Alter Mann im Bus. Bernhard Weiland
nähert sich der Wurstbraterei. Er ist der einzige Mensch weit und breit mit Interesse an deutschem Grillgut. Der Kunde studiert aufmerksam das Sortiment. Aufgeführt sind Brathänchen ohne h hinter dem ä und Bratwurst. Das ist alles. Das Sortimentstudium der doch so unterschiedlichen Spezialitäten dauert eine Weile. Dann scheint die Entscheidung gefallen, die Auswahl getroffen. Der Kunde erkundigt sich. Er hat da eine Frage und erhebt seine Stimme nach oben, gen Verkaufsraum:
“Hallo … ich hätt gern eine Bratwurst …was ham sie fürne Bratwurst wasis das?“
“Ein Ööijro,“ lautet die schnell gebrummte Antwort. Der Kunde ist sichtbar beeindruckt und fragt passend weiter:
-“Ein Euro? Ja und was is da so drin? Schweinefleisch oder Rindfleisch?“ Diesmal dauert es eine Weile, bevor die informative Antwort eindeutig ausfällt:
-“Ja, Schueine.“ Der Kunde scheint beglückt:
“Schweinefleisch! Ja dann is gut.“
Um den Faden des Gesprächs und den Kunden nicht zu verlieren, lautet die schnell anschließende kundenorientierte Verkaufsfrage des vermutlich türkischen Schweinefleischverkäufers:
“Und? Sönf?“
Der deutsche Kunde scheint zunächst überrascht, hat er doch noch gar keinen Auftrag erteilt. Er fängt sich aber schnell und fährt mit seiner Produktrecherche fort:
“Senf auch bitte, jaha …und, wo ist die gemacht, die Wurst?“
Wahrscheinlich würde ihm, wie er da so steht, den Blick immer noch leicht nach oben in die Grillhütte gewandt, die ungefähre Nennung des Erdteils der Herkunft schon genügen. Der Chefkoch aber steht beschäftigt am Grill und läßt sich keine Antwort entlocken. Wer gibt auch schon gerne Produktionsgeheimnisse preis. Der deutsche Zutatenforscher aber läßt nicht locker:
“Wo ist die her die Wurst? Ham sie einen bestimmten Fleischer, wo sie die einkaufen, oder?“ Prompt schallt es aus Richtung des Edelstahlgrills:
“Na einkaufen - da - einfach so.“
Na klar, einfach so. Wie auch sonst. Die Frage wäre geklärt. Da landet die Bratwurst unbestimmter Herkunft schon mit einem geschickten Grillzangenwurf auf der mit einem Klacks gelben Senfs kunstvoll verzierten Pappe. Bloß den Kunden nicht warten lassen!
“Einfach einkaufen so? Okäj … ja danke.“
Von der plumpen Verkaufsstrategie des vermutlich mit allen Wassern gewaschenen Grillkünstlers überrumpelt, zählt der Kunde bereits den ausgepreisten Betrag ab.
Die Münzen fallen klappernd auf den schmalen gläsernen Verkaufstresen. Grillgut und Geld werden getauscht. Der Kunde betrachtet den braun gegarten Darm:
“Ja, danke, super.“
Der Verkäufer ist sichtlich erleichtert über den erfolgreichen Handel und schiebt noch eine Zugabe, die er eigentlich nur für Stammkunden bereithält, hinterher:
„Son bisschen Bruoot?“-
Der Kunde ist erfreut über das unerwartete Schnäppchen und ruft glücklich überrascht:
“Brot? Ja super das ist nich schlecht. Brot is immer gut.“
In diesem Moment wird das angeregte und tiefschürfende Gespräch zwischen Angebot und Nachfrage von intensiven und langanhaltenden Hupgeräuschen im Hintergrund unterbrochen.
“Halloo!“
schimpft der Küchenmeister in Richtung der um Verkehrsraum streitenden PKW-Fahrer. Diesen nicht für möglich gehaltenen emotionalen Ausbruch seines Geschäftspartners hält der noch kauende Kunde für das Angebot, den angeregten Gedankenaustausch weiter zu führen:
“Na der hats aber eilich ne … und lohnt sich das hier für sie?“
Diese geschickte, einmal um die Ecke gelenkte Fragestellung, überfordert den Hähnchenbräter.
“Bitte?“
Die Präzisierung erfolgt mit vollem Mund:
“Lohnt sich das hier für sie mit dem Stand?“
Zehn seit zwei Stunden garende, verkaufsfertige Standardbratwürste werden zum neunundvierigsten Mal gewendet. Hinter der Stirn des Wurstwenders scheint es zu arbeiten. Ist der Kunde etwa ein getarnter Steuerfahnder? Die unverfängliche Antwort durch den gemischten Schweinehähnchenbriedendunst hindurch lautet vorsichtig:
“Näääää.“
Der penible Kunde bohrt weiter:
“Nich so?“
Der misstrauische Bratwursthändler:
“Nä nä nä … … nich viel los.“
Der Kunde läßt nicht locker:
“Und jetz im Winter sowieso nich?“
Diese Fangfrage läßt den Bräter kalt und er bleibt einsilbig:
“Jaaa.“
Da kapituliert der Kunde:
“Okäj“
Sichtlich erleichtert über diese glückliche Gesprächswendung bricht es aus dem Verkäufer heraus:
“Diese Platz nich gutt.“-
Der mitfühlende Kunde stimmt beruhigend zu:
“Is nich gut, jaa. Es kommt keiner zu Fuß hier lang, nä. Oder?“
Die traurige Antwort:
“Keine Fuß, keine Fuß.“
Die von Gebrauchsspuren gezeichnete Würstchenpappe landet ordnungsgemäß in dem dafür bereit gestellten Abfalleimer. Mit einem geseufzten, von grenzenlosem Mitleid mit dem einsamen armen Wurstbräter zeugenden“Ja ja“ schlurft der gesättigte Kunde über den weiten Parkplatz davon, der nächsten Bushaltestelle entgegen. So sind sie, die deutschen Gutmenschen, die echten Bratwurstgourmets auf dieser Welt. Schweinebratwurstarier, einfühlsam und dem Grillgut zugewandt. Der türkische Chefkoch verfolgt ihn noch eine Weile sehnsüchtig mit seinen Blicken, bis er ihn nicht mehr sehen kann. Dann wendet er die gelangweilt vor sich hin schmurgelnden Würste ein fünfzigstes Mal. Fremdes Kulturgut, gebratene Schweine im Darm. Vielleicht kommt ja mal wieder jemand vorbei.
Kleiner Grenzverkehr
Seit Hameln bin ich wieder fahrplanmäßig unterwegs. Auf der weiteren Fahrt überschreitet der Bus irgendwo bei Aerzen die Landesgrenze von Niedersachsen zu Nordrhein-Westfalen. Und damit die Grenze des Verkehrsverbundes. Und damit auch die des Tarifsystems. Wahrscheinlich des RHP (Regionalverkehr Hameln Pyrmont). Oder doch des VHP (Verkehrsgesellschaft Hameln Pyrmont)? Immerhin funktioniert die Beförderung im Sinne eines kleinen Grenzverkehrs im 16-Sitzer-Bus gut. In ihrem tiefsten Inneren erscheint mir unsere Republik schon jetzt am Anfang meiner Reise als ein Konglomerat nahverkehrlicher Fürstentümer und Königreiche. Und noch kleinteiliger wirkt jeder Bus als kleines Fürstentum oder Königreich für sich, mit unterschiedlichen Regenten am großen Steuerrad. Bei dem einen Chauffeur geht es bürokratisch zu wie bei der Antragstellung in einer Amtsstube, beim anderen locker wie beim Einlass in das Festzelt auf der Dorfkirmes, beim nächsten wiederum gemütlich wie am Gemüsestand auf dem Wochenmarkt und dann wieder ruckizucki wie an der Supermarktkasse. Manchmal auch alles gut durchmischt. Bunt und vielfältig. Multikulti auch in der Aussprache mit unterschiedlichsten Akzenten. Bunte Nahverkehrsrepublik Deutschland.
Die Landschaft, durch die ich kutschiert werde, stellt sich sehr nebensächlich dar. Sie ist kaum sichtbar. Nebel und Regen bilden einen dichten grauen Vorhang. Da draußen liegen irgendwo der Deister, der Süntel, das Weser- und das Lipper Bergland, wem das was sagt. Meine Mitreisenden - oder besser: Mitfahrenden - lässt das eh kalt. Sie sind keine Touristen wie ich, sondern Hiesige, Eingeborene, auf dem Weg nach Hause, zur Arbeit, zum Einkauf, zum Arzt oder Amt oder irgendeiner anderen alltäglichen Verabredung.
Zweitausend Jahre zuvor
Zwischen Hameln und Aerzen touchiert meine Route eine historische