Alter Mann im Bus. Bernhard Weiland

Alter Mann im Bus - Bernhard Weiland


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in insgesamt 12: 44 Std. zurück. Dazu kommt ein Fußweg von 7,8 km. (Weitere Daten befinden sich im Anhang!).

      Höchste Eisenbahn

      So geht Nostalgie. Ich kaufe mir in Wernigerode am Schalter eine Fahrkarte nach Nordhausen. Die Harzquerbahn soll mich durch Wälder und über Höhen auf die gegenüberliegende, die westliche Seite des Mittelgebirges bringen. Am Bahnhof stehen schon schnaufend, zischend und aus Schloten und Ventilen dampfend drei schwarze Ungetüme. Eines wird die am Bahnsteig wartenden musealen Waggons über beschwerliche Anstiege des Harzes ziehen. In einem nehme ich Platz auf einer der simplen kunststoffüberzogenen Sitzbänke. Es ist ein wenig wie in meiner Kindheitszeit. Eine Reise mit der Eisenbahn war in den fünfziger Jahren des 20.Jahrhunderts noch etwas Besonderes, die rauchende Dampflokomotive ein Erlebnis. Öffnete man allerdings während der Fahrt die Schiebefenster - so etwas war damals noch möglich -, blies der Fahrtwind ein unangenehmes Luftgemisch herein. Es roch nach verbrannter Kohle und nach Schwefel, dem Rauch aus dem Brennkessel der Dampfmaschine, angereichert mit rußigen Flocken. Nach der Fahrt war immer eine Gesichts- und Halswaschung angesagt. Vor dem Herauslehnen aus dem Fenster wurde mit kleinen emaillierten Schildchen in mehreren Sprachen schwarz auf weiß gewarnt. Die in meinen Ohren klangvollste Warnung erinnere ich noch heute: 'É pericoloso sporgersi'. Bella italia!

      In der Harzquerbahn heute ist alles noch ein wenig wie vor vielen Jahrzehnten. Nur dieses Schild fehlt. Doch gibt es noch eine Plattform vor dem Zugang zum Passagierraum, dort, wo die Waggons aneinandergekoppelt sind und wo man auf klingenden Metallstufen zusteigt. Der Aufenthalt während der Fahrt sei hier untersagt, mahnt ein Schild. Das wäre aber auch unangenehm. Hier würden alle Sinne außerordentlich gefordert. Das Schlackern und Ruckeln, das Ziehen und Drücken, das Aneinanderschlagen der eisernen Pufferteller der Waggons würfe den Körper hin und her, hielte man sich nicht ordentlich fest. Auch drinnen, dort wo ich sitze, ist die alte mechanische Technik noch heftig spürbar. Es rattert, quietscht, pfeift, kracht, schlägt immer wieder rhythmisch über die Verbindungsstellen der Geleise. Es schnauft, zischt, ruckelt und zuckelt, klappert, ächzt und scheppert. Regelmäßig wird der Blick nach draußen vom ausgestoßenen Wasserdampf des Kessels der Lok vernebelt. Warum sitze ich auch gleich im ersten Wagen, nur getrennt vom Gepäckwagen, hinter der Zugmaschine? Irgendwann schließe ich die Tür zur äußeren Plattform. Dadurch wird es zwar nicht ruhiger. Aber der Geruch - oder soll ich sagen: Gestank - aus dem Schlot der Rauchkammer wird ein wenig ausgesperrt. Also besser auch die Fenster geschlossen halten. Natürlich benutze ich das nostalgische Kloabteil, nur um durch die Klobrille auf die vorbeisausenden Bahnschwellen schauen zu können. Benutzung nur während der Fahrt gestattet. Also muss ich auch mal während der Fahrt. Muss sein, ehrlich.

      In Drei Annen Hohne steigt die Hälfte der wenigen Passagiere in die Brockenbahn um. Sie wollen noch höher hinauf, ich geplant hinunter. Am Bahnhof Eisfelder Talmühle darf die Lok nach getaner Schwerstarbeit ausschnaufen. Sie wird noch ein wenig vom schwarz gewandeten Lokomotivführer getätschelt und mit frischem Öl versorgt. Das könnte Lukas sein. Fehlt nur noch Jim Knopf. Ich steige um in den schmucklosen Triebwagen, der mich auf den Schmalspurschienen weiter über das Stadbahnnetz zum Nordhäuser ZOB bringt. Dort genieße ich in sommerlichsonniger Atmosphäre den ersten warmen Frühjahrstag des Jahres. Die Außensitzplätze der Eiscafés in der Fußgängerzone sind proppenvoll. Mein Eis muss ich daher am letzten freien Tisch im Inneren bestellen. Am Nachbartisch sitzt eine Frau mit ihrer alten dementen Mutter. Diese bringt richtig Leben in die Bude. Ihre lauten Nachfragen und unhöflichen Kommentare werden von der Tochter mit großer Gelassenheit hingenommen. Vom Personal wird sie bevorzugt und fix bedient, freundlich angesprochen und getätschelt. Sie ist wohl bekannt hier und so läßt man ihr die Eigenheiten. Auch wenn ringsum wegen des großen Andrangs sehr flink und ein wenig hektisch bedient wird, ruhig nimmt man das Portemonnaie der Dame entgegen. Erklärt ihr wiederholt den Preis, den sie lautstark beklagt. Erklärt und zeigt ihr, was man dem Geldbeutel entnimmt. Lacht freundlich und zugewandt über ihre Bemerkungen, die eigentlich nicht freundlich sind. Aber es wird ihr nicht übelgenommen. Das passt in diesen freundlichen Tag.

      Rufbus

      Am ZOB kriege ich einen Schreck. Mein nächster Bus, der 291er, fährt zehn Minuten vor der fahrplanmäßigen Abfahrtzeit ohne Stopp an mir und der Haltestelle vorbei. Da stehe ich aber dumm da. Muß ich doch den Anschluss in Kleinfurra erreichen. Das ist der Rufbus 471, der nur einmal am Tag fährt, und für den ich mich heute Morgen telefonisch extra angemeldet habe. Aber welche Erleichterung, als der 291er dann doch pünktlich vor mir steht und mich mitnimmt. Er hatte nur in der Stadt gewendet. So erreichen wir tatsächlich pünktlich Kleinfurra. Der dortige Rufbus ist die Verbindung zwischen zwei Tarifsystemen, dem Nordhäuser (Verkehrsbetriebe Nordhausen GmbH) und dem Mühlhäuser (Regionalbus-Gesellschaft Unstrut-Hainich- und Kyffhäuserkreis mbH). Wo ich allerdings die Haltestelle finde, kann mir der Busfahrer beim Ausstieg in Kleinfurra nicht sagen. Wegen verkehrlicher Baumaßnahmen fahre er heute sowieso eine andere Strecke. Er schätzt, dass ich noch gut einen Kilometer laufen müsse. Es wäre wohl die übernächste Haltestelle.

      Es scheint dann aber nicht die übernächste, sondern schon die nächste, gleich um die Ecke, zu sein. Oder auch nicht? Jedenfalls hängt hier der Rufbusfahrplan der Mühlhäuser Tarifzone. Darunter klebt allerdings ein kopierter Aushang der Nordhäuser Tarifzone, dass diese Haltestelle wegen verkehrlicher Baumaßnahmen bis auf weiteres nicht angefahren werde. Was gilt denn jetzt für mich? Ich rufe verunsichert die Nummer des Rufbusses an und lande in der Mühlhäuser Zentrale der Verkehrsgesellschaft. Die gute Frau am anderen Ende gibt unumwunden zu, keine Ahnung zu haben. Und wo die Haltestelle sei, wisse sie schon gar nicht. Da könne Sie mir nicht weiterhelfen. Weil sie mir nichts weiter anbietet, biete ich ihr an, vor Ort zu warten. In der Zeit möge sie den Rufbus erreichen und ihm meine unsichere Lage nahebringen. Danach solle sie mich dann bitte zurückrufen und mir die nötigen Informationen geben. Und das bitte noch vor fahrplanmäßiger Abfahrtszeit des Rufbusses.

      Während ich am Ort verweile und der Dinge harre, die da kommen werden, hält ein etwas in die Jahre gekommener weißer Kleinbus neben mir. Er sei der Rufbus, ob ich ihn angefordert hätte. Der Fahrer, Taxiunternehmer, lädt mich als einzigen Fahrgast für diese Strecke ein und kassiert einen bescheidenen Obulus. Noch während ich mich verstaue, bekommt er einen Anruf. Die Mühlhäuser Verkehrszentrale berichtet ihm von einem Kunden, der in Kleinfurra stehe und nicht wisse, wo der Bushalt sei. Geht doch, verehrte Zentrale! Dieser Vorgang bietet Anlass für ein ausgiebiges Gespräch über die Schwierigkeiten, die ein Taxiunternehmen in der Provinz bewältigen muss, um wirtschaftlich bestehen zu können. Direkt vor der Haustür meiner Pension, die ich für die Nacht in Sondershausen gebucht habe, lädt mich der freundliche Mann ab. Obwohl hier keine Haltestelle ist. So haben wir beide einen Vorteil. Er spart sich die Fahrt bis zur offiziellen Haltestelle und ich bin schon da. So geht Rufbus.

      Die Abfahrt am nächsten Morgen aus Sondershausen ist komplizierter. Gut, dass ich mich frühzeitig auf den Weg mache. Laut Fahrplan soll der Bus vom Bahnhof Sondershausen abfahren. Die dortige Haltestelle gibt aber keinerlei Hinweis für den Bus nach Mühlhausen. Kein Fahrplan, kein Aushang, kein Schild. Was tun? Fährt er hier ab oder fährt er hier nicht ab? Ich eile fix zum ZOB, sicher ist sicher. Das Glück ist mir hold und ich erwische dort meine Buslinie. Die hält danach als nächstes wo? Natürlich am Sondershäuser Bahnhof. Klar, sagt der Busfahrer ungerührt. Fahrplanmäßig! Sein Gesicht signalisiert mir dagegen: Was stellst du mir für eine dumme Frage. Ich hake nach: Warum der Bus dort auf keinem Fahrplan aufgeführt sei? Was wisse er denn, er sei nur der Busfahrer. Für ausgehängte oder nicht ausgehängte Fahrpläne seien andere zuständig. Er nicht. Punkt. Mein Anliegen interessiert ihn offensichtlich nicht die Bohne. Warum auch. Ich bin ja nur der Kunde. Und er der Chef des Vehikels.

      Mühlhausen erreichen wir schnell. Der dortige ZOB ist Top. Es gibt elektronische Anzeigen, Fahrkartenverkauf und Fahrpläne. Sogar ein kostenfrei zu nutzendes öffentliches Örtchen und gleich nebenan Läden mit Waren des täglichen Bedarfs. So kann ich in meiner Wartezeit noch das ein oder andere Geschäft erledigen. Bei mir rangiert der ZOB Mühlhausen weit oben im privaten Ranking der Einstiegsplätze. Für die Weiterfahrt wird meine schon vorher erworbene Fahrkarte einer peniblen Prüfung durch den Kutschenlenker unterzogen. Die Prozedur erfolgt mit strengem Blick. Mein Billett wird endlich mit einem kurzen Nicken stumm akzeptiert. Nicht akzeptiert wird von ihm lautes Klingeln von Smartphones während


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