Auswahlband 4 Krimis: Von Huren, Heiligen und Paten - Vier Kriminalromane in einem Band. Alfred Bekker
Ich versuchte es mit einem Themenwechsel.
"Wenn Sie schon Jacky Tasso nicht kennen wollen..."
"Sie können mir nicht das Gegenteil beweisen, Agent Trevellian!", fuhr er dazwischen. Ich nahm es gelassen und fuhr fort.
"...so werden Sie kaum abstreiten können, mit einem gewissen Roger Glasdorf bekannt gewesen zu sein."
"Was soll das jetzt wieder?" Broxons Tonfall bekam jetzt einen ätzenden Unterton. "Glasdorf steht jetzt vor dem höchsten Richter, der seiner armen Seele sicher gnädig sein wird."
"Man hat Ihrer Kirche damals vorgeworfen..."
"Es gab nie irgendwelche Beweise für die Behauptungen einiger missgünstiger Zeitgenossen!", unterbrach mich Broxon. "Nehmen Sie das zur Kenntnis. Wir bemühen uns, eine Gemeinschaft gottesfürchtiger Menschen zu sein, die sich bereit macht für das Himmelreich, denn das Ende naht... Aber auch zu uns verirrt sich hin und wieder ein schwarzes Schaf."
"So also bezeichnen Sie Glasdorf."
"Ja, sehr richtig! Er missachtete die Gebote und wurde für seine Sünden verurteilt. Von einem Gericht zwar, dessen Zuständigkeit ich niemals anerkennen würde – aber für Ihre Maßstäbe dürfte es doch genügen!"
"Mister Broxon..."
"Und jetzt belästigen Sie mich bitte nicht länger. Wenn Sie etwas gegen mich in der Hand haben, so will ich gerne den Gang des Märtyrers gehen und Ihnen in die finsteren Kerker Ihrer Behörde folgen... Aber wenn nicht, lassen Sie mich bitte zufrieden. Andernfalls werde ich mich gegen Sie mit rechtlichen Mitteln zur Wehr setzen, Agent Trevellian."
Ich wollte noch etwas erwidern.
Aber Milo legte mir die Hand auf die Schulter.
"Lass uns gehen, Jesse."
Ich starrte Broxon an. "Wir werden uns sicher bald wieder sehen", versprach ich.
Broxon lächelte.
"Warten wir es ab!"
21
Wir saßen gerade wieder im Sportwagen, als uns ein Anruf der Zentrale erreichte. Agent Sid Maddox informierte uns darüber, dass Isabel Norales tot in ihrer Wohnung aufgefunden worden war. Die City Police war bereits dort.
Milo setzte das Rotlicht auf das Sportwagen-Dach.
Isabel Norales wohnte in der 140. Straße, Bronx.
Bis wir dort ankamen verging trotz Rotlicht fast eine halbe Stunde. Auf den Straßen des Big Apple war mal wieder der Teufel los.
Die 140th Street war nicht gerade eine feine Gegend.
Isabel wohnte in einem Apartmenthaus mit heruntergekommener Brownstone-Fassade. Moos hatte sich schon in den Fugen festgesetzt. FUCK YOU!!! hatte jemand mit schwarzer Farbe dort hingeschmiert. Jeder Buchstabe so groß wie ein Mann.
Jemand anderes hatte jeden dieser Buchstaben mit Armen, Beinen und grimmigen Vampirgesichtern versehen. Aber die Farbe dieses Künstlers war weniger haltbar und verblasste schneller.
"Wirklich reizend hier!", meinte Milo, nachdem wir den Sportwagen in der Nähe der anderen Einsatzfahrzeuge abgestellt hatten. Das Aufgebot an uniformierten NYPD-Kollegen war ziemlich groß.
Der Job im !VENGA! hatte Isabel sicherlich keine Reichtümer beschert und so war sie auf die relativ billige Wohnung angewiesen gewesen.
Milo und ich zeigten unsere ID-Cards herum, wurden schnell an den eigentlichen Tatort geleitet: Die Wohnung.
Vorher mussten wir allerdings fünf Stockwerke Treppenhaus hinter uns bringen, weil der Lift nicht funktionierte.
Nebenbei bekam ich mit, wie ein Lieutenant der zuständigen Homicide Squad versuchte, einen Crack-Süchtige zu befragen, der auf einem der Treppenabsätze vor sich hindämmerte.
Der Verdacht lag nahe, dass er schon zur Tatzeit hier gewesen war.
Aber zu einer vernünftigen Aussage konnte ihn wahrscheinlich niemand mehr bewegen. Selbst der beste Verhörspezialist nicht. Das Crack vernebelte sein Hirn.
Wir erreichten die Wohnung.
Captain Frank Patterson von der zweiten Homicide Squad des 123. Polizeireviers begrüßte uns.
Kollegen des SRD schwirrten in dem Apartment herum.
"Ihr seid ja richtig schnell, Jesse!", meinte Patterson.
Ich kannte ihn flüchtig. Auf einem Empfang, den Bürgermeister Giuliani für einige verdiente Kollegen gegeben hatte, die sich bei dem Einsatz am Ground Zero hervorgetan hatten, waren wir ins Gespräch gekommen.
Außerdem waren wir uns mal auf dem Schießstand begegnet. New York ist eben in gewisser Weise ein Dorf.
"Was ist hier passiert?", fragte ich und blickte auf die weiße Markierung.
Die Blutlache war im Teppichboden festgetrocknet.
"Das Opfer ist aus einem Abstand von etwa zwei Metern erschossen worden. Der Täter hat wahrscheinlich in dem Sessel dort gesessen. Sie muss aus der Dusche gekommen sein."
"Wie ist der Täter hereingekommen?"
"Entweder das Opfer kannte ihn oder..." Patterson zögerte.
"Oder was?", hakte ich nach.
"Oder er verstand etwas von Schlössern. Unsere SRD-Kollgen meinen, dass da feine Abriebspuren erkennbar seien, die typisch für Einbrüche der eleganten Art sind. Wir bauen das Schloss aus und untersuchen es im Labor."
Ich atmete tief durch. "Gut."
Milo deutete auf das Telefon. "Ist das bereits untersucht worden?"
"In Bezug auf Fingerabdrücke ja!", sagte Patterson.
Milo nahm den Hörer ab, drückte auf die Wahlwiederholungstaste.
Einen Augenblick später legte er wieder auf.
"Na, mit wem wurde von hier aus zuletzt telefoniert?"
"Es hat sich der Anrufbeantworter von Dale Johnson gemeldet!"
"Sieh an!"
Milo zuckte die Achseln. "Dass die beiden sich kennen, wussten wir doch!"
"Das Gespräch müsste von unseren Leuten aufgezeichnet worden sein."
"Vorausgesetzt, es fand statt, nachdem die Abhörgenehmigung vorlag."
"Davon gehe ich voller Optimismus erst einmal aus!"
Patterson meldete sich zu Wort. "Es gibt noch etwas, was interessant für euch sein dürfte." Er deutete auf die Tür.
"Der Mörder hat seinen Ohrabdruck hinterlassen, als er die Tür öffnete."
Ein Ohrabdruck war so individuell wie ein Fingerprint.
Gerade bei Einbruchsdelikten kam es relativ häufig vor, dass der Täter sein Ohr lauschend an die Tür drückte. Nur gab es leider noch keine mit den Fingerprint-Dateien vergleichbare Sammlung von Ohrabdrücken. So musste man den Täter erst einmal haben, um ihn mit dem Ohrabdruck überführen zu können.
"Hat