus irgendeinem Grund begegne ich auf diesem Weg zwischen weiten Feldern mehrfach LKW, die an mir vorbeirumpeln, gewaltige Staubfahnen aufwirbelnd. In der Ferne ertönt ein andauerndes Maschinengeräusch. Meine Nase registriert einen stechendfauligen Geruch. Da blitzen mich vom Acker Pfützen dunkler Brühe an. Frisch aufgebrachte Gülle. Mir geht ein Licht auf: die Lastwagen transportieren Nachschub. Ich bin froh, als ich diese Felder hinter mir lassen kann.

      Der Nationalpark

      Im Forsthaus Thiemsburg habe ich für drei Nächte ein Einzelzimmer gebucht. Das Gästehaus liegt im Nationalpark Hainich, der größten nutzungsfreien Laubwaldfläche Deutschlands. Nationalpark seit 1997, wurden zentrale Teile 2011 mit anderen Rotbuchenwäldern Europas zum Weltkulturerbe erklärt. Meine unmittelbaren Nachbarn in der Internet- und (fast) telefonnetzfreien Zone sind das Nationalparkzentrum, der Baumkronenpfad und das Restaurant und der Biergarten Thiemsburg. Und viele, viele munter durcheinander zwitschernde und singende Vögel. Ein besseres Quartier für jemanden, der ohne Motor, Fahrrad, Pferd oder Esel unterwegs ist, gibt es hier nicht. Von meinem Zimmer aus blicke ich direkt hinüber auf all das und kann ohne zusätzliche Anreise einen kleinen Teil dieses überwiegend mit Mischwald, dominiert von Rotbuchen, bestandenen Höhenzuges erkunden. Dafür nutze ich zunächst die Möglichkeit, an einer Führung teilzunehmen. Es ist die erste in dieser Saison, die heute, am 1.April, beginnt. Das ist kein Aprilscherz! Ich bin der einzige Interessierte, der am Treffpunkt wartet. So stapfe ich exklusiv und allein dem zünftig gekleideten Nationalparkranger hinterher. Ranger klingt heroisch. Für mich jedenfalls. Ich denke an erste Fernseherlebnisse in jungen Jahren. Da sorgten die ‚Texasranger‘ in amerikanischen Filmen deutsch synchronisiert mit Waffengewalt für Recht und Ordnung. Und jagten gnadenlos Indianer. Mein Ranger heute ist ein friedlicher Mann mit Rucksack und knarzenden Wanderstiefeln. Er war in diesem Waldgebiet 25 Jahre als Waldfacharbeiter beschäftigt und wurde bei Gründung des Nationalparks als Ranger übernommen. Der Fachmann für den Kosmos des Waldes erklärt Zusammenhänge, zeigt interessante Orte, benennt Pflanzen und Bäume, Tiere und Insekten, erzählt Geschichten. Alles, was für das Verständnis des Walduniversums nützlich ist, hat er drauf. Anschaulich und geduldig erklärt er Dinge und Prozesse, beantwortet Fragen. Der Wald ist bei meiner Ankunft nach oben licht und gerade noch bar jeglicher Blätter. Doch überall sind die Zweige schon voll mit prallen Knospen. Dafür ist der Waldboden ein Meer von Grün mit Farbtupfern der Blüten darin. Der Märzenbecher ist gerade verblüht. Zu sehen sind Buschwindröschen, weiß und rosa, blaue Leberblümchen, gelbe Schlüsselblumen. Dann wieder Inseln von Bärlauchblättern. Dazwischen Bruchholz, umgestürzte, entwurzelte Bäume, besiedelt von Moosen und Pilzen. Vereinzelt erscheinen die Rottöne des Lerchensporns und am Wegesrand bereits violettfarbene Waldveilchen. Allerorten schallt der Klopfwirbel der Spechte aus luftiger Höhe, die damit lautstark ihr Revier abgrenzen. Aber auch die anderen Arten lassen sich nicht lumpen, und flöten und zwitschern lautstark und eindringlich. Ihnen gelüstet nach geneigten Partnerinnen. Eine Sinfonie ohne Noten, ein großes Orchester ohne Dirigenten.

      Mutter Boden

      Als ich einen Tag später auf dem Baumkronenpfad in die Höhen der Baumwipfel steige, brechen die Knospen der Bäume schon in zartgrünen Farbtönen auf. Die hier vereinzelt hoch aufragenden Wildkirschen stehen in prächtiger Blüte. Vom Aussichtsturm lasse ich den Blick weit über das Thüringer Becken schweifen. Auf der südöstlichen Seite hin zum Höhenzug der Hainleite, die ich bei Sondershausen überquerte. Auf der südlichen Seite hinüber zum Thüringer Wald, den ich die nächsten Tage noch durchqueren werde. Der Blick ist ein wenig getrübt. Das Wetter schlägt um. Die sommerlichwarmen Tage wurden gestern Abend mit einem heftigen Gewitter vorerst für beendet erklärt.

      Die Temperaturen am nächsten Morgen lassen mich erstmal wieder frösteln. Das ist die Gelegenheit für einen Besuch der modern und anregend gestalteten Ausstellungsräume des Nationalparkzentrums. Ich nehme mir einen ganzen Vormittag Zeit, um mich dort in aller Ruhe und ausgiebig mit Informationen über das unglaubliche Universum des Entstehens, des Werdens und Vergehens in der Erdkrume, den darauf siedelnden Bäumen und wiederum in beiden siedelnden Lebewesen zu beschäftigen. Von letzteren leben in einem Kubikmeter Erde mehr als es Menschen auf der Welt gibt. Höchst erstaunlich. Und dieser belebte Mutterboden braucht zehntausend Jahre, um eine fruchtbare Höhe von dreißig Zentimetern zu erreichen. Unglaublich. Die auf ihm siedelnden Bäume kommunizieren miteinander. Wie soll das gehen? Das wird just wissenschaftlich erforscht. In der Erdkrume wiederum kooperieren die Bäume mit verschiedenen Organismen zum gegenseitigen Vorteil. Diese und viele andere ansprechend aufgemachte Informationen machen mich sehr nachdenklich. Für Kinder gibt es besonders hergerichtete und spannend ausgestattete Erlebnisräume. Leider funktionieren viele Lehr- und Lernspiele nicht mehr. Oder noch nicht? Schade. Offensichtlich funktioniert hier das Management nicht so recht. So oder so, es lohnt sich, in diese Welt der Natur und ihre Erklärung einzutauchen. Für mich als Städter allemal.

      Kuckuck - Vogelschluck

      Die Zahl der Vögel in Deutschland und Europa gehe dramatisch zurück, meldet dpa. Man hört es nicht. Ich höre es nicht. Zumindest nicht im Hainich. Da geht es die Vogelsprachen rauf und runter, tirili, tirila, kekkerkekker, tüdelütt, piep und schnääp, kuckkuck.

      Es seien vor allem die Vögel der Agrarlandschaften, die mehr und mehr schwänden. Dort seien die Brutpaare, so verlautbart die Bundesregierung, um 300 Millionen zurückgegangen. In Zahlen: 300 000 000! Seit 1980 ein Minus von mehr als die Hälfte. Braunkehlchen, Uferschnepfen, Feldlerchen, Rebhühner und wie sie alle heißen. Sie leiden durchweg unter Futtermangel und fehlendem Wohnraum. Die Nahrungskette stimmt nicht mehr. Es gibt immer weniger Insekten infolge des Einsatzes von Pestiziden und der Schaffung von Monokulturen in der Landwirtschaft. Tirili, tirila, und wir merken es nicht mal. Weil wir es nicht hören. Sehen schon gar nicht. Kuckuck - Vogelschluck.

      Hunger

      Nach Wissensinput im Nationalparkzentrum und viel frischer Waldluft des Hainich probiere ich gleich hier vor Ort thüringisches Essen. Heftig angepriesen als ‚wwwbestebratwurstde‘ oder in Rezepten einer Art Kochbibel, die in meinem Zimmer ausliegt. Das Buch wird verlegt von der Fleisch- und Wurstwarenfabrik, die Restaurant und Biergarten Thiemsburg betreibt. Die von mir gekosteten regionalen Produkte scheitern kläglich vor meinem Gaumen. Die beste Bratwurst kommt verschrumpelt daher. Hatte wohl schon den ganzen Tag am Grill gelegen. Das Rostbrätel im Restaurant ist zäh wie Leder, die beiliegenden Röstzwiebeln schwarz wie die Nacht, die Bratkartoffeln halbroher Natur. Das geht gar nicht. Schon deshalb nicht, weil das Kochbuch der Fleischfabrik mit heftiger Polemik gegen gesunde Mittelmeerküche eröffnet wird und mit geradezu missionarischem Eifer die thüringische Küche lobpreist. Also, thüringisch heißt: deftig, stark fleischhaltig und möglichst Schwein. Darf sein, darf alles sein. Aber dann fein und lecker gekocht. Das Hausbier war um Längen besser. Aber das kam ja nicht aus der Fleischfabrik. Der Fertig-Kartoffelbrei allerdings auch nicht.

      Abreise

      Die Unklarheiten, wie ich denn nun von hier aus weiterkäme, konnte ich beseitigen. Am Parkplatz gibt es einen Bushalt. Und da die Saison gerade begonnen hat, fährt täglich auch der sogenannte Wanderbus nach Eisenach wieder. Obwohl ich frühzeitig an der Haltestelle bin, verpasse ich beinahe den Bus. Und das kommt so. Ich hatte von Kundigen den Tipp bekommen, nicht an der bezeichneten Haltestelle hinter der Schranke des Parkplatzes zu warten, sondern direkt an der Straße. Die Fahrer würden sich manchmal den Weg durch die Schranke und das Wenden auf dem Parkplatz sparen. So ist es auch mit dem kleinen grünen Wanderbus, der eine halbe Stunde vorher in die andere Richtung, nach Bad Langensalza, vorbeikommt. Der Bus, den ich nehmen muss, ist entpuppt sich als normaler Reisebus, für mich als der Wanderbus nach Eisenach also nicht erkennbar. Er kommt pünktlich. Ich stehe an der Straße. Er fährt an mir vorbei auf den Parkplatz, passiert die Haltestelle und wendet. Fährt umgehend wieder auf die Ausfahrtsschranke zu. Dort muss er kurz anhalten. So erwische ich ihn noch. Schwein gehabt.

      Der Busfahrer

      Der Fahrer, ich nenne ihn einfach mal B., lässt mit sich reden. Er ist Berufskraftfahrer, der vorher für eine Spedition in der ganzen Republik unterwegs war. Transportiert wurde Mehl für Bäckereien. Das unstete Leben war er irgendwann über und sattelte um auf Busfahrer. Er heuerte bei einer privaten Busunternehmung


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